„…nicht die bloßen Worte, sondern das Ziel des Verfassers wirft das wahre Licht, in dem jede Schrift auszulegen ist, und jene, die sich auf einzelne Stellen versteifen, ohne den Hauptzweck in Betracht zu ziehen, können aus ihnen nichts klar ableiten, sondern werfen Schriftatome wie Staub vor die Augen der Menschen und machen dadurch eher alles dunkler als es ist…“
Hobbes, Leviathan XLIII
Hobbes’ Leviathan
gilt als eines der folgenreichsten Werke der politischen Theorie. Diese
Behauptung bezieht sich allerdings vor allem auf die beiden ersten Bücher – Vom Menschen und Vom Staat, in deren Verlauf Hobbes seinen berühmten Vertrag
konstruiert. Vernachlässigt hingegen werden meist die zwei nachfolgenden – Vom christlichen Staat und Vom Reich der Finsternis. Das geht sogar
so weit, dass, wie im deutschsprachigen Raum, einige der erfolgreichsten
Verlage sich in ihrer Edition des Leviathan
ganz und gar auf den ersten Teil des Werkes beschränken – mit der Folge, dass
der zweite immer mehr in den Hintergrund rückt. Der Intention des Autors aber
kann dies schwerlich entsprechen, wie bereits sein an den Anfang dieses
Aufsatzes gestelltes – im Leviathan
allerdings auf die Auslegung der Bibel gemünztes – Zitat beweisen müsste: Will
man den wahren Zweck eines Werkes erfahren, muss man immer das gesamte im Auge
behalten. Auf den Leviathan
übertragen heißt das, dass die religiöse Thematik, der nicht etwa kümmerlich
auf einigen wenigen Seiten etwas Aufmerksamkeit widerfährt, sondern die mehr
als die Hälfte des gesamten Werkes einnimmt, nicht übergangen werden darf. Im
Folgenden soll deshalb, ausgehend von der These, dass Hobbes das Verhältnis
zwischen Religion und Staat zugunsten letzterem einer eindeutigen Lösung
zuführt, zu erläutern beziehungsweise rekonstruieren versucht werden, wie die
destabilisierenden Tendenzen des von Hobbes am eigenen Leib erfahrenen
Problemfaktors (christliche) Religion neutralisiert werden.
In der modernen Forschung wird ein großer Bogen um die Frage, ob Hobbes
denn ein Atheist gewesen sei, wie es ihm seine Zeit vorwarf, oder nicht,
gemacht. Das liegt nicht nur daran, dass eine Antwort darauf kaum zu geben ist –
„denn nur Gott kennt die Herzen“ [1],
und auch nicht nur daran, dass sie im Prinzip irrelevant ist – wollte Hobbes zu
seiner Zeit den idealen, friedlichen Staat entwerfen, kam er an Religion als
faktischem Problem- und Spannungsverursacher nicht vorbei [2]. Nein, es ist auch Hobbes
selbst, der Verwirrung stiftet, indem er uns im Leviathan mit zwei Göttern konfrontiert, die unterschiedlicher kaum
sein könnten [3]. Da ist zum einen Gott als – auch wenn diese Gleichsetzung dem
englischen Philosophen sicher nicht zur Freude gereichen würde –, mit
Aristoteles gesprochen, „unbewegter Beweger“, als prima causa, der Gott der Philosophen. Zum anderen sind da aber
auch die historischen Götter. Anders ausgedrückt: auf der einen Seite ratio, auf der anderen fides. Der eine entspringt der
wissenschaftlichen Neugier, als „Gott der
Erkenntnistheorie“ [4], die anderen der (vollkommen natürlichen)
menschlichen Schwäche. Hobbes entwirft hier eine „teologia sperimentale“ [5], eine Theologie, die der eigenen
Erfahrung entspringt: Gott wird als All-Macht empfunden, der sich der Mensch in
seiner Schwäche beugen muss; er kann gar nicht anders, als sich ihm zu fügen
und zu unterwerfen. Religion ist für Hobbes demnach „eine anthropologische Konstante, deren Keim der menschlichen Natur nie
ganz ausgetrieben werden kann“ [6]. Deshalb, und weil Religion von jeher
von Menschen mit politischen Interessen instrumentalisiert wird, mit dem Ziel,
„die Menschen, die sich ihnen
anvertrauten, zu Gehorsam, Befolgung von Gesetzen, Frieden, Nächstenliebe und
zur bürgerlichen Gesellschaft zu erziehen“ (Lev. XII, 85), muss sich auch
die Politik für Hobbes notgedrungen mit ihr beschäftigen.
Der (historische)
Gott der Christen
Die unterschiedlichen Ängste, die in den Menschen wirken, führen dazu,
dass „ebensoviel Götter erdichtet werden
als es Menschen gibt, die sie erdichten“ (Lev. XII, 83): Polytheismus ist
somit eine logische Konsequenz. Was aber ist mit dem einen, „wahren“ Gott, dem
Gott des Christentums, der uns im zweiten Teil des Leviathan begegnet? Mit der Beantwortung dieser Frage wird erstmals
die Interdependenz deutlich, in der der natürliche Gott und der christliche
Gott stehen – eine Interdependenz, die nicht oft, aber doch an essentiellen
Stellen immer wieder durchscheint [7]. In diesem Fall äußert sie sich darin,
dass mit der Feststellung einer causa prima,
die für Hobbes ohne jeden Zweifel existiert und die die Menschen Gott nennen –
die Benennung ist im Gegensatz zur Existenz allerdings nicht
zwingend –, eine wissenschaftliche Ableitung des Monotheismus erfolgt, denn im
Gegensatz dazu begeht jeglicher Polytheismus den Fehler, die causa prima zu verkennen und sich
stattdessen auf die causae secundae zu
referieren [8]. Da wir nun lediglich ein ontologisches Wissen über Gott haben –
„… die Natur Gottes ist unbegreiflich,
das heißt, wir verstehen nicht, was er ist, sondern nur, daß er ist“ (Lev. XXXIV, 302) –, muss der eine Gott
des Christentums konsequenterweise „wahr“ sein: Fehlinterpretationen beim
Füllen des Inhaltes „Gott“ hingegen sind nach dieser Definition logisch kaum
vermeidbar.