Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Hofmann, Andreas C.

 
 

„Schwere Gewitterwolken am politischen Horizont“. Eine Einordnung der Karlsbader Beschlüsse in die bayerische Außenpolitik von 1815 bis 1820[*]

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2.3 Die Durchführung der Karlsbader Beschlüsse in Bayern

Mit seiner Zustimmung zu den Karlsbader Beschlüssen hatte sich Bayern zwar aus außenpolitischer Bedrängnis befreit, eine innenpolitische Krise war wegen der Parteiungen in der Regierung allerdings vorgezeichnet. Eine geheime Ministerkonferenz, an welcher nur Rechberg, Zentner, Feldmarschall Philipp v. Wrede und Innenminister Friedrich v. Thürheim teilnahmen, genehmigte am 4. September 1819 die in Karlsbad gefaßten Beschlüsse einstimmig.[39] Da die deutsche Bundesversammlung an der Karlsbader Konferenz nicht beteiligt war, mußte die Bundesversammlung diese noch ratifizieren. Obwohl die Mehrheit im Engeren Rat durch die Teilnehmer der Karlsbader Konferenzen gesichert war, mußte Metternich Einstimmigkeit erreichen, um die Beschlüsse rechtlich abzusichern. „In einem mehr als fragwürdigen Eilverfahren“ legte der Präsidialgesandte Graf Buol am 16. September 1819 die Entwürfe vor und setzte eine viertägige Frist zur Zustimmung, die am 20. September erfolgte.[40] Da die eingewandten Vorbehalte die Beschlüsse hätten nichtig machen können, wurde eine doppelte Protokollführung angewandt.[41] Nun mußten die Einzelstaaten die Beschlüsse zu ihrer landesrechtlichen Wirksamkeit noch publizieren.[42]

Gegen die bisher selbst in Regierungskreisen geheim gehaltenen Karlsbader Beschlüsse formierte sich nun eine Opposition um den Kronprinzen Ludwig und Finanzminister Maximilian v. Lerchenfeld. Beide sahen in den Karlsbader Beschlüssen zu weit gehende Eingriffe in die Souveränität des Königreichs und hielten sie mit der Verfassung für unvereinbar.[43] Für Ludwig bedeuteten sie darüber hinaus „eine Provokation [...] aufgrund seines [konstitutionellen] Rechtsverständnisses.“[44]

 

  Wenn ich einst Bayerns Krone tragen sollte, (daß dies nicht eher als nach vielen und vielen Jahren geschehe, müssen wir alle wünschen) könnte ich unmöglich die[se ...] Beschränkungen der Bayerns Herrscher zustehenden Rechte annehmen.[45]  

  So Ludwig gegenüber Rechberg, welchem er in Unwissenheit der genauen Umstände vorwarf, mit der Zustimmung in Karlsbad seine Befugnisse überschritten zu haben. Ludwig und Lerchenfeld konnten allerdings nicht ahnen, daß Rechberg in Karlsbad die Verfassung verteidigt, ja sogar gerettet hatte.[46] Nach heftigen Auseinandersetzungen – die nach außen sogar den Eindruck erweckten, es sei „eine Art Anarchie“ unter den Ministern entstanden[47] – beschloß eine allgemeine Ministerkonferenz am 15. Oktober 1819 auf Betreiben Lerchenfelds, die Beschlüsse mit dem Vorbehalt zu veröffentlichen, sofern sie nicht gegen die Souveränität, die Verfassung oder die Gesetze des Königreichs verstoßen sowie die Exekutionsordnung nicht zu publizieren. Außerdem bestritt Bayern durch die Formulierung, es handle sich um „gemeinsame Verfügungen aller Bundesglieder“, den Charakter eines formellen Bundesbeschlusses.[48]  

  Nachdem in der 35. Sitzung der deutschenBundesversammlung [...] gemeinsame Verfügungen aller Bundesglieder beschlossenworden sind, so machen Wir dieselben hiemit bekannt und verordnen, daß unseresämtlichen Behörden und Untertanen mit Rücksicht auf die Uns nach denbestehenden Staatsverträgen und der Bundesakte zustehende Souveränität, nachder Uns unserem treuen Volke erteilten Verfassung und nach den Gesetzen unserenKönigreichs sich hiernach geeignet zu achten (haben).[49]  

  Trotz dieser außenpolitisch riskanten Handlungsweise – der österreichische Gesandte überreichte dem König ein Schreiben des Kaisers, welches „in höflichster Form einige Drohungen enthielt“,[50] der preußische Staatsminister v. Bernstorff war „durch den unerwarteten Vorbehalt schmerzlich befremdet worden“[51] – führte Bayern im Folgenden die Karlsbader Beschlüsse aus.[52] Die spätere Äußerung, der Verfassungsvorbehalt hätte nur die Untertanen zufriedenstellen sollen, führte die gerade erreichte Position zusätzlich ad absurdum.[53] Der Vollzug der Karlsbader Beschlüsse unter Max. I. Joseph läßt sich am besten mit den Worten des preußischen Gesandten v. Zastrow charakterisieren, wonach  

  aller der bisher obwaltenden Widersprüche ungeachtet, [...] im wesentlichen doch von hier aus alles geschehen [ist], was die Karlsbader Beschlüsse vorgezeichnet haben.[54]  

