Vor 200 Jahren, am 6.August 1806, legte Franz II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, dieKarlskrone nieder und erklärte das Reich für aufgelöst.[1] Für ihn kein allzu großer Rangverlust, hatte er dochzwei Jahre zuvor schon den Titel eines Kaisers von Österreich angenommen. Auchkam dieser Schritt weder grundlos, noch aus völlig heiterem Himmel. Vielmehrwar er die Folge eines komplizierten Gemischs innen- und außenpolitischerVerwicklung, die hier weder darstellbar sind, noch eigentlich wichtig. Wichtig wäre nur zu wissen, dass als innenpolitischer 'Anfang vom Ende' meistder sogenannte Reichsdeputationshauptschluss – eigentlich 'Hauptschluß der außerordentlichenReichsdeputation vom 25. Februar 1803[2] - gesehen wird, das letzte große Gesetz, welches die politische Struktur desReichs radikal veränderte. So radikal, dass in der Rückschau ein Überleben desReiches nur selten als wirkliche historische Alternative in Betracht gezogenwird.
Der Reichsdeputationshauptschluss
Doch der Reihe nach: Die Französische Revolution veränderte nicht nur
ihr Heimatland radikal. Seit 1792 – und bis zur endgültigen Verbannung
Napoleons 1815 – befand sich Frankreich im nahezu dauernden Kriegszustand mit
dem Rest Europas, bekannt als Koalitionskriege. Dabei gelang es den Franzosen
bereits sehr früh, die linksrheinischen Gebiete des Reichs zu besetzen. Der
'Frieden von Lunéville' (1801) bedeutete das Ausscheiden des Reiches aus der
(bereits zweiten) Koalition, und die Anerkennung der französischen Eroberungen.
Die Reichsfürsten, die linksrheinische Gebiete verloren hatten, sowie der
ebenfalls 'landlos' gewordene Großherzog der Toskana sollten durch ein
Reichsgesetz entschädigt werden. Dieses Gesetz wurde der
Reichsdeputationshauptschluss (RDH). Entschädigt wurden die Reichsfürsten auf
Kosten nahezu aller geistlichen Territorien, kleinerer weltlicher Territorien
und der meisten Reichsstädte, wobei einige Länder (wie Preußen, Baden und
Bayern) weit großzügiger entschädigt wurden, als sie tatsächlich linksrheinisch
geschädigt waren.
Damit veränderte sich die Landschaft des Reiches
radikal. Von ursprünglich über tausend reichsunmittelbaren Territorien blieben
nur etwas über dreißig bestehen, aus einem Zusammenschluss von
Fürstentümern verschiedenster Größe, die wie ein Flickenteppich über das Reich
und darüber hinaus verteilt waren, wurde ein System mittel- bis großer
Flächenstaaten. Das „Heilige“ Reich hatte alle seine geistlichen Herrscher
ihrer weltlichen Macht entrissen. (Mit Ausnahme des Erzbischofs von Regensburg
und des Deutschen Ritterordens).
Die mit den Entschädigungsklauseln einhergehende Säkularisation machte
sicher das folgenreichste Element des RDH aus und ist in ihren Auswirkungen
auch heute noch wahrnehmbar, [3]doch nahm sie nur dreißig
der achtundneunzig Artikel des RDH ein. Weitere Artikel beschäftigen sich mit
der Versorgung der säkularisierten und mediatisierten Fürsten, ihrer Beamten
und Diener, sowie Bestimmungen zum Fürstenrat und Regeln zum Rheinzoll.
Und mit der Einrichtung vier neuer Kurwürden. Gerade diese Bestimmungen
erscheinen in der Rückschau eher uninteressant, zumindest wenn man das baldige
Ende des Reiches als unvermeidlich ansieht. Doch gerade dann stellt sich die
Frage nach dem 'Warum?' dieser Bestimmungen, die ich im Folgenden zu
beantworten versuche.