Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Kröss, Katja

 
 

Anleitungen zum Frieden
Religion und Politik im Leviathan. Ein Rekonstruktionsversuch

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„…nicht die bloßen Worte, sondern das Ziel des Verfassers wirft das wahre Licht, in dem jede Schrift auszulegen ist, und jene, die sich auf einzelne Stellen versteifen, ohne den Hauptzweck in Betracht zu ziehen, können aus ihnen nichts klar ableiten, sondern werfen Schriftatome wie Staub vor die Augen der Menschen und machen dadurch eher alles dunkler als es ist…“
 
    Hobbes, Leviathan XLIII  

  Hobbes’ Leviathan gilt als eines der folgenreichsten Werke der politischen Theorie. Diese Behauptung bezieht sich allerdings vor allem auf die beiden ersten Bücher – Vom Menschen und Vom Staat, in deren Verlauf Hobbes seinen berühmten Vertrag konstruiert. Vernachlässigt hingegen werden meist die zwei nachfolgenden – Vom christlichen Staat und Vom Reich der Finsternis. Das geht sogar so weit, dass, wie im deutschsprachigen Raum, einige der erfolgreichsten Verlage sich in ihrer Edition des Leviathan ganz und gar auf den ersten Teil des Werkes beschränken – mit der Folge, dass der zweite immer mehr in den Hintergrund rückt. Der Intention des Autors aber kann dies schwerlich entsprechen, wie bereits sein an den Anfang dieses Aufsatzes gestelltes – im Leviathan allerdings auf die Auslegung der Bibel gemünztes – Zitat beweisen müsste: Will man den wahren Zweck eines Werkes erfahren, muss man immer das gesamte im Auge behalten. Auf den Leviathan übertragen heißt das, dass die religiöse Thematik, der nicht etwa kümmerlich auf einigen wenigen Seiten etwas Aufmerksamkeit widerfährt, sondern die mehr als die Hälfte des gesamten Werkes einnimmt, nicht übergangen werden darf. Im Folgenden soll deshalb, ausgehend von der These, dass Hobbes das Verhältnis zwischen Religion und Staat zugunsten letzterem einer eindeutigen Lösung zuführt, zu erläutern beziehungsweise rekonstruieren versucht werden, wie die destabilisierenden Tendenzen des von Hobbes am eigenen Leib erfahrenen Problemfaktors (christliche) Religion neutralisiert werden.  

 

1 Prämissen

Religion als anthropologische Konstante

In der modernen Forschung wird ein großer Bogen um die Frage, ob Hobbes denn ein Atheist gewesen sei, wie es ihm seine Zeit vorwarf, oder nicht, gemacht. Das liegt nicht nur daran, dass eine Antwort darauf kaum zu geben ist – „denn nur Gott kennt die Herzen“ [1], und auch nicht nur daran, dass sie im Prinzip irrelevant ist – wollte Hobbes zu seiner Zeit den idealen, friedlichen Staat entwerfen, kam er an Religion als faktischem Problem- und Spannungsverursacher nicht vorbei [2]. Nein, es ist auch Hobbes selbst, der Verwirrung stiftet, indem er uns im Leviathan mit zwei Göttern konfrontiert, die unterschiedlicher kaum sein könnten [3]. Da ist zum einen Gott als – auch wenn diese Gleichsetzung dem englischen Philosophen sicher nicht zur Freude gereichen würde –, mit Aristoteles gesprochen, „unbewegter Beweger“, als prima causa, der Gott der Philosophen. Zum anderen sind da aber auch die historischen Götter. Anders ausgedrückt: auf der einen Seite ratio, auf der anderen fides. Der eine entspringt der wissenschaftlichen Neugier, als „Gott der Erkenntnistheorie“ [4], die anderen der (vollkommen natürlichen) menschlichen Schwäche. Hobbes entwirft hier eine „teologia sperimentale“ [5], eine Theologie, die der eigenen Erfahrung entspringt: Gott wird als All-Macht empfunden, der sich der Mensch in seiner Schwäche beugen muss; er kann gar nicht anders, als sich ihm zu fügen und zu unterwerfen. Religion ist für Hobbes demnach „eine anthropologische Konstante, deren Keim der menschlichen Natur nie ganz ausgetrieben werden kann“ [6]. Deshalb, und weil Religion von jeher von Menschen mit politischen Interessen instrumentalisiert wird, mit dem Ziel, „die Menschen, die sich ihnen anvertrauten, zu Gehorsam, Befolgung von Gesetzen, Frieden, Nächstenliebe und zur bürgerlichen Gesellschaft zu erziehen“ (Lev. XII, 85), muss sich auch die Politik für Hobbes notgedrungen mit ihr beschäftigen.
 

