Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Künstler, Waltraud

 
 

Ciceros orator perfectus – ein realisierbares Rednerideal?

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Wer im alten Rom als Politiker Erfolg haben wollte, musste sich, frei nach dem Motto "reden will gelernt sein", zum Redner ausbilden lassen. Ob dazu mehr als natürliche Begabung und Beherrschung der Rhetorik gehörten, wurde vor allem im 1. Jahrhundert v. Chr., der Zeitspanne der sich diese Arbeit widmet, kontrovers diskutiert. Welche Richtungen es gab und vor allem welchen Standpunkt Cicero vertrat, soll in dieser Arbeit untersucht werden.

Der Arbeit liegt als Hauptquelle Ciceros Werk de oratore [1] zu Grunde. Für die Wahl dieser Quelle sind folgende Gründe anzuführen: Im Jahre 92 v. Chr. erließen die Censoren Lucius Licinius Crassus, einer der Gesprächsteilnehmer in Cicero's Dialog, und Gnaeus Domitius Ahenobarbus ein Edikt gegen die Rhetorikschulen [2]. Ein Jahr später (91 v. Chr.) begann die von Livius Drusus ausgelöste politische Krise [3], die letztlich für Cicero in den 50er Jahren des 1. Jahrhunderts v. Chr. den Entzug der Redefreiheit bedeutete [4].  In ebendiesem Jahr, 91 v. Chr., lässt Cicero die Unterredung, welche er im Jahre 56 oder 55 v. Chr. geschrieben hat [5], stattfinden. Des Weiteren ist die Schrift fast vollständig erhalten geblieben. [6] Somit kann der heutige Leser Ciceros Gedankengang in seiner Gänze folgen. Außerdem spricht für die Wahl, dass in de oratore die beiden wichtigsten Richtungen im Streit um die Rednerausbildung sowie der Standpunkt Ciceros dargelegt werden.

In der neueren Forschung stellt die tiefgreifende politische und kulturelle Veränderung Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. einen wichtigen Faktor im Streit um die richtige Rednerausbildung dar [7]. Immer mehr Plebejer drangen durch ihren politischen Aufstieg in den Kreis der Aristokratie ein [8]. Ermöglicht wurde dies durch Kenntnisse im bürgerlichen Recht und vor allem in der Rhetorik. Dabei wurde die Erlernung der Rhetorik unter anderem durch das Aufkommen von Rhetorikhandbüchern erleichtert [9].

De oratore, das nur im zweiten und dritten Buch die Redetechnik behandelt [10], stellt in dieser Reihe eine Ausnahme dar. Durch die Vermischung von "rhetorical and (the) political theory" [11] versucht Cicero griechische Philosophie mit römischer Geschichte und Ethik in Einklang zu bringen [12].

Als Erstes werden mit einem kurzen historischen Abriss über die Entwicklung der Rednerausbildung ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. die Hintergründe, die zum Verbot der Rednerschulen führten, sowie der Inhalt des Edikts dargelegt. Nach der Vorstellung des Werkes de oratore, werden anhand dessen die beiden wichtigsten Standpunkte herausgearbeitet. Anschließend soll Ciceros Position genauer untersucht werden. In einem letzten Schritt wird diese dann in den historischen Kontext eingeordnet.
 

 

Das censorische Edikt aus dem Jahre 92 v. Chr.


Die Censoren Licinius Crassus und Domitius Ahenobarbus verboten im Jahre 92 v. Chr. [13] die von sogenannten rhetores Latini geführten Rednerschulen. Den Sittenwächtern missfiel das von den Redelehrern eingeführte novum genus disciplinae, bei dem die Schüler angeblich den ganzen Tag mit Nichtstun beschäftigt seien. Dieser Müßiggang widersprach dem mos maiorum und wurde somit als rechtswidrig erklärt [14]. Um zu verstehen was diese neue Lehrart war und wieso sie den Zorn der Censoren erregte, muss die historische Entwicklung der Rednerausbildung, ausgehend vom 2. Jahrhundert v. Chr., erläutert werden.
 

 

Die Vorgeschichte


Im Jahre 161 v. Chr. wurden die griechischen Philosophen und Rhetoriker, welche im Zuge der östlichen Eroberungsfeldzügen nach Rom gekommen waren [15], ausgewiesen, aber offenbar ohne Erfolg, wie unter anderem die Ausbildung des Scipio zeigt [16]. Die Aristokratie vertraute die Erziehung ihrer Kinder griechisch-stämmigen gebildeten Sklaven an [17] und spätestens ab der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. erfreute  sich diese Praxis bei der nobilitas allgemeiner Beliebtheit. So wurden etwa Tiberius und Gaius Gracchus - beiden bescheinigt Cicero großes Redetalent und fundierte Theoriekenntnisse in der Rhetorik [18] - von den  Griechen Diophanes von Mytilene und Menelaos von Marathon unterrichtet [19].

