Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
Weber, Albert
Ein zeitgeschichtlicher Blick auf Nordkorea
Seit der Auflösung des
bipolaren Mächtesystems ist die Weltpolitik spannungsärmer geworden. Rußland
kann die asiatischen Regionalmächte nicht mehr wie zuvor schützen oder
bedrohen, um sie in ein effektives Bündnissystem einzubauen. Es sind jetzt die
Amerikaner, die auf diesem Kontinent ihre Landgewinne erweitern und versuchen,
politische und wirtschaftliche Satellitenstaaten zu schaffen. Als Reaktion
darauf und wegen regionaler Rivalitäten mit ihren Nachbarn, bemühen sich einige
Staaten um den Status einer Atommacht: von einem Aufstieg zu regional- und
weltpolitischer Bedeutung[1] wird die
Lösung innen- wie außenpolitischer Probleme erwartet.
Muß der
Westen nordkoreanische Atomwaffen fürchten? Ihre Existenz scheint gesichert;
inwiefern Qualität und Quantität dieser Waffen eine ernsthafte Gefahr
darstellen und welche politischen Entwicklungen zu erwarten sind, soll kurz
behandelt werden.
Kim Jong Il droht dem Westen
mit einem Atomkrieg, den er nach eigenen Worten durchaus gewinnbar sieht. Zu einem siegreichen Atomkrieg
gehört die Fähigkeit, den Feind überraschend auszuschalten, bevor er irgendwie
reagieren kann. Sollte es ihm gelingen, muß man selbst befähigt sein, einen
Angriff zu überleben: Kommandostrukturen und Nukleararsenale müssen durch
spezielle Härtungen in der Konstruktion unmittelbaren Atomexplosionen
standhalten. Ziel des Gegen- oder Erstschlags ist die Vernichtung eben dieser
feindlichen Anlagen, der sogenannte ,Enthauptungsschlag’, der Grund für das Wettrüsten
des Kalten Kriegs: baut eine Seite ihr Atomarsenal massiv aus, muß die andere
gleichziehen, um einem Erstschlag standzuhalten, zurückzuschlagen und einen
Dritt-, Viert- oder Fünftschlag folgen zu lassen. Hohe Zielgenauigkeit und
enorme Sprengkraft ermöglichen es, Ziele wie Raketensilos zu vernichten.
Theoretisch wäre es ausreichend, alle feindlichen militärischen Ressourcen
auszuschalten. Da es aber keine absolut gesicherten Aufklärungsinformationen
geben kann, werden auch zivile Strukturen vernichtet, und zwar restlos. Der Atomkrieg blieb aus, weil
keine Seite die andere in einem gezielten Erstschlag vernichten konnte. Im Fall
Nordkorea-USA wird er gleichfalls ausbleiben, weil eine Seite aus Gründen der
Selbsterhaltung keinen nuklearen Konflikt suchen wird: eine regionale Atommacht
kann eine Supermacht nicht besiegen. Die Stärke der Hiroshima-Bombe
betrug etwa 15 Kilotonnen TNT (=15000 Tonnen), amerikanische und
sowjetische/russische H-Bomben liegen bei über 50 Megatonnen (=50 Millionen
Tonnen TNT); es wurden tausende produziert. Die nordkoreanische Bomben
(angeblich weniger als zehn Stück) erreichen nur einige Kilotonnen Sprengkraft
und sind mit einiger Treffsicherheit nur gegen Nachbarländer wie Japan oder
Südkorea einsetzbar. Es ist unwahrscheinlich (aber nicht unmöglich!), daß eine
nordkoreanische Interkontinentalrakete wirklich die USA erreichen würde: die
weite Distanz und das niedrige technische Niveau machen einen Ausfall
wahrscheinlich, ebenso ein Verfehlen der angepeilten (zivilen) Ziele; militärische
Ziele wie etwa Raketensilos sind mit nordkoreanischen Mitteln kaum zu treffen.
