Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Brendecke, Arndt

 
 

„Diese Teufel, meine Papiere ...“ Philipp II. von Spanien und das Anwachsen administrativer Schriftlichkeit [*]

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Natürlich war dies nur eine Seite Philipps II., der gleichfalls Zeit seines Lebens ein Freund der Jagd und ein Verehrer der Gärten, Pflanzen und Blumen gewesen ist. Doch geht es hier nicht um Philipp II. selbst, sondern um die Symptomatik einer erdrückenden Last an Schriftlichkeit und Kommunikation, der sich ein König im Zeichen eines bürokratisch organisierten Absolutismus ausgesetzt sah, wollte er sich nicht auf die Entscheidungen von Ministern verlassen. Philipp II. strebte es jedoch an, jede Entscheidung selbst zu treffen. Er mißtraute seinen Räten und traf wiederholt Maßnahmen, um letztlich von jedem seiner Untertanen, auch in den überseeischen Reichen, brieflich erreichbar zu sein. [10] Hinzu kam, daß er eine zunehmende Abneigung gegen den mündlichen Vortrag entwickelte und grundsätzlich schriftliche Anfragen (consultas) bevorzugte. [11]

Trotz dieser Bevorzugung des Geschriebenen hat man weiter von einem organisierten Miteinander verschiedener medialer Kommunikationsformen auszugehen. Schon die schiere Masse an auszutauschenden Informationen machte es notwendig, daß Philipp II. beständig auch mündlich informiert wurde. Nach der Beschreibung in einem Madrider Manuskript begann dies schon beim Wecken durch Don Cristóbal, während dieser ihm das Hemd reichte und die Beine massierte. Der Graf von Chinchón sprach mit ihm nach dem Essen, Nachmittags bis Sonnenuntergang dann sein Sekretär Juan de Idiázquez, und jeder von ihnen trug seine minuta oder memoria bei sich, um die einzelnen Anliegen nacheinander abzuhandeln. [12]
 

 

Der König war zwar nur die Spitze des Eisberges – auch seine Sekretäre hatten mit über 1.000 Briefen [13] in einem Monat zu rechnen –, er war dies, wie schon angedeutet, aber aus strukturellen Gründen: Die auf das monarchische Haupt zulaufende Entscheidungslogik des Absolutismus, die entwickelte administrative Schriftlichkeit Spaniens und die Ausdehnung des Reiches, gepaart mit Philipps II. Anspruch, alle Entscheidungen persönlich zu treffen und für jeden Untertan potentiell erreichbar zu sein, mußten zu einer systematischen Überlastung des Entscheidungs­zentrums führen. Daß man sich dieser Problematik durchaus bewußt war, zeigt die Palette an Strategien, um den Druck an Schriften zu vermindern und die Papierfluten zu kanalisieren.

Gut erkennbar ist beispielsweise der Versuch, den Input an Information zu verringern oder zumindest auf das Wesentliche zu kondensieren. Brevitas war eine auch im administrativen Schriftverkehr topisch wiederkehrende Forderung. Sie spiegelt sich in diversen administrativen Reduktionsverfahren wider. Die königlichen Sekretäre waren so beispielsweise unter Philipp II. aufgefordert, Extrakte des eingehenden Schrifttums zu erstellen (hacer relación). [14] In der spanischen Metaphorik des Staatskörpers galten Sekretäre nicht nur als die Hälse (cuello), die die Verbindung zwischen dem Körper des Staatswesens und seinem monarchischen Kopf herzu­stel­len hatten, sondern eben auch als dessen Magen (estómago). [15] Daß sie damit die kommu­nikative Schnittstelle besetzten, über die sich nicht zuletzt auch das Denken des Monarchen manipulieren ließ, formulierte klar der spanische Historiker Francisco Bermúdez de Pedraza, der die Sekretäre als „Beweger des königlichen Denkens“ bezeichnete, „weil der Sekretär alle Gedanken des Königs durch die Kenntlichmachung der Neuheiten bewegt, die er ihm vorlegt“. [16]
 

Fussnote(n):
[10] Parker 2000, 27, 30.
[11] Zu den Gründen: Riba García 1959, 394 f.
[12] Nach Bouza 1996/97 I, 11. Auch Bilder, Karten und immense Reliquiensammlungen umgaben Philipp im El Escorial und im Alcázar in Madrid, bis hin zu kleinen Heiligenportraits in seinem Bett, die noch bei geschlossenem Vorhang sichtbar blieben. Dazu Mulcahy 2004.
[13] Bouza 1996/97 I, 6. Zur sich wandelnden Rolle der Sekretäre siehe Müller 2003.
[14] Parker 2000, 29; Escudero 2002, 26–30.
[15] Gómez Gómez 1993, 64 f.; Saavedra Fajardo 1678, Empresa 56, 219.
[16] Bermúdez de Pedraza [ 1620 ] 1973, 14b, 15a.

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