Auch bei den homines novi hatte die Expansion Roms ihre Spuren hinterlassen. Reich geworden, etwa durch Einnahmen als publicani [20], strebten sie den politischen Aufstieg in Rom an. Dafür bot der Erfolg einer Anklage oder Verteidigung eines Klienten vor Gericht den richtigen Ausgangspunkt [21]. Zunehmend wurde dieser Weg auch vom Nachwuchs der nobilitas genutzt. Die notwendige Beredsamkeit wurde in römischen Rhetorikschulen [22] erlernt. Jeder, der das dafür nötige Schulgeld aufbringen konnte, hatte die Möglichkeit sich in der Rhetorik nach griechischem Vorbild unterweisen zu lassen. Auf die Lehre der Philosophie, ein wichtiger Bestandteil der griechischen Ausbildung, wurde in dem auf Griechisch und Lateinisch abgehaltenen Unterricht verzichtet. [23]

Durch dieses Unterrichtskonzept verlor die Aristokratie nicht nur ihren alleinigen Anspruch griechisch gebildet zu sein, sondern auch das Privileg die Politiker zu stellen [24]. Das Edikt aus dem Jahre 92 v. Chr. ist also als Versuch zur Bewahrung des mos maiorum zu sehen.

 

Fussnote(n):
[1] Tullius Cicero, M., De oratore, ed. u. trans. Merklin, H., Stuttgart 20035.
[2] Pina Polo, F., Contra arma verbis. Der Redner vor dem Volk in der späten römischen Republik, Heidelberger Althistorische Beiträge und Epigraphische Studien, Stuttgart 1996, 82.
[3] Fantham, E., The Roman World of Cicero's De Oratore, Oxford 2004, 305.
[4] Fantham, 9 – 10.
[5] Fantham, 14 – 15.
[6] Fantham, 49 – 50.
[7] Zetzel, J.E.G., Rez. zu: Fantham, E., The Roman World of Cicero's De Oratore, Oxford 2004, BMCR 2005.09.05, o. S..
[8] Jehne, M., Rednertätigkeit und Statusdissonanzen in der späten römischen Republik, in: ed. Neumeister, C./ Raeck, W., Rede und Redner. Bewertung und Darstellung in den antiken Kulturen, Kolloquium Frankfurt a. M., 14.-16. Oktober 1998, Paderborn 2000, 173 – 177 u. Pina Polo, contra arma verbis, 81 – 82.
[9] Pina Polo, 66 – 67.
[10] Zetzel, o. S..
[11] Fantham, 161.
[12] Achard, G., Pourquoi Cicéron a-t-il écrit le De oratore[, Latomus 46, 1987, 318.
[13] Clarke, M.L., Die Rhetorik bei den Römern. Ein historischer Abriß, Göttingen 1968, 23.
[14] Suet., gramm., 25 u. Schmidt, P.L., Die Anfänge der institutionellen Rhetorik in Rom, in: ed. Lefèvre, E., Monumentum Chiloniense. Studien zur augusteischen Zeit. Kieler Festschrift für Erich Burck zum 70. Geburtstag, Amsterdam 1975, 190.
[15] Clarke, 21.
[16] Fuhrmann, M., Geschichte der römischen Literatur, Stuttgart 1999, 106 – 107 u. Schmidt, 190 – 191.
[17] Funke, P. u.a., Res Romanae. Begleitbuch für die lateinische Lektüre, Berlin 1997, 140.
[18] Cic., De orat., I 38.
[19] Clarke, 22.
[20] Beard, M./ Crawford, M., Rome in the late Republic, London 1985 (ND o.O. 1989), 75.
[21] Pina Polo, 65 – 66 u.81 – 82.
[22] In Rom ist einzig, die von L. Plotius Gallus Anfang des 1. Jh. v. Chr. geführte Schule, belegt. Die Existenz griechischer Redeschulen wird als unwahrscheinlich angesehen. Vgl. hierzu Clarke, 23. u. Schmidt, 187 – 189.
[23] Funke, 140 u. 145 – 147; Hölkeskamp, 78 – 82 u. Schmidt, 187.
[24] Beard/ Crawford, 48 – 49 u. Andersen, Ø., Im Garten der Rhetorik. Die Kunst der Rede in der Antike, Darmstadt 2001, 294.

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