Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 01 - Wintersemester 05/06)
 

Blum, Wilhelm

 
 

Thysdrus (El Djem): Aufstieg und Fall einer Provinzstadt in Afrika [*]

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5. Die Ereignisse des Jahres 238 in der Stadt Thysdrus

 
  Mit einem solchen Stadtrat und seinen wechselnden Beamten war es Thysdrus bis zum Beginn des 3. Jahrhunders gelungen, zu einer der reichsten Städte nicht nur Nordafrikas, sondern des gesamten Römischen Reiches zu werden. So trifft auch auf Thysdrus der berühmte Ausspruch von Edward Gibbon [29] zu, wonach das zweite nachchristliche Jahrhundert wohl jene Periode der Geschichte gewesen ist, "during which the condition of the human race was most happy and prosperious". Und doch: Im Jahre 238, auf dem Zenit ihres Reichtums, ihres Einflusses, ihrer Macht und ihres Ansehens, verlor diese Stadt ein für alle Mal ihre außerordentliche Stellung. Und das hat Gründe der hohen und höchsten Politik.  

  Im Jahre 235 war Maximus Thrax als Nachfolger des Alexander Severus Kaiser des römischen Weltreichs geworden, ein Mann, "der in seinem Charakter wie auch von seiner Herkunft ein Barbar" [30] war, der es fertigbringen sollte, "aus einer sanften und milden Herrschaft alles in einer grausige Tyrannei zu verkehren", [31] dessen Herrschaft "wenn nicht im Erfolg, so doch im Prinzip furchtbarer als irgendeines Kaisers" [32] war. Das Grundübel seines Charakters war seine hemmungslose Geldgier: [33] Diese sollte ihm selbst zum Verhängnis werden, dann aber auch dem Reich und allen Bewohner dieses Reiches. Für seine militärischen Ziele, insbesondere für die Finanzierung der Germanenkriege, brauchte der Kaiser Geld. Das aber konnte er sich nur dort holen, wo es vorhanden war: Afrika, wo Öl und Getreide Einnahmen im Überfluss hervorbrachten, war das bevorzugte Gebiet für die kaiserlichen Steuereinnehmer. Wahrscheinlich hat der Kasier Maximinus den Beschluss des Septimus Severus rückgängig gemacht, wahscheinlich auf Grund seiner Anordnung das Öl nicht mehr von Staats wegen aufgekauft und verteilt - was natürlich den Absatz des Öls und damit die Einkünfte der vom Öl lebenden Menschen und Städte wesentlich verringerte. Doch der eigentlich Aufstand gegen das Regime begann auf die folgende Weise:  

  Zu Anfang des Jahres 238 kam einer der berüchtigten Steuereinnehmer nach Thysdrus [34] und fahndete nach Opfern, die er auspressen könnte. Fündig wurde er bei den iuvenes, also jenen Gruppen junger Männer, die in einer paramilitärischen Organisation einerseits als lokale Milizen eingesetzt waren, andererseits aber auch bei öffentlichen Arbeiten wie dem Straßenbau Hand anlegten, die aber auf jeden Fall Söhne aus wohlhabenden Familie waren. [35] Der Steuereinnehmer, dessen Name uns wohlweislich verschwiegen wird, [36] macht sich an die iuvenes heran, und diese versprechen die Zahlung, bitten jedoch um einen Aufschub von drei Tagen. In dieser kurzen Zeit sind sie nicht untätig: Als die Herren der Plantagen befehlen sie den Landarbeitern, wie ihnen befohlen - es arbeiten also Herren und Knechte [37] gemeinsam gegen den Vertreter der Staatsmacht! -, im Morgengrauen in das Zentrum von Thysdrus, wobei sie ihre primitiven Waffen unter ihrer Kleidung versteckten, und folgen den iuvenes nach, die sich ihrerseits mit Dolchen und kleinen Schwertern ausgerüstet haben. Und nun "gehen sie mit ihren Dolchen unter dem Gewand auf den Steuereinnehmer zu, ganz so, als wollten sie mit ihm über die Geldabgabe diskutieren, doch dann stürzen sie sich plötzlich auf den völlig Ahnungslosen, durchbohren ihn und töten ihn. Und wie die Soldaten seiner Leibwache ihre Schwerter aus der Scheide zogen und den Mord sühnen wollten, da holten die Bauern, die vom Land gekommen waren, ihre Knüppel und Beile hervor und es war ihnen ein Leichtes, im Kampfe für ihre Herren ihre Widersacher in die Flucht zu schlagen".[38] Dies war ganz unbestreitbar ein strafbares Vergehen, ein Widerstand gegen die Staatsgewalt, ja ein politisch motivierter Mord. Im Grunde gab es jetzt nur zwei Möglichkeiten, entweder schnellste Flucht aus Afrika oder aber die Flucht nach vorne, also die weitergehende Verfolgung und Durchsetzung des einmal eingeschlagenen Weges.  

