Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Hofmann, Andreas C.

 
 

„Schwere Gewitterwolken am politischen Horizont“. Eine Einordnung der Karlsbader Beschlüsse in die bayerische Außenpolitik von 1815 bis 1820[*]

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1. Methoden bayerischerSouveränitätssicherung von 1815 bis 1820[10]

Nachdem Bayern seine zu Beginn des 19. Jahrhunderts gewonnene Souveränität auf dem Wiener Kongreß verteidigt hatte,[11] prägte die außenpolitische Maxime des Souveränitätserhalts die folgenden Jahre. Hierzu versuchte das Königreich bis 1817, eine gleichberechtigte Großmachtstellung mit Österreich und Preußen zu erreichen, wodurch es Eingriffe in seine Souveränität, wie eine Behandlung der Rechte der Mediatisierten verhinderte.[12] Diese Politik wurde maßgeblich von dem durch Georg Friedrich v. Zentner beratenen Außenminister Maximilian v. Monteglas getragen.[13] Nachdem der im Münchener Vertrag vom 14. April 1816 geregelte Gebietsausgleich mit Österreich allerdings die engen Grenzen bayerischer Außenpolitik aufgezeigt hatte, verfocht der bayerische Gesandte beim Bund Aloys v. Rechberg eine gegen die bayerische Großmachtpolitik gerichtete Position, wonach Bayern seine Souveränität nicht ohne einen starken Bund erhalten könne.[14] Seit der Eröffnung des Bundestages Ende 1816 vertrat sein Nachfolger als Gesandter am Bundestag v. Gruben eine derartige Fundamentalopposition, daß einige Bundesstaaten Bayern sogar den Austritt aus dem Bund nahelegten. Nach seiner Wiedereinsetzung als Bundestagsgesandter Anfang 1817 trug Rechberg durch seine Reputation als angesehener Diplomat zu einer Entspannung der Situation bei.[15]
 

  Nachdem Rechberg nach Montgelas Sturz 1817 das Außenministerium übernommen hatte, orientierte sich seine Politik daran, eine Zusammenarbeit der Klein- und Mittelstaaten – des Dritten Deutschlands – unter Bayerns Führung zu etablieren, was allerdings an der Rivalität der Staaten untereinander sowie der Angst vor einer bayerischen Suprematie scheiterte.[16] Um Souveränitätseinbußen durch eine verbindliche Interpretation des Artikels 13 der Bundesakte hinsichtlich landständischer Verfassungen zuvorzukommen und die neubayerischen Gebiete rechtlich in den Staat zu integrieren, erließ Bayern am 26. Mai 1818 eine Verfassung.[17]  

 

2. Bayern und die Karlsbader Beschlüsse

2.1 Vorgeschichte

Der Erlaß der Verfassung führte zu einem Tiefpunkt der bayerisch-österreichischen Beziehungen. Diente sie zum einem der Absicherung der Souveränität des neuen Staatsgebildes, stellte sich Bayern zum anderen an die Spitze der gegen Österreich gerichteten konstitutionellen Bewegung.[18] Die turbulenten Debatten der bayerischen Kammer der Abgeordneten im Frühjahr 1819 brachten das Königreich allerdings in außenpolitische Bedrängnis. Denn Gentz skizzierte diese Debatten in seiner Denkschrift über die bayerische Ständeversammlung sogar als revolutionäre Bedrohung, obwohl „mehr Übereifer als Oppositionsgeist“,[19] weniger „revolutionäre[] Gesinnung, sondern […] gedankenlose[] Unerfahrenheit“ ihre Natur bestimmten.[20]
 

 

Der Mord an dem russischen Staatsrat August v. Kotzebue durch den ehemaligen Erlanger Studenten und bayerischen Staatsbürger Karl Ludwig Sand am 23. März 1819 gab Metternich das „argumentum ad hominem“,[21] den ‚willkommenen Anlaß’, um unter dem Vorwand der „Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands“[22] von Bundes wegen gegen die Opposition des ‚Dritten Deutschlands’ und die konstitutionelle Bewegung vorzugehen.[23] Denn diese Tat und die turbulenten Kammerdebatten riefen die französische Revolution wieder in Erinnerung. Zumal außenpolitisch unter Druck geraten, zweifelte nun auch Bayern an dem eingeschlagenen Weg.[24] Es sei nur auf die in der Forschung unterschiedlich bewerteten Pläne von Teilen der bayerischen Führungsschicht verwiesen, die kürzlich erlassene Verfassung in einem Staatsstreich wieder aufzuheben.[25] In der Entschlossenheit, aus dem Mord politischen Profit zu ziehen, begannen die Vorbereitungen zur Karlsbader Konferenz.[26] Um sich selbst nicht zu kompromittieren, wartete Metternich auf Initiativen anderer Staaten; Rechberg regte bereits am 29. März 1819 gemeinsame Maßnahmen gegen die Universitäten und die Presse an, die er als den größten Gefahrenherd erachtete.[27]

