Tatsächlich führte die neuen Würden aber auch zu neuen Problemen, welche
die neuen Kurfürsten und die einschlägige zeitgenössische Literatur
beschäftigen. So war die Rangfolge der Kurfürsten untereinander nicht
eindeutig geklärt. Nach dem RDH sollten die 'Neulinge' „in Ansehung des Ranges
unter sich, nach den im Fürstenrathe bestehenden
Strophen alterniren"[13] doch besaß Salzburg
keinen Sitz im Fürstenrat, der Artikel im RDH war also nicht eindeutig und bot
Möglichkeiten zu Rangstreitigkeiten. Auch hatte er es versäumt, den neuen
Kurfürsten ein Erzamt zuzuweisen, auf das sie aber nach der 'Goldenen Bulle'
ein Anrecht besaßen. Dies führte zu einiger Diskussion in der zeitgenössischen
Literatur, die Autoren überboten sich mit dem Erfinden von – teilweise recht
skurrilen – Vorschlägen für neue Erzämter, wie zum Beispiel einem
„Erzfeyerkleidermeister“.[14] Welche Bedeutung diese rein zeremoniellen Ämter für ihre Träger hatten, zeigt
auch ein früherer Streit um ein Erzamt. Bei seiner Kurerhebung hatte
Braunschweig-Lüneburg den Anspruch auf das neu geschaffene 'Reichserzbanneramt'
erhalten. Dies führte aber zu Verstimmungen mit Württemberg, das den Titel
'Reichsbannerherrnamt' (aber nicht als Erzamt) führte. Zwar konnte man sich
hier 1710 einigen, als Hannover das freigewordene pfälzische 'Erzschatzmeisteramt'
übernahm, aber auch Sachsen hatte Probleme mit dem württembergischen Amt, da
man eine Einschränkung des eigenen Erzmarschallamtes fürchtete.[15]
Nach dem Ende (des Reiches)
Doch wie sah die Situation der neuen Kurfürsten nach
dem Ende des Reiches aus? War ihnen nur ein kurzes Glück in der 'ersten Liga'
des Reiches bestimmt oder
nutzten sie ihre Position als Sprungbrett für die Zeit nach dem Reich?
Nach den Gebietsgewinnen, die mit der badischen
Kurwürde einher gingen – mit Teilen der Pfalz, und der Bistümer Konstanz,
Basel, Straßburg und Speyer immerhin das Siebenfache der linksrheinisch
verlorenen Gebiete – konnte sich Baden 1805 im 'Frieden von Preßburg',
der den 3. Koalitionskrieg beendete, noch den Breisgau, die Ortenau und die
Stadt Konstanz sichern. Karl Friedrich nahm den Titel eines Großherzogs an und
schloss sich mit Bayern und Württemberg im Rheinbund gegen das Reich zusammen.
Der habsburgische Erzherzog, der Salzburg als
Entschädigung für die Toskana erhalten hatte, blieb dort nur für zwei Jahre. Im
'Frieden von Preßburg' verlor Österreich zahlreiche Gebiete an Bayern (unter
anderem Tirol) und wurde dafür mit Berchtesgarden, Reichenhall und Salzburg
entschädigt. Die gerade erst geschaffene Kurwürde wurde nach Würzburg verlegt.
Damit war der Ländertausch aber noch nicht beendet, denn 1810 fiel Salzburg an
Bayern, das es aber 1816 wieder an Österreich zurückgeben musste. Und auch
Würzburg ging dem Erzherzog bald wieder verloren, als es 1814 Bayern
angeschlossen wurde.
Kurfürst Friedrich von Württemberg nutzte den
Erwerb der Kurwürde und neuer Gebiete zu weitreichenden inneren Reformen, mit
direkt ihm unterstellten Ministerien und weitreichender
Ausschaltung der Stände. Als einer der drei Rheinbundfürsten löste er sich 1806
vom Reich und wurde darauf von Napoleon – wie Bayern – mit der
Königskrone bedacht. Nach dem Sturz Napoleons nutzte Friedrich seine Position,
um auf dem Wiener Kongress eine mögliche Wiedereinsetzung des österreichischen
auch als deutschen Kaiser zu verhindern. Nur das ihm zustehende Erzamt hatte
Württemberg auf Grund sächsischer Proteste nie verliehen bekommen. Ein
vergleichsweise kleiner Wermutstropfen.
Wilhelm IX. von Hessen-Kassel,
der sich jetzt Wilhelm I. von Kurhessen nannte, hatte mit der Kurwürde ein
langfristiges Ziel seiner Außenpolitik und der seiner Vorgänger erreicht,
konnte sich daran aber weit weniger erfreuen als die anderen Neuen. Territorial
war Hessen-Kassel nur mit einzelnen Mainzer Gebieten entschädigt worden, die
die eigene Machtbasis nicht verbesserten.
So konnte man in Kassel den französischen Truppen im 3. Koalitionskrieg nicht
mehr viel entgegen setzen. Kurhessen wurde besetzt und ging vollständig in dem
neuen Königreich Westfalen auf, Wilhelm musste nach Prag ins Exil flüchten.
Zwar konnte er 1813, nach dem Napoleon endgültig besiegt war, nach Kassel
zurückkehren, er spielte aber in Deutschland kaum noch eine Rolle. So blieb er
als tragische Gestalt zurück, die noch bis zur Gründung des Deutschen Reichs
den Titel Kurfürst trug, ohne das dieser noch eine Bedeutung gehabt hätte.
Letzte Gedanken
Die Rangerhöhung zu Kurfürsten war also nur von kurzer
Dauer, aber keineswegs ohne Bedeutung. Wer seine Karten richtig spielte, konnte
die neue Würde als Sprungbrett zum Königstitel nutzen, wer dies nicht tat,
scheinbar am Ziel aller Wünsche in Bedeutungslosigkeit versinken.
Zur Frage nach der Erkennbarkeit des Reichsendes – die
hier nur implizit behandelt wurde – legt die Diskussion um neue Erzämter und
die Rangfolge im Kurkolleg – in der Publizistik in aller Ausführlichkeit
geführt –, den Schluss nahe, dass zumindest für die Bevölkerung des Reichs, und
wahrscheinlich auch für die kleineren Fürsten und Kurfürsten, das nahende Ende
nicht in letzter Konsequenz vorauszusehen war.
Hier gar nicht verfolgt wurde die Frage nach Alternativen zur Auflösung
des Reiches. Dazu sei zum Schluss nur noch auf zwei Werke verwiesen, welche die
Möglichkeit eines protestantischen Kaisers,[16] oder gar eines Deutschen Kaisers Napoleon,[17] behandeln.
Empfohlene Zitierweise:
Fischer, Mark-Oliver: Die Kurfürsten der dreieinhalb Jahre. Die Einführung neuer Kurfürstentümer im Reichsdeputationshauptschluß., in: Aventinus. Die Historische Internetzeitschrift von Studenten für Studenten [Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07], www.aventinus.geschichte.uni-muenchen.de/index.php?ausg=3&id=54&subid=49 [Letzter Aufruf am xx.xx.xxxx]
Fischer, Mark-Oliver
26.07.1981
studiert auf Magister NNG, MAG, PW seit WiSe 02/03