Zudem besitzen die USA ein pazifisches Raketenabwehrsystem. Ein amerikanischer
Gegenschlag würde Nordkorea vernichten, das nicht über dutzende Atom-U-Boote,
Stealth-Bomber und loyale Verbündete verfügt.[2]
Nordkorea kann somit die USA
nicht ausschalten, sondern sie lediglich von einem konventionellen
‚Präventivschlag’ abhalten; das nordkoreanische Atomarsenal kann nur defensiv
gebraucht werden. Die Aufrüstung erfüllt den
innenpolitischen Zweck einer Regimestärkung gegen die innere Opposition,
allerdings um den Preis einer überbeanspruchten Wirtschaft; nicht zufällig
fallen die drohende Hungersnot und das Atomprogramm zusammen. Durch die
verhängten Sanktionen wird dies noch sichtbarer: Nordkorea hat Südkorea mit
Krieg gedroht, falls es sich den Sanktionen anschließt (was es nun auch getan
hat). Kim Jong Il gesteht somit seine verfehlte Wirtschaftspolitik ein
(Autarkie als großes Ziel!) und entwertet seine eigene Drohung, denn mit einer
solchen Wirtschaft ist sein Land kriegsunfähig. Außenpolitisch wurden also
keineswegs die vorgesetzten Ziele erreicht: das Wirtschaftsembargo wirkt
destabilisierend auf das Regime. Eine Front der Amerika-Gegner hat sich
keineswegs gebildet, wie Kim Jong Il vielleicht gehofft hatte: China und auch
der Iran haben Nordkorea verurteilt. Unter diesen Umständen werden
die USA nicht eingreifen, sondern auf eine Implosion des stalinistischen
Staates warten. Überhaupt sind die Amerikaner
die Gewinner der nordkoreanischen Aufrüstung: sie können ihre asiatische
Präsenz erhöhen und weltpolitisch von anderen Schauplätzen ablenken. Zudem kann
das lange Zeit kritisierte Raketenabwehrsystem ausgebaut werden – ein Erfolg
für die Bush-Regierung; Rußland kann dagegen nur wenig effizient opponieren. Zu den Verlierern gehört neben
Nordkorea auch China, das über die atomare Emanzipation seines kleinen und
traditionell abhängigen Verbündeten brüskiert ist. Es muß jetzt die
widersprüchliche Politik verfolgen, das nordkoreanische Regime innenpolitisch
zu stützen, es außenpolitisch aber zu schwächen, damit es in der chinesischen
Machtsphäre verbleibt. Die Frage, ob die USA
militärisch eingreifen könnten, sollte dennoch näher betrachtet werden: es ist
scheinbar möglich, durch einen massiven Luftschlag (unterstützt von
Spezialeinheiten am Boden) die nuklearen Ressourcen Nordkoreas zu vernichten.
Eine solche Operation wurde allerdings noch niemals unternommen: 1981 haben
zwar israelische Kampfflugzeuge den irakischen Atomreaktor zerstört[3],
allerdings war dieser Angriff durch Geheimdienste und Aufklärung fast perfekt
vorbereitet; zudem war der Reaktor noch nicht hochgefahren, anders als die
nordkoreanischen Atomanlagen. Von den zivilen Opfern dieser potentiellen
Umweltkatastrophe abgesehen, kann ein verseuchtes Land nicht besetzt werden.
Ein nordkoreanischer Atomschlag gegen amerikanische Verbündete wie Japan[4] stellt
ein enormes Risiko dar und spricht eindeutig gegen einen Präventivangriff.
Die
amerikanische Strategie läuft demnach auf einen Regimewechsel hinaus; stärkstes
Druckmittel sind Sanktionen. Im Irak ist diese Strategie mißglückt, allerdings
war auch die Präventivschlag-Doktrin, die Saddam Hussein gestürzt hat, kein
Erfolg. Auf die künftige Entwicklung darf man gespannt sein.
Empfohlene Zitierweise:
Weber, Albert: Ein zeitgeschichtlicher Blick auf Nordkorea, in: Aventinus. Die Historische Internetzeitschrift von Studenten für Studenten [Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07], www.aventinus.geschichte.uni-muenchen.de/index.php?ausg=3&id=63&subid=49 [Letzter Aufruf am xx.xx.xxxx]
Weber, Albert
Geb.: 25.07.1984
studiert Mag.: NNG., G. O.-/S.-Europas, Rumänisch seit WiSe 04/05