Metternich entschied sich, die mächtigsten und vertrauenswürdigsten Staaten nach Karlsbad zu rufen. Zusätzlich zu den im Vorfeld beteiligten Mächten (Preußen, Bayern, Sachsen, Hannover, Baden, Württemberg) lud er die mecklenburgischen Staaten, Hessen-Nassau und im Verlauf der Verhandlungen Hessen-Kassel ein, um sich der Mehrheit im Engeren Rat der Bundesversammlung sicher zu sein. Der Bundestag sollte durch einen provisorischen Beschluß vor vollendete Tatsachen gestellt werden.[28]

 

Fussnote(n):
[10] Die folgende Einteilung nach Eberhard Weis: Die Begründung des modernen bayerischen Staates unter König Max I. (1799-1825), in: Max Spindler (Hrsg.): Handbuch der bayerischen Geschichte, Bd. 4: Das Neue Bayern. Von 1800 bis zur Gegenwart. Teilbd. 1: Staat und Politik. 2., völl. neu bearb. Aufl., neu hrsg. v. Alois Schmid. München 2003, S. 4-126, hier S. 103f.
[11] Walter Keil: Die Beeinflussung des Wiener Kongresses durch Bayern unter dem Ministerium Montgelas. Phil. Diss. [masch.] Erlangen 1950; Aretin: Politik, Kap. I; Quint: Souveränitätspolitik, Kap. II.1; Winter: Wrede, Kap. IV; Klemmer: Rechberg, Kap. IV; zum Wiener Kongreß vgl. Michael Hundt: Die mindermächtigen deutschen Staaten auf dem Wiener Kongreß (=Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz Bd. 164). Mainz 1996; Karl Griewank: Der Wiener Kongreß und die europäische Restauration 1814/15. 2., völl. neubearb. Aufl. Heidelberg 1954; Peter Burg: Der Wiener Kongreß. Der Deutsche Bund im europäischen Staatensystem. München 31993, S. 9-29, 51-56; die Protokolle bei Johann Ludwig Klüber (Hrsg.): Acten des Wiener Kongresses in den Jahren 1814 und 1815. 9 Bde. Erlangen 1815-1835, ND Osnabrück 1966; vgl. ferner Klaus Müller (Hrsg.): Quellen zur Geschichte des Wiener Kongresses (=Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit Bd. 23). Darmstadt 1986.
[12] Für diese Politik ist folgende Bemerkung Zentners vom August 1815 während der Verhandlungen zur Eröffnung des Bundestages bezeichnend: Der Regent von Bayern sei „‚nach Preußen der erste deutsche Souverain.’“ Quint: Souveränitätsbegriff, S. 401 [Hervorhebung im Original]. – Zum Mediatisiertenproblem vgl. ebd., S. 436-438; Artikel 6 der Bundesakte ließ offen, den im Jahre 1803 mediatisierten Reichsständen Kuriatsstimmen im Plenum der Bundesversammlung zuzugestehen. Huber: Dokumente Bd. 1, S. 87. Dies hätte für Bayern allerdings eine Gefahr für die Integrität des neuen Staatsgebildes bedeutet. Allgem. Heinz Gollwitzer: Die Standesherren. Die politische und gesellschaftliche Stellung der Mediatisierten 1815-1918. Ein Beitrag zur deutschen Sozialgeschichte. 2., durchges. u. erg. Aufl. Göttingen 1964.
[13] Dobmann: Zentner, Kap. VIII.2. – Zu Montgelas ausführl. Eberhard Weis: Montgelas, Bd. 2: Der Architekt des modernen bayerischen Staates 1799-1838. München 2005.
[14] Quint: Souveränitätspolitik, S. 407-416; mit Nachdruck widersprechend Klemmer: Rechberg, Kap. VI.2. – Zum Gebietsausgleich mit Österreich vgl. Alfred Stefan Weiß: Salzburg als Objekt der Außenpolitik in Wien und München 1789-1816, in: Fritz Koller / Herrmann Rummschöttel (Hrsg.): Vom Salzachkreis zur EuRegio – Bayern und Salzburg im 19. und 20. Jahrhundert (=Sonderveröffentlichungen der staatlichen Archive Bayerns Bd. 4 / Schriftenreihe des Salzburger Landesarchivs Bd. 14). München 2006, S. 13-34; Adam Sahrmann: Pfalz oder Salzburg. Geschichte des territorialen Ausgleichs zwischen Bayern und Österreich von 1813 bis 1819 (=Historische Bibliothek Bd. 47). München u.a. 1921.
[15] Klemmer: Rechberg, Kap. VI.3; Quint: Souveränitätsbegriff, S. 429-452; Aretin: Politik, S. 74-87.
