Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Röhrer-Ertl, Friedrich Ulf

 
 

Zwei Wappenprogramme des Alten Hofes
oder: vom Feminismus des 15. zum Posthistorismus des 20. Jahrhunderts

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Extra bavariam non est vita
Si est vita, non est ita![1]
 

 
Große Dinge verlangen, daß
man von ihnen schweigt oder
groß redet; gross, das heißt
cynisch und mit Unschuld.

- Friedrich Nietzsche
 

  Einleitung
Nun aber ist ein Turm darunter, / An dem kann sehen einer Wunder, / Den Meister soll man billig loben, / Spitzig ist er unten und oben, / Rührt weder Erd noch Himmel an, / Tut dennoch unbeweglich stahn. [2] Wer kennt ihn nicht, den Reim von Thomas Greidl aus Steinfelden, der volkstümlich den Erker im Alten Hof besingt? Und wer ist nicht, zumindest wenn er in München zur Schule ging, schon einmal in dem ein wenig versteckten Geviert zwischen den Touristenschwemmen Marienplatz, Residenz und Platzl gestanden und hatte vor Turm und Erker stehend gehört, auf was für historischen Boden man stünde, in der Residenz Heinrichs des Löwen [3] und Ludwigs des Bayern, genau, des Kaisers, der einmal als Baby von einem Affen auf ebendiesen Erker entführt worden war! Mehr oder weniger andächtig [4] hörten wir als Schüler damals zu und versuchten dann, nach Möglichkeit alles so schnell wie möglich wieder zu vergessen.
 

  Der ein oder andere von uns mochte dann zwar zu einem späteren Zeitpunkt, von unerklärlicher Neugierde gepackt, nachschlagen und feststellen, daß sich die Geschichte mit dem Affen am dementsprechend benannten Affenturm zugetragen haben soll, der sich in der Nähe der Lorenzkapelle befand und mit ihm um 1816 abgetragen wurde [5].
Daß Torturm und Erker des Alten Hofes auch Wappen trugen, registrierte man damals wie später nur am Rande, am ehesten fielen einem noch die Fassadenbemalung mit Rauten ("dem uralten Wappenbild der Wittelsbacher", wenn auch erst später von den Grafen von Bogen ererbt) und andere Details, wie der Brunnen aus verwittertem Rotmarmor und das von Wimmerscher Ästhetik geprägte Reiterdenkmal Ludwigs des Bayern auf. [6]
Im Rahmen der seit 2001 laufenden Umgestaltung des Alten Hofes durch private Investoren und den Freistaat Bayern und der Einrichtung einer Dauerausstellung in noch erhaltenen Gewölben von Burg- und Zwingerstock wurde Verf. gebeten, die noch vor Ort befindlichen Wappenprogramme am Torturm und zu analysieren. Auf seine naïve Frage hin, ob das denn nicht schon längst von einem der eifrigen Heimatforscher des 19. Jahrhunderts hinreichend erforscht worden sei, folgte die Antwort, daß die Malereien erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgedeckt bzw. entstanden seien. Tatsächlich konnten weder von Auftraggebern noch von Verf. eine Publikation gefunden werden, die mit mehr als einer Fußnote auf die Wappen einginge [7] und keine, die bisher eine Deutung der Programme versucht hätte. Daß ein so wichtiger Ort bayerischer Geschichte auf diesen Aspekt hin noch nicht untersucht wurde, scheint erstaunlich; doch angesichts der momentan aufgeführten geschmacksnegativen Neubauten und der Qualität der Nachkriegsbauten, die sie ersetzen, darf einen dann wohl nichts mehr überraschen.
 

