An der Interpretation
des Artikels 13 der Bundesakte drohten sich die größten Gegensätze zu
entzünden. Es war zu erwarten, daß Österreich eine Interpretation im Sinne von
altständischen Verfassungen durchsetzen wollte. Metternich erkannte allerdings,
daß bereits erlassene Verfassungen nicht mehr geändert werden konnten – zudem:
sein „konservative[s] Ordnungssystem schloß den restaurativen Staatsstreich
aus“.[67] So verzichtete er auf eine Definition des Terminus ‚landständische
Verfassungen’, und es wurde nur festgelegt, daß der Monarch Träger aller
Staatsgewalt sein müsse, wobei er in der Ausübung an die Mitwirkung der Stände
gebunden werden könne (Artikel 57). Ferner wurde anerkannt, daß die
Verfassungen der Einzelstaaten nur durch die landesrechtlich vorgesehenen Wege
abgeändert werden durften (Artikel 56) – Eingriffen von Bundes Wegen somit
von Bundes Wegen vorgebeugt.[68]
Obwohl die Erfolge auf den Wiener Ministerialkonferenzen nicht ohne die
Zugeständnisse des österreichischen Staatskanzlers hätten erreicht werden
können, wurde Zentner für seine Verhandlungskünste in München hoch gelobt.[69]
Auf Drängen Zentners und Metternichs erhob die Bundesversammlung die in der
Wiener Schlußakte am 16. Mai 1820 unterzeichneten Beschlüsse am 8. Juli 1820 zu
einer Supplementärakte zur Bundesakte – die Verfassungsentwicklung des Bundes
wurde somit abgeschlossen.[70] Ferner fand mit Bayerns Zustimmung zur Wiener
Schlußakte auch die Suche nach einer Grundlinie der bayerischen Außenpolitik
ein Ende. Bayerns sich in Karlsbad abzeichnende Annäherung an Österreich hatte
in Form der Einordnung in den Deutschen Bund einen Abschluß gefunden.
Schlußbetrachtung
Schwere Gewitterwolken
am politischen Horizont, welche die verfassungsmäßige Entwicklung des Landes
mit der ernstesten Gefahr bedrohten? Wahrlich ja!
Hatte Bayern in den
beiden Jahren nach dem Wiener Kongreß erfolglos versucht, eine
gleichberechtigte Stellung mit den beiden deutschen Großmächten Preußen und
Österreich zu erreichen, wich diese Außenpolitik nach Montgelas Sturz dem
Bestreben, ein Drittes Deutschlands der Klein- und Mittelstaaten unter Bayerns
Führung zu bilden. Durch den Erlaß der Verfassung von 1818 stellte das
Königreich sich zum einen an die Spitze der konstitutionellen Bewegung und versuchte
zum anderen, diese mit der Politik des Dritten Deutschlands zu verbinden. Dies
mußte den entschiedenen Widerstand Österreichs hervorrufen.
An dieser Stelle kamen
die turbulenten Debatten der bayerischen Kammer der Abgeordneten und die
Ermordung Kotzbues durch einen bayerischen Staatsbürger der österreichischen
Politik unter Metternich wie gerufen. Gaben diese Ereignisse doch den
‚willkommenen Anlaß’, Bayern außenpolitisch unter Druck zu setzen und die
Revolutionsfurcht des bayerischen Königs gegen die konstitutionelle Bewegung zu
instrumentalisieren.