  Denn wie ein Vergleich mit anderen Bundesstaaten zeigt, setzte Bayern das Universitätsgesetz vorbehaltlos um: Es erteilte seinen Regierungsbevollmächtigten – diese firmierten als Ministerialkommissäre – relativ schnell umfangreiche und über das notwendige Maß hinausgehende Instruktionen. Die Ministerialkommissäre überwachten die Lehrveranstaltungen der Dozenten, ihr Verhältnis zur Universitätsleitung konnte sich – wie in Landshut – sogar zu einem „Kleinkrieg“ (R. Schmidt) entwickeln und die Studierenden bekamen das Universitätsgesetz nachhaltiger als in anderen Bundesstaaten zu spüren.[55]  

Fussnote(n):
[39] Büssem: Beschlüsse, S. 437; Klemmer: Rechberg, S. 175; Winter: Wrede, S. 309. – So stimmte auch der scheinbar „völlig überrumpelte“ Vater der Verfassung Zentner den Beschlüssen zu. Doeberl: Entwicklungsgeschichte Bd. 2, S. 568f.; allerdings nicht bei Dobmann: Zentner.
[40] Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800-1866. Sonderausg. München 1998, S. 283.
[41] Während ein öffentliches Protokoll Einigkeit darstellte, trug man Einwände in ein erst 1861 publiziertes Protokoll ein. – Zur juristischen Deutung des in der Forschung teils sogar als „Bundesstaatsstreich“ (E. R. Huber) bezeichneten Vorgehens der in Karlsbad vertretenen Mächte gegenüber der Bundesversammlung vgl. Huber: Verfassungsgeschichte Bd. 1, S. 735-737; Büssem: Beschlüsse, S. 416-424.
[42] Allgem. Huber: Verfassungsgeschichte Bd. 1, S. 600f.
[43] Klemmer: Rechberg, S. 160, 176f.; Aretin: Politik, S. 169; Büssem: Beschlüsse, S. 437f; zur Opposition Ludwigs und Lerchenfeld vgl. auch ihre Briefwechsel in Lerchenfeld: Verfassung, S. 74-86 bzw. Ders.: Papiere, S. 286-295.
[44] Wolfram Siemann: Österreich. Clemens Fürst von Metternich und das Königreich Bayern unter Ludwig I., in: Alois Schmid / Katharina Weigand (Hrsg.): Bayern mitten in Europa. Vom Frühmittelalter bis ins 20. Jahrhundert. München 2005, S. 283-302, hier S. 291.
[45] Kronprinz Ludwig an Rechberg, [undatiert], in: Lerchenfeld: Papiere, Nr. 65, hier S. 289.
[46] Aretin: Politik, S. 177. – Da Rechberg Ludwig nicht bloßstellen wollte, verheimlichte er sein Verdienst, die durch eine verbindliche Interpretation des Artikels 13 der Bundesakte beabsichtigten Eingriffe in die bayerische Verfassung abgewehrt zu haben. Ludwig erlangte erst 1825 durch Rechbergs Rechenschaftsbericht bei dessen Entlassung als Minister Kenntnis von diesen Vorgängen. Klemmer: Rechberg, S. 177f.; Aretin: Politik, S. 178.
[47] Zastrow an König Friedrich Wilhelm III., 20.10.1819, in: Chroust: Preußische Gesandtschaftsberichte Bd. 1, Nr. 134, hier S. 231.
[48] Ausführl. Büssem: Beschlüsse, S. 440-446; vgl. ferner Barbara Széchényi: Rechtliche Grundlagen bayerischer Zensur im 19. Jahrhundert (=Rechtshistorische Reihe Bd. 273). Frankfurt am Main 2003, S. 92f.
[49] Huber: Verfassungsgeschichte Bd. 1, S. 738.
[50] Lerchenfeld: Verfassung, S. 48 [Darstellungsteil]; vgl. auch den ausführl. Brief Metternichs an Rechberg, 25.10.1819, in: Chroust: Österreichische Gesandtschaftsberichte Bd. 1, Nr. 198.
[51] Staatsminister Graf Bernstorff an den Gesandten Zastrow, 1.11.1819, in: Chroust: Preußische Gesandtschaftsberichte Bd. 1, Nr. 135, hier S. 234.
[52] Büssem: Beschlüsse, S. 446; Treitschke: Geschichte Bd. 2, S. 572f.; Laetitia Boehm: Das akademische Bildungswesen in seiner organisatorischen Entwicklung (1800-1920), in: Max Spindler (Hrsg.): Handbuch der bayerischen Geschichte, Bd. 4: Das neue Bayern 1800-1970. Teilbd. 2. München 1975, verbess. ND 1979, S. 991-1033, hier S. 1008; anders Doeberl: Entwicklungsgeschichte Bd. 2, S. 571.
[53] Quint: Souveränitätsbegriff, S. 502.
[54] Zastrow an Friedrich Wilhelm III., 6.11.1819, in: Chroust: Preußische Gesandtschaftsberichte Bd. 1, Nr. 137, hier S. 236.
[55] Andreas C. Hofmann: Bayerische Universitätspolitik zwischen Eigenweg und Bundestreue. Die außerordentliche Ministerialkommission an der Universität Landshut/München 1819-1848. Magisterarbeit [masch.] München 2006, insbes. S. 117f.; zum bayerischen Universitäts- und Studiensystem im Vormärz vgl. Ders.: Studium, Universität und Staat in Bayern 1825-1848. Eine Skizze der Universitätspolitik Ludwigs I., in: Aventinus. Die Historische Internetzeitschrift von Studenten für Studenten [Ausg. 2] (Sommersemester 2006), http://www.aventinus.geschichte.uni-muenchen.de/index.php?id=37&subid=29 [letzter Aufruf am 18.11.2006].

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