Die gegenwärtige Zeitgeistmode gefällt sich darin, sich vor dem Aufstieg Chinas zu fürchten. Der Autor teiltdiese Befürchtungen keineswegs: dieses Schreckgespenst ist sporadisch seit Jahrzehnten unterwegs (eigentlich Jahrhunderten[1]), ohne all seine Aufmerksamkeit zu verdienen: Sollte China ein erfolgreiches Staatskonzept vertreten, eine günstige territoriale Lage einnehmen, überbedeutende Bodenschätze verfügen oder wenn schließlich seine Bevölkerungszahl so enorme Vorteile bietet, wie immer wieder zu hören ist – warum spielt dann dieses Land weiterhin seine so bescheidene Rolle? Hinter China steht keine solche Mentalität, keine Idee wie sie für andere Völker, wie etwa für Europäer oder Araber/Moslems prägend ist: China hat niemals eine effiziente Expansionspolitik betrieben. Statt einem Aggressor die eigene Kultur entgegenzustellen und sie ihm aufzuzwingen, wählten die Chinesen den Weg in die Isolation[2]. Auch heute ist das Ausgreifender Chinesen eher materiell und nicht kulturell; ganz anders die Amerikaner, die unter beiden Aspekten ihren weltpolitischen Einfluß behaupten, was ihnen, wie ich meine, den entscheidenden Vorteil gewährt. Es sei eingeräumt, daß China gewaltige Möglichkeiten besitzt. Ich meine aber, die Chinesen sind nicht fähig oder nicht willens, sie effektiv einzusetzen. Es lohnt sich, einige Prinzipien näher zu behandeln, die so etwas wie‚ "Weltherrschaft" ermöglichen könnten:
Kultur-/Ideologieexport:
Einfluß oder Überlegenheit im
kulturellen Bereich ist entscheidende Voraussetzung einer Weltmachtstellung.
Ein Blick auf europäische Verhältnisse: Daß Europa stark
amerikanisiert wird bzw. wurde, erklärt sich durch seine ehemalige
Satellitenstaat-artige Rolle gegenüber Supermacht USA. Kaum werden die
Amerikaner nicht mehr gebraucht, entsteht deutliche Abneigung gegen jene
importierte Kultur. Das Anfangsstadium der Amerikanisierung ist derzeit in
Osteuropa beobachtbar, wo die USA politischen, militärischen und
wirtschaftlichen Einfluß üben. Wohl kann man dasselbe Endstadium voraussagen
wie bei uns: wenn eine Gesellschaft glaubt, genug fremde kulturelle Substanz
aufgenommen zu haben, um sozusagen in die kulturelle Welt-Oberschicht
vorgerückt zu sein, schickt sie sich an, ihre eigene Kultur zu produzieren;
besonders, wenn sie vom Kulturbringer politisch unabhängig geworden ist. In der islamischen Welt lief
und läuft ein ähnlicher Prozeß ab: eingezwängt zwischen zwei Supermächten, aber
stark beeinflußt vom Phänomen „USA“, hat man schließlich gelernt, was man zu
brauchen meint, um festzustellen, daß die eigene Kultur bzw. die eigenen
Verhältnisse von jener Lehrmeister-Kultur oder vielmehr ihren
Expansionsmethoden bedroht werden. Die praktisch gezogenen Lehren aus dieser
Einsicht sind allbekannt: man versucht jetzt, der Welt seine eigene
Kultur/Ideologie aufzuzwingen, weil dies als die abgeschaute
Weltbeherrschungs-Formel gedeutet wird.[3] (Die Übertragung einer
Ideologie von einem Land zum anderen ist zu unserer Zeit auch unter dem Unwort
‚Demokratie-Export’ bekannt. Bestimmte Voraussetzungen lassen ihn gelingen,
manche ihn scheitern; ein guter Vergleich ist der „Kommunismus-Export“ der
Sowjetunion, der vielleicht daran scheiterte, daß in betroffenen Ländern eine
intellektuelle und auch wirtschaftliche (Mittel-)Schicht existierte, die an
einer Demokratie regstes Interesse besaß. (Gerade deren Fehlen läßt
Demokratie-Experimente scheitern, wie etwa im Irak und vielleicht auch in
Afghanistan.) ) Von der Welt zurück zu China:
eine solche ideologische oder kulturelle Weltoffensive können die Chinesen
nicht unternehmen; eine Staatsideologie, die ihre Opposition mit Panzern
überfährt oder sonstwie zu Tode bringt und mißhandelt, ist noch lange nicht in
der zivilisierten Welt angekommen; sie wirkt abstoßend. Chinas universalistische Kultur,
die das Allgemeine über das Individuum stellt, ist nicht kompatibel mit der
sogenannten Weltkultur, die keineswegs zu jener Selbstgenügsamkeit fähig ist,
für die der chinesische Mensch so beispielhaft steht.[4] Für den
westlichen (Konsum-)Menschen ist nichts Aufregendes oder Intensives dahinter,
was sein Lebensgefühl steigern könnte. Wie bezeichnend, daß die asiatische
Kultur als Mittel für Krankenerholung vom Zivilisationsstreß dient! Kurz gesagt: es gibt viele
Menschen, die sich an der amerikanischen Lebensart (Konsum, Lebensgenuß aller
Art, gesellschaftlicher Erfolg, extreme Redefreiheit usw.[5])
begeistern, sehr wenige aber, die in diesem Sinne geistige Chinesen werden
möchten! Wenn dies so wäre, würden sich chinesische Kulturgüter massenhaft
verkaufen lassen – sie tun es aber nicht. China ist zu keiner kulturellen
Weltherrschaft befähigt. Ein weiteres Hindernis besteht in seiner komplizierten, fremdartigen
Sprache, die unmöglich das Englische ablösen kann (welche Sprache könnte dies
überhaupt?). Nicht einmal Ansätze davon sind beobachtbar, was eine kulturelle
Verbreitung beweisen oder ermöglichen würde.