Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Weber, Albert

 
 

China, die kommende Weltmacht?

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  Die gegenwärtige Zeitgeistmode gefällt sich darin, sich vor dem Aufstieg Chinas zu fürchten. Der Autor teiltdiese Befürchtungen keineswegs: dieses Schreckgespenst ist sporadisch seit Jahrzehnten unterwegs (eigentlich Jahrhunderten[1]), ohne all seine Aufmerksamkeit zu verdienen:
Sollte China ein erfolgreiches Staatskonzept vertreten, eine günstige territoriale Lage einnehmen, überbedeutende Bodenschätze verfügen oder wenn schließlich seine Bevölkerungszahl so enorme Vorteile bietet, wie immer wieder zu hören ist – warum spielt dann dieses Land weiterhin seine so bescheidene Rolle?
Hinter China steht keine solche Mentalität, keine Idee wie sie für andere Völker, wie etwa für Europäer oder Araber/Moslems prägend ist: China hat niemals eine effiziente Expansionspolitik betrieben. Statt einem Aggressor die eigene Kultur entgegenzustellen und sie ihm aufzuzwingen, wählten die Chinesen den Weg in die Isolation[2].
Auch heute ist das Ausgreifender Chinesen eher materiell und nicht kulturell; ganz anders die Amerikaner, die unter beiden Aspekten ihren weltpolitischen Einfluß behaupten, was ihnen, wie ich meine, den entscheidenden Vorteil gewährt.
Es sei eingeräumt, daß China gewaltige Möglichkeiten besitzt. Ich meine aber, die Chinesen sind nicht fähig oder nicht willens, sie effektiv einzusetzen.
Es lohnt sich, einige Prinzipien näher zu behandeln, die so etwas wie‚ "Weltherrschaft" ermöglichen könnten:
 

 

Kultur-/Ideologieexport:

Einfluß oder Überlegenheit im kulturellen Bereich ist entscheidende Voraussetzung einer Weltmachtstellung. Ein Blick auf europäische Verhältnisse:
Daß Europa stark amerikanisiert wird bzw. wurde, erklärt sich durch seine ehemalige Satellitenstaat-artige Rolle gegenüber Supermacht USA. Kaum werden die Amerikaner nicht mehr gebraucht, entsteht deutliche Abneigung gegen jene importierte Kultur. Das Anfangsstadium der Amerikanisierung ist derzeit in Osteuropa beobachtbar, wo die USA politischen, militärischen und wirtschaftlichen Einfluß üben. Wohl kann man dasselbe Endstadium voraussagen wie bei uns: wenn eine Gesellschaft glaubt, genug fremde kulturelle Substanz aufgenommen zu haben, um sozusagen in die kulturelle Welt-Oberschicht vorgerückt zu sein, schickt sie sich an, ihre eigene Kultur zu produzieren; besonders, wenn sie vom Kulturbringer politisch unabhängig geworden ist.
In der islamischen Welt lief und läuft ein ähnlicher Prozeß ab: eingezwängt zwischen zwei Supermächten, aber stark beeinflußt vom Phänomen „USA“, hat man schließlich gelernt, was man zu brauchen meint, um festzustellen, daß die eigene Kultur bzw. die eigenen Verhältnisse von jener Lehrmeister-Kultur oder vielmehr ihren Expansionsmethoden bedroht werden. Die praktisch gezogenen Lehren aus dieser Einsicht sind allbekannt: man versucht jetzt, der Welt seine eigene Kultur/Ideologie aufzuzwingen, weil dies als die abgeschaute Weltbeherrschungs-Formel gedeutet wird.[3]
(Die Übertragung einer Ideologie von einem Land zum anderen ist zu unserer Zeit auch unter dem Unwort ‚Demokratie-Export’ bekannt. Bestimmte Voraussetzungen lassen ihn gelingen, manche ihn scheitern; ein guter Vergleich ist der „Kommunismus-Export“ der Sowjetunion, der vielleicht daran scheiterte, daß in betroffenen Ländern eine intellektuelle und auch wirtschaftliche (Mittel-)Schicht existierte, die an einer Demokratie regstes Interesse besaß. (Gerade deren Fehlen läßt Demokratie-Experimente scheitern, wie etwa im Irak und vielleicht auch in Afghanistan.) )
Von der Welt zurück zu China: eine solche ideologische oder kulturelle Weltoffensive können die Chinesen nicht unternehmen; eine Staatsideologie, die ihre Opposition mit Panzern überfährt oder sonstwie zu Tode bringt und mißhandelt, ist noch lange nicht in der zivilisierten Welt angekommen; sie wirkt abstoßend.
Chinas universalistische Kultur, die das Allgemeine über das Individuum stellt, ist nicht kompatibel mit der sogenannten Weltkultur, die keineswegs zu jener Selbstgenügsamkeit fähig ist, für die der chinesische Mensch so beispielhaft steht.[4] Für den westlichen (Konsum-)Menschen ist nichts Aufregendes oder Intensives dahinter, was sein Lebensgefühl steigern könnte. Wie bezeichnend, daß die asiatische Kultur als Mittel für Krankenerholung vom Zivilisationsstreß dient!
Kurz gesagt: es gibt viele Menschen, die sich an der amerikanischen Lebensart (Konsum, Lebensgenuß aller Art, gesellschaftlicher Erfolg, extreme Redefreiheit usw.[5]) begeistern, sehr wenige aber, die in diesem Sinne geistige Chinesen werden möchten! Wenn dies so wäre, würden sich chinesische Kulturgüter massenhaft verkaufen lassen – sie tun es aber nicht. China ist zu keiner kulturellen Weltherrschaft befähigt.
Ein weiteres Hindernis besteht in seiner komplizierten, fremdartigen Sprache, die unmöglich das Englische ablösen kann (welche Sprache könnte dies überhaupt?). Nicht einmal Ansätze davon sind beobachtbar, was eine kulturelle Verbreitung beweisen oder ermöglichen würde.

 

Fussnote(n):
[1] Napoleon hat den Ausspruch getan, China sei ein schlafender Gigant.
[2] Gibt es chinesische Fremdwörter in westlichen Sprachen? Ein Vorhandensein würde eine Kulturkompatibilität kennzeichnen; dies aber ist nicht der Fall.
[3] Ähnlich dazu die Beziehungen China-Sowjetunion, die mit unterwürfiger chinesischer Aufnahmebereitschaft für Ideologie und Technik begannen und schließlich in Feindschaft und schweren Grenzkonflikten umschlugen.
[4] Dies soll keineswegs eine Wertung, Erklärung oder Simplifizierung der chinesischen Kultur sein, die keinerlei Vergleich zu scheuen braucht. Mir geht es um die Wirkung Chinas auf die übrige Welt.
[5] Eine vielleicht diskussionswürdige Überlegung: garantiert gerade die übertriebene gesellschaftliche Sanktionierung der amerikanischen Lebensart (diese vereinfacht erklärt: nur der materielle Erfolg zählt) eine gewalttätige Gesellschaft? Denn schließlich kann nicht jeder die vorgesetzten Ideale auf legale Weise erfüllen, also wählt er das Verbrechen als Weg zum Erfolg. Etwas anders – nämlich friedlicher - präsentiert sich der asiatische Raum, der seine Ideale auf anderen Ebenen ansiedelt.

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