Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 02 - Sommersemester 06)
 

Wallner, Mike

 
 

Die 'Zweite' Sizilische Expedition 415 - 413

Artikel empfehlen  

  vorherige Seite (Seite 3 von 5) nächste Seite

  Hier erweist sich Nikias als ein sehr verantwortungsvoller Politiker, indem er hier sagt, "dass derjenige ein Amt richtig verwaltet, der dem Vaterland soviel wie möglich nützt oder zumindest nicht schadet".[17] Hier besteht bemerkenswerter Weise eine fast wörtliche Übereinstimmung mit dem Amtseid des deutschen Bundeskanzlers.[18] Das beweist, dass die Politik schon seit dem klassischen Altertum kontinuierlich durch eine solche Haltung geprägt sollte, bei welcher man den Nutzen für das eigene Land der Herrschaft voranstellen muss.
 Alkibiades, ebenfalls Kommandant, vertrat den dazu absolut konträren Standpunkt, wodurch sich schon Konflikte in der Führungsstrategie abzeichneten. Er suchte mit der Expedition nicht nur den eigenen Bündnispartnern zu helfen, sondern "hoffte, dabei Sizilien und Karthago zu erobern und gleichzeitig, wenn er Glück habe, für sich selbst (Gewinn an) Reichtum und Ruhm Nutzen zu ziehen".[19] Zu den weiteren Ambitionen des Alkibiades werde ich mich später noch ausführlicher äußern.
 Er vertrat vor dem Demos seine "These von der Zwangsläufigkeit des Konflikts großer Mächte".[20] Seine Absicht war es, den Demos von den Vorteilen eines Präventivschlages zu überzeugen: Man könne im Falle eines Sieges den Peloponnesischen Bund zurückdrängen und die eigene "Macht noch mehr vergrößern"[21]. Athen könne nach Syrakus' Vernichtung selbst eine Hegemonialstellung im zentralen Mittelmeer erlangen und sich der florierenden Wirtschaft und des regen Handels Siziliens bedienen. Bei einem Scheitern bestünde aber keine Gefahr, da man aufgrund der eigenen Seemacht gefahrlos wieder heimwärts segeln könne. Verharre die Stadt aber untätig und wehre sich nicht, werde sie sich selbst aufreiben.[22] Denn diese Expedition bot unter günstigen Umständen die Möglichkeit, "das jahrzehntealte Problem attischer Politik, nämlich die Trennung der peloponnesischen von der sizilischen Macht und die Schwächung beider, auf Dauer zu lösen. In dieser Situation fielen außerdem die politisch und militärisch notwendigen Ziele erstmals mit den Wünschen des Demos zusammen."[23] Diese Expansionspläne waren ganz im Sinne des Demos, dieser war sich aber völlig im Unklaren über die Größe der Insel und die Zahl der dort lebenden Menschen und wusste nur, dass Sizilien von jeher als der "Goldene Westen" mit unglaublichem Reichtum und wirtschaftlichen Möglichkeiten galt. Deshalb hielten sie es für ein leichtes und sehr verlockendes Unternehmen und erkannten nicht, "dass sie darangingen, einen nicht geringeren Krieg anzufangen als gegen die Peloponnesier"[24].
 Nikias versuchte abermals den Demos davon abzubringen oder zumindest eine deutliche Aufstockung der Flotte zu erreichen, was ihm aber noch immer waghalsig erschien. Denn hielt Nikias es für unwahrscheinlich, dass das zur Hegemonialmacht aufgestiegene Syrakus sich bald gegen Athen wenden würde[25], und weist auf Probleme der Versorgung der Expeditionskorps hin, womit er letztlich recht behalten sollte.[26] Auf sein Ersuchen hin ließ die Volksversammlung die Flotte auf 134 Trieren mit über 25000 Mann Besatzung[27] aufstocken und so wurde die Expeditionsstärke mehr als verdoppelt. Durch seine Bitte wollte Nikias eigentlich die Gefahren des Feldzuges verdeutlichen, erreichte aber nur, dass der Optimismus vieler Athener nur noch deutlich gesteigert wurde und mit einem derartigen Kontingent mehr als nur die Unterstützung Egestas zu erreichen schien. "Das war der größte Flottenverband, den jemals eine Polis entsandt hatte."[28] "Die Mehrzahl der Versammlungsteilnehmer stimmte in Überschätzung der Kräfte ihrer Polis und unter dem Eindruck der Argumentation des Alkibiades für ein Abenteuer, dessen Ausgang niemand voraussehen konnte."[29]
 Die Heerführer hatten den Auftrag, den Egestanern die erbetene Hilfe leisten und "alles in Sizilien so zu regeln, wie sie es für Athen am günstigsten erachteten".[30] Dadurch wurden sie als Strategen mit unumschränkter Vollmacht ausgestattet. Durch diese neuartige Omnipotenz und das Nichtvorhandensein von konkreten Kriegsplänen sahen sich die Strategen neben den rein militärischen Aufgaben, erstmals auch umfassenden, politischen Aufgaben in Sizilien gegenüber gestellt, was ein zögerliches Handeln zur Folge hatte.
 

Fussnote(n):
[17] THUKYDIDES: VI 14.
[18] Artikel 56 und 64 des GRUNDGESETZES für die Bundesrepublik Deutschland: "Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohl des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe."
[19] THUKYDIDES: VI 15,2.
[20] WELWEI, Karl-Wilhelm: Das klassische Athen, Darmstadt 1999, S.202.
[21] THUKYDIDES: VI 18,4.
[22] THUKYDIDES: VI 15-18.
[23] WENTKER, Hermann: Sizilien und Athen, Heidelberg 1956, S. 133.
[24] THUKYDIDES: VI 1,1.
[25] WELWEI: Athen, S. 202.
[26] THUKYDIDES: VI 21,2.
[27] BENGSTON: Griechische Geschichte, S. 233.
[28] FUNKE, Peter: Athen in klassischer Zeit, München 1999, S. 93.
[29] WELWEI, Karl-Wilhelm: Das klassische Athen, S. 203.
[30] THUKYDIDES: VI 8,2.

  vorherige Seite   nächste Seite


[1]  [2]  [3]  [4]  [5]