  Nicht bearbeitete Wappenprogramme
An dieser Stelle muß ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß es, soweit bekannt, noch mindestens zwei weitere Wappenprogramme am Alten Hof gegeben hat, auf die an dieser Stelle nicht eingegangen werden soll. Dabei handelt es sich zum einen um die Wappen an Schlußsteinen und Widmungstafel der 1816 abgerissenen Lorenzkapelle. Zum anderen handelt es sich um die Fragmente einer Wandmalerei, die um 1850 in heute nicht mehr einwandfrei identifizierbaren Räumlichkeiten ("Ahnensaal") des Alten Hofes aufgefunden wurden. [08] Sie außerhalb dieser Studie zu halten war aus Zeitgründen notwendig, aber vertretbar, da sich die Wappen des Erkers (selbstverständlich auch nicht die des Turmes) nicht auf die späteren bzw. früheren Wappenprogramme von Wandmalerei und Kapelle beziehen. Sie jeweils für sich zu beschreiben und in ihrem Kontext zu interpretieren bleibt daher eine reizvolle Aufgabe für die Zukunft.
 

Fussnote(n):
[1] Verf. möchte an dieser Stelle betonen, wie bedauerlich es ist, daß scheinbar noch niemand endgültig der Frage nachgegangen zu sein scheint, wo obiger Spruch nun eigentlich wirklich herrührt, obschon er ihm für das moderne bayerische Selbstverständnis ebenso bedeutsam erscheint wie das Pollinger “Liberalitas Bavariae”.
[2] Zitiert nach Bekh (1996), S. 22.
[3] Man bedenke, dem charmanten Gründer Münchens und notorischen Zündler, zumindest, was Brücken angeht.
[4] Schließlich war das bei Verf. vor der Zeit von Game Boy und Pokémon, sozusagen in der “guten alten Zeit”.
[5] Daß Kapelle und Turm in dieser Form vielleicht erst unter demselben Kaiser Ludwig dem Bayern erbaut worden sind, der doch als Baby dorthin entführt worden sein soll und daß die große Zeit des alten Hofes als Tiermenagerie noch später war, fällt gegenüber dem nun restlos zerstörten Vertrauen gegenüber Lehramtspersonen dann kaum noch ins Gewicht. Acta est fabula, in der Tat. Zur Bedeutung des Alten Hofes als Residenz Ludwig IV. vgl. den wohltuend entmythisierenden Artikel von Menzel (2003), zum Alten Hof als Tiermenagerie Oelwein (2004), SS. 65-74. Eine Version der wahrscheinlich erst im 19. Jahrhundert entstandenen Affensage findet sich bei Bauer (1994), S. 102.
[6] Hier wie im Folgenden sei als Grundlage auf Burmeister (1999), sowie Behrer (2001), SS. 27-59 verwiesen, wobei keine der beiden Publikationen als ideal beschrieben werden kann. Eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Bau-, Kunst- und Kulturgeschichte des Alten Hofes stellt ein Desideratum dar.
[7] Bei Burmeister (1999), S. 48, Fußnote 93. die dortige Identifikation, obere Reihe: “Pfalz-Bayern, Herzogtum Cleve / Visconti von Mailand, Pfalz-Bayern / Ludwig d. Bayer, Tirol (Farben vertauscht), Habsburg / Herzogtum Braunschweig, Pfalz-Bayern / Markgrafschaft Brandenburg, Pfalz-Bayern” Untere Reihe: “Pfalz-Bayern, Grafen von Görz / Tirol (Farben vertauscht), Pfalz-Bayern / Pfalz-Bayern, Österreich – Steiermark / Herzoglich bayerisches Wappen / Bayerisches Staatswappen (seit 1950)” Der Vergleich mit der hier vorgelegten Deutung sei jedem Leser für sich überlassen.
[8] Die um 1460 vielleicht von Gabriel Mäleßkirchner geschaffenen Fresken zeigen eine Reihe der Herrscher Bayerns von den Anfängen bis zum wahrscheinlichen Auftraggeber Sigismund von Bayern in Form von Halbfiguren mit Wappen und Versinschriften. Neben den erhaltenen Fragmenten ist der Zyklus dabei durch mehrere Abschriften sowie eigenständig abgeleiteten Zyklen in Amberg und Heidelberg dokumentiert. Sowohl die erhaltenen Malereien als auch die Wappensteine der Lorenzkapelle befinden sich heute in den Sammlungen des Bayerischen Nationalmuseums. Zu den Fresken und ihrer Geschichte Burmeister (1999), SS. 48ff., ebenso Glaser, Katalog (1980), SS. 27, 78f.

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