Wer im alten Rom
als Politiker Erfolg haben wollte, musste sich, frei nach dem Motto "reden
will gelernt sein", zum Redner ausbilden lassen. Ob dazu mehr als
natürliche Begabung und Beherrschung der Rhetorik gehörten, wurde vor allem im
1. Jahrhundert v. Chr., der Zeitspanne der sich diese Arbeit widmet, kontrovers
diskutiert. Welche Richtungen es gab und vor allem welchen Standpunkt Cicero
vertrat, soll in dieser Arbeit untersucht werden.
Der Arbeit liegt
als Hauptquelle Ciceros Werk de oratore [1] zu
Grunde. Für die Wahl dieser Quelle sind folgende Gründe anzuführen: Im Jahre 92
v. Chr. erließen die Censoren Lucius Licinius Crassus, einer der
Gesprächsteilnehmer in Cicero's Dialog, und Gnaeus Domitius Ahenobarbus ein
Edikt gegen die Rhetorikschulen [2]. Ein Jahr später (91 v. Chr.) begann die von Livius
Drusus ausgelöste politische Krise [3], die letztlich für Cicero in den 50er Jahren des 1.
Jahrhunderts v. Chr. den Entzug der Redefreiheit bedeutete [4]. In ebendiesem Jahr, 91 v. Chr., lässt Cicero
die Unterredung, welche er im Jahre 56 oder 55 v. Chr. geschrieben hat [5],
stattfinden. Des Weiteren ist die Schrift fast vollständig erhalten geblieben. [6]
Somit kann der heutige Leser Ciceros Gedankengang in seiner Gänze folgen.
Außerdem spricht für die Wahl, dass in de
oratore die beiden wichtigsten Richtungen im Streit um die Rednerausbildung
sowie der Standpunkt Ciceros dargelegt werden.
In der neueren
Forschung stellt die tiefgreifende politische und kulturelle Veränderung Mitte
des 1. Jahrhunderts v. Chr. einen wichtigen Faktor im Streit um die richtige Rednerausbildung
dar [7].
Immer mehr Plebejer drangen durch ihren politischen Aufstieg in den Kreis der
Aristokratie ein [8].
Ermöglicht wurde dies durch Kenntnisse im bürgerlichen Recht und vor allem in
der Rhetorik. Dabei wurde die Erlernung der Rhetorik unter anderem durch das
Aufkommen von Rhetorikhandbüchern erleichtert [9].
De oratore, das nur im zweiten und
dritten Buch die Redetechnik behandelt [10], stellt in dieser Reihe
eine Ausnahme dar. Durch die Vermischung von "rhetorical and (the)
political theory" [11] versucht Cicero griechische Philosophie mit römischer
Geschichte und Ethik in Einklang zu bringen [12].
Als Erstes werden mit einem kurzen historischen Abriss über die
Entwicklung der Rednerausbildung ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. die
Hintergründe, die zum Verbot der Rednerschulen führten, sowie der Inhalt des
Edikts dargelegt. Nach der Vorstellung des Werkes de oratore, werden anhand dessen die beiden wichtigsten Standpunkte
herausgearbeitet. Anschließend soll Ciceros Position genauer untersucht werden.
In einem letzten Schritt wird diese dann in den historischen Kontext
eingeordnet.
Das censorische Edikt aus dem Jahre 92 v.
Chr.
Die Censoren Licinius Crassus und Domitius Ahenobarbus verboten im Jahre
92 v. Chr. [13] die von
sogenannten rhetores Latini geführten
Rednerschulen. Den Sittenwächtern missfiel das von den Redelehrern eingeführte novum genus disciplinae, bei dem die
Schüler angeblich den ganzen Tag mit Nichtstun beschäftigt seien. Dieser Müßiggang
widersprach dem mos maiorum und wurde
somit als rechtswidrig erklärt [14]. Um zu verstehen was diese neue Lehrart war und wieso sie den Zorn der
Censoren erregte, muss die historische Entwicklung der Rednerausbildung,
ausgehend vom 2. Jahrhundert v. Chr., erläutert werden.
Die Vorgeschichte
Im Jahre 161 v.
Chr. wurden die griechischen Philosophen und Rhetoriker, welche im Zuge der
östlichen Eroberungsfeldzügen nach Rom gekommen waren [15], ausgewiesen, aber
offenbar ohne Erfolg, wie unter anderem die Ausbildung des Scipio zeigt [16]. Die
Aristokratie vertraute die Erziehung ihrer Kinder griechisch-stämmigen
gebildeten Sklaven an [17] und spätestens ab der zweiten Hälfte des 2.
Jahrhunderts v. Chr. erfreute sich diese
Praxis bei der nobilitas allgemeiner
Beliebtheit. So wurden etwa Tiberius und Gaius Gracchus - beiden bescheinigt Cicero
großes Redetalent und fundierte Theoriekenntnisse in der Rhetorik [18] -
von den Griechen Diophanes von Mytilene
und Menelaos von Marathon unterrichtet [19].
Auch bei den homines novi hatte die Expansion Roms
ihre Spuren hinterlassen. Reich geworden, etwa durch Einnahmen als publicani [20], strebten sie den
politischen Aufstieg in Rom an. Dafür bot der Erfolg einer Anklage oder
Verteidigung eines Klienten vor Gericht den richtigen Ausgangspunkt [21].
Zunehmend wurde dieser Weg auch vom Nachwuchs der nobilitas genutzt. Die notwendige Beredsamkeit wurde in römischen
Rhetorikschulen [22] erlernt.
Jeder, der das dafür nötige Schulgeld aufbringen konnte, hatte die Möglichkeit
sich in der Rhetorik nach griechischem Vorbild unterweisen zu lassen. Auf die
Lehre der Philosophie, ein wichtiger Bestandteil der griechischen Ausbildung,
wurde in dem auf Griechisch und Lateinisch abgehaltenen Unterricht verzichtet. [23]
Durch dieses
Unterrichtskonzept verlor die Aristokratie nicht nur ihren alleinigen Anspruch
griechisch gebildet zu sein, sondern auch das Privileg die Politiker zu stellen
[24]. Das
Edikt aus dem Jahre 92 v. Chr. ist also als Versuch zur Bewahrung des mos maiorum zu sehen.