[16] Aretin: Politik, Kap. III.1f.; Klemmer: Rechberg, Kap. VI.1; Quint: Souveränitätsbegriff, S. 456-463; Dobmann: Zentner, S. 167f. – Zur Triasidee ausführl. Peter Burg: Die deutsche Trias in Idee und Wirklichkeit. Vom Alten Reich zum Deutschen Zollverein. Stuttgart 1989; gerafft Ders.: Die Triaspolitik im Deutschen Bund. Das Problem einer partnerschaftlichen Mitwirkung und eigenständigen Entwicklung des Dritten Deutschlands, in: Helmut Rumpler (Hrsg.): Deutscher Bund und Deutsche Frage 1815-1866. Europäische Ordnung, deutsche Politik und gesellschaftlicher Wandel im Zeitalter der bürgerlich nationalen Emanzipation (=Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit Bd. 16/17). Wien u.a. 1990, S. 136-161.
[17] Art. 13 der Bundesakte vom 8.6.1815: „In allen Bundesstaaten wird eine landständische Verfassung stattfinden.“ Huber: Dokumente Bd. 1, Nr. 30, hier S. 88. Über die Interpretation des Begriffs ‚landständische Verfassung’ herrschten allerdings unterschiedliche Ansichten. Huber: Verfassungsgeschichte Bd. 1, 640-656. – Zur Entstehungsgeschichte vgl. Wolfgang Mager: Das Problem der landständischen Verfassungen auf dem Wiener Kongreß 1814/15, in: Historische Zeitschrift 217 (1974), S. 296-346, sowie Bernd Wunder: Zur Entstehung und Verwirklichung des Art. 13 DBA, in: Zeitschrift für Historische Forschung 5 (1978), S. 139-185. – Eine geraffte Skizze der bayerischen Verfassung bei Hans-Michael Körner: Geschichte des Königreichs Bayern. München 2006, Kap. II.4.
[18] Quint: Souveränitätsbegriff, Kap. II.3; Aretin: Politik, S. 150.
[19] Bayern: Max I. Joseph, S. 780.
[20] Treitschke: Geschichte Bd. 2, S. 495. – Zu den turbulenten Debatten und der Gentzschen Denkschrift vgl. Büssem: Beschlüsse, S. 159-173; Aretin: Politik, S. 150-157; Klemmer: Rechberg, Kap. VII.3; Winter: Wrede, Kap. VI.5; Lerchenfeld: Verfassung, S. 26-41; Alfred Stern: Eine Denkschrift von Friedrich von Gentz über die erste Baierische Ständeversammlung, in: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 10 (1893), S. 331-339. – Zur Ständeversammlung allgem. Dirk Götschmann: Bayerischer Parlamentarismus im Vormärz. Die Ständeversammlung des Königreichs Bayern 1819-1848. Düsseldorf 2002.
[21] Metternich an Gentz, 9.4.1819, in: Metternich-Winneburg: Papiere Bd. 2.1, Nr. 338, hier S. 227.
[22] Art. 2 der Bundesakte, 8.6.1815, in: Huber: Dokumente Bd. 1, S. 85.
[23] Vgl. nur den Titel von Dirk Götschmann: Ein Attentat mit großen Folgen. Vor 175 Jahren: Ein bayerischer Student ermordet Kotzebue, in: Unser Bayern 43 (1994) 3, S. 19-21. – Zum Mord an Kotzebue neuerdings Frank Mehring: August von Kotzebue – Mannheim 23. März 1819, in: Michael Sommer (Hrsg.): Politische Morde. Darmstadt 2005, S. 157-164; die ältere Forschung verzeichnet bei Herrmann Sand: Bibliographie über Carl Ludwig Sand, in: Einst und Jetzt. Jahrbuch des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung 16 (1971), S. 225-234.
[24] Büssem: Beschlüsse, S. 183; Winter: Wrede, S. 304, 308; Doeberl: Entwicklungsgeschichte Bd. 2, S. 562f.
[25] Treitschke: Geschichte Bd. 2, S. 496f.; abwägend Lerchenfeld: Verfassung, S. 33f.; widersprechend Doeberl: Entwicklungsgeschichte Bd. 2, S. 563-565, um an dieser Stelle nur die ältere Forschungsdiskussion anzuschneiden.
[26] „Zeit ist ebenfalls keine zu verlieren, denn heute fürchten sich die Regierungen genug, um handeln zu wollen; bald wird ihre Furcht [...] zur Lähmung gesteigert sein“. Metternich an Gentz, 7.5.1819, in: Metternich-Winneburg: Papiere Bd. 2.1, Nr. 344, hier S. 243.
[27] Büssem: Beschlüsse, S. 249, 256; Doeberl: Entwicklungsgeschichte Bd. 2, S. 563; Winter: Wrede, S. 304; Rechbergs Vorschläge allerdings nicht bei Klemmer: Rechberg.
[28] Büssem: Beschlüsse, S. 257-262; Huber: Verfassungsgeschichte Bd. 1, S. 734; Klemmer: Rechberg, S. 157. – Im Mai 1817 kam man überein, daß der Engere Rat provisorische (befristete) Bundesbeschlüsse mit einfacher Mehrheit beschließen könne, wobei dies nicht in der Bundesakte verankert wurde und bei Änderungen der Grundgesetze des Bundes weiterhin Einstimmigkeit erforderlich war. Büssem: Beschlüsse, S. 416.

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