  Die iuvenes entschieden sich für die zweite Lösung. So hielt ein gewisser Mauricius außerhalb der Stadt auf seinem eigenen Landsbesitz [39] eine flammende Rede mit folgendem Inhalt: Nach der Ermordung des Prokurators bleibt nur die Ausrufung des Gordian zum Kaiser. Dabei wusste er genauso wie die anderen iuvenes, dass das Volk, zumal das "heißblütige, rasch zum Fanatismus neigende Volk" [40] Nordafrikas schon längst gegen die Gewaltherrschaft des Maximinus hatte vorgehen wollen, dass es sich aber aus Angst und Furcht immer hatte abhalten lassen.[41] Die Zuhörer auf dem Felde waren begeistert, so zogen sie ein zweites Mal hinein in die Stadt, dieses Mal nicht auf das Forum, sondern direkt vor das Haus des Gordian. Dieser war mittlerweile schon 79 Jahre alt, er war "von Kaiser Severus Alexander auf Grund eines Senatbeschlusses nach Afrika entsandt" [42] worden, war also im Range eines Prokonsuls Gouverneur der Provinz. Damit befand sich sein Amtssitz in Karthago, doch Anfang des Jahres 238 hielt er sich in seinem Stadthaus in Thysdrus auf.
Vor dieses Haus also zog die Menge, entwaffnete die Leibgarde des Prokonsuls und rief den alten Mann zum Kaiser aus, wobei ihm einige den Purpurmantel umlegten. Gordian zierte sich zunächst und wollte die Kaiserwürde nicht annehmen, worauf "einer der iuvenes, der sowohl von seiner Familie her als auch auf Grund seiner beeindruckenden Redegabe sie alle überragte"[43], ihm vor Augen stellt, dass es in der jetzigen Lage nur mehr zwei Möglichkeiten gebe, entweder die Annahme der Kaiserwürde oder aber den Tod, und zwar durch die Hand der Aufständischen selber. Daraufhin nahm Gordian, "da er halt doch auch recht ehrsüchtig war"[44], die Kaiserwürde an. [45] Sofort erhob sich ganz Afrika gegen Maximinus, der offene Aufstand war da: Die Statuen des amtierenden Kaisers wurden zerschlagen, an deren Stelle errichtete man in aller Eile neue Standbilder für Gordian und dessen Sohn. Das weitere Schicksal Gordians und sein Tod in Karthago (Frühjahr 238) gehören nicht mehr zu unserem Thema der Geschichte der Stadt Thysdrus, ebenso wenig die übrigen Ereignisse dieses Sechs-Kaiser-Jahres (Maximus Thrax, Gordian I., Gordian II., Balbinus, Pupienus, Gordian III.).
 

Fussnote(n):
[29] Edward Gibbon: The Decline and Fall of the Roman Empire, edited an abridged with an Introductuion by Hugh Trevor-Roper. - Washington 1963, S. 84.
[30] Herodian 7, 1 , 2.
[31] Herodian 7, 1, 1.
[32] Jacob Burckhardt; Die Zeit Constantins des Großen, - Berlin, Frankfurt 1954, S. 18.
[33] Herodian 7, 3, 3. F. Kolb, S. 445 spricht von "Tyrannentopik" und meint, so manches bei Herodian sei "sicherlich falsch", sagt aber dann doch auf S. 447: "In den großen Zügen muß sein Bericht stimmen".
[34] Die Hauptquellen: Herodian 7, 4, 1-9, 11; HA Maxim, 13, 6-14, 4 und Gord. 7, 1-16, 3. Hierzu ist zu vergleichen der Kommentar von Adolf Lippold, S. 150-155 und S. 242-248.
[35] Zu den iuvenes vgl. Cl. Lepelley, I, S.236-242.
[36] F. Kolb, S 463 identifiziert den für uns Namenlosen als den "Procurator der regio Hadrumentina bzw. des Saltus Thysdritanus". Mit "Saltus Thusdritanus" (sic!) aus der Inschrift CIL VIII 26416 ist die gesamte Umgebung der Stadt Thysdrus gemeint.
[37] In HA Gord. 7, 4 ist sehr klar die Rede von allen Stadtbewohnern, der plebs urbana und der plebs rusticana.
[38] Herodian 7, 4, 6 (übersetzt vom Verfasser)
[39] HA Gord. 7, 4: iuxta Thysdram ... in agro suo. Man war also nach der Ermordung des Prokurators wieder auf freies Feld außerhalb der Stadt gezogen.
[40] W. Gessel, S. 62.
[41] Herodian 7, 5, 1.
[42] HA Maxim. 14, 3.
[43] Herodian 7, 5, 4.
[44] Herodian 7, 5, 7.
[45] Gordian war gewiss persönlich in Thysdrus anwesend. Die völlig vereinzelt dastehende Nachricht des S. Aurelius Victor, Caes. 26, 1, er sei absens zum Kaiser ausgerufen worden, ist sicher unzutreffend.

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