So kam es, daß Bayern
bei den Vorbereitungen zu den Karlsbader Konferenzen eine tragende, ja teils
initiierende Rolle spielte. Man wollte den restaurativen Elementen des
Deutschen Bundes mit Wohlwollen begegnen, um sich aus einer außenpolitischen
Sackgasse zu befreien. Statt dessen manövrierte Bayern sich in ein innen- und
verfassungspolitisches Dilemma. Durch die bisher geheim gehaltenen Ergebnisse
der Karlsbader Konferenzen aufgeschreckt, begannen der Kronprinz und der
liberale Finanzminister Lerchenfeld eine Opposition zu formieren. Ludwig
brachte seinen Unmut unmißverständlich zum Ausdruck, der Finanzminister legte
die Unvereinbarkeit der Karlsbader Beschlüsse mit der bayerischen Verfassung
dar, der Justizminister wollte mit der ganzen Sache gleich gar nichts zu tun
haben. – War der liberalen Opposition doch nicht bekannt, daß in Karlsbad die
Verfassung verteidigt, ja sogar schlimmeres verhütet worden war. Die
Durchsetzung des von Lerchenfeld geforderten Verfassungsvorbehaltes bewirkte
allerdings einen außenpolitischen Eklat. Bayern, das den Beschlüssen in
Karlsbad und Frankfurt zugestimmt hatte, setzte sich nun über seine erteilte
Zustimmung hinweg.
Doch sollte diese
außenpolitische Krise nur von kurzer Dauer und ohne direkte Folgen sein. Viel
nennenswerter erscheinen die langfristigen Auswirkungen. Bayern hatte sich
durch den Verfassungsvorbehalt – sollte er auch nur die Untertanen
zufriedenstellen – weiter in außenpolitische Bedrängnis gebracht. Wie bei den
Vorbereitungen zu den Karlsbader Konferenzen mußte nun ein weiteres Mal
außenpolitische Zuverlässigkeit bewiesen werden. Unter diesen Vorzeichen ist
auch die Durchführung der Karlsbader Beschlüsse in Bayern zu sehen. Denn der
Verfassungsvorbehalt wirkte sich entweder rechtlich nicht aus – wie im Falle
der Exekutionsordnung – oder wurde durch die restriktive Durchführung der
Karlsbader Beschlüsse praktisch hinfällig.
So erscheint auch die bayerische, sich eng an Österreich anlehnende
Politik auf den Wiener Konferenzen nicht verwunderlich. War sie doch das letzte
Mittel zur Verteidigung der eigenen Souveränität. Hatte der bayerische
Verhandlungsführer Zentner auch einige Erfolge zu verzeichnen, so ist
hervorzuheben, daß hierfür weder dessen Verhandlungsgeschick, noch wohlwollende
Zugeständnisse Metternichs ausschlaggebend waren. Der österreichische
Staatskanzler hatte vielmehr erkannt, an mittlerweile gefestigten Tatsachen
nichts ändern zu können, ohne einen außenpolitischen Schaden für Österreich zu
riskieren. Einen symbolischen Höhepunkt fand die österreichisch-bayerische
Annäherung in Wien mit dem Vorschlag Zentners und Metternichs, die
Verhandlungsergebnisse zu verfassungsmäßigem Bundesrecht zu erheben. Bayern
akzeptierte mit seiner endgültigen Anlehnung an Österreich auch seine
Einordnung in den Deutschen Bund. Es verwundert wenig – wenn man die
anfängliche Umsetzung der Karlsbader Beschlüsse betrachtet –, daß Bayern im
Jahre 1824 der Verlängerung der Karlsbader Beschlüsse zustimmte.
Empfohlene Zitierweise:
Hofmann, Andreas C.: „Schwere Gewitterwolken am politischen Horizont“. Eine Einordnung der Karlsbader Beschlüsse in die bayerische Außenpolitik von 1815 bis 1820, in: Aventinus. Die Historische Internetzeitschrift von Studenten für Studenten [Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07], www.aventinus.geschichte.uni-muenchen.de/index.php?ausg=3&id=55&subid=49 [Letzter Aufruf am xx.xx.xxxx]
Hofmann, Andreas C.
geb. 13.6.80
Abitur 2000 am Dom-Gymnasium Freising
Magisterabschluß in Neuerer und Neuester Geschichte im Sommer 2006
seit September 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Universität München, Lehrstuhl Prof. Dr. Wolfram Siemann