 

Der (historische) Gott der Christen

Die unterschiedlichen Ängste, die in den Menschen wirken, führen dazu, dass „ebensoviel Götter erdichtet werden als es Menschen gibt, die sie erdichten“ (Lev. XII, 83): Polytheismus ist somit eine logische Konsequenz. Was aber ist mit dem einen, „wahren“ Gott, dem Gott des Christentums, der uns im zweiten Teil des Leviathan begegnet? Mit der Beantwortung dieser Frage wird erstmals die Interdependenz deutlich, in der der natürliche Gott und der christliche Gott stehen – eine Interdependenz, die nicht oft, aber doch an essentiellen Stellen immer wieder durchscheint [7]. In diesem Fall äußert sie sich darin, dass mit der Feststellung einer causa prima, die für Hobbes ohne jeden Zweifel existiert und die die Menschen Gott nennen – die Benennung ist im Gegensatz zur Existenz allerdings nicht zwingend –, eine wissenschaftliche Ableitung des Monotheismus erfolgt, denn im Gegensatz dazu begeht jeglicher Polytheismus den Fehler, die causa prima zu verkennen und sich stattdessen auf die causae secundae zu referieren [8]. Da wir nun lediglich ein ontologisches Wissen über Gott haben – „… die Natur Gottes ist unbegreiflich, das heißt, wir verstehen nicht, was er ist, sondern nur, daß er ist“ (Lev. XXXIV, 302) –, muss der eine Gott des Christentums konsequenterweise „wahr“ sein: Fehlinterpretationen beim Füllen des Inhaltes „Gott“ hingegen sind nach dieser Definition logisch kaum vermeidbar.
 

Fussnote(n):
[1] Thomas Hobbes: Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates. Herausgegeben und eingeleitet von Iring Fetscher, Neuwied/ Berlin 1966 (im Folgenden: Lev.), XL, 360
[2] Vgl. auch Springborg, P. (1975): Leviathan and the Problem of Ecclesiastical Authority, in: King, P. (Hrsg.): Thomas Hobbes. Critical Assessments. Volume IV: Religion, London/ New York 1993, 136.
[3] Vgl. Lev. XI und XII, 80-85.
[4] Grossheim, M.: Religion und Politik. Die Teile III und IV des Leviathan, in: Kersting, W. (Hrsg.): Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, Berlin 1996, 283-315, hier 287.
[5] Bellussi, G. (1967): La prospettiva religiosa nella filosofia civile di Thomas Hobbes, in: King, P. (Hrsg.): Thomas Hobbes. Critical Assessments. Volume IV: Religion, London/ New York 1993, 73-82, hier 75.
[6] Grossheim, Religion 1996, 186
[7] Vgl. auch Pacchi, A.: Il dio dei filosofi e il dio della bibbia, in: Filosofia e teologia in Hobbes. Dispense del Corso di Storia della Filosofia per L’A.A. 1984-’85, Mailand 1985; 131-139, hier 137 f. Anders: Grossheim, Religion 1996, 287.
[8] Vgl. Grossheim, Religion 1996, 286.

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