Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Künstler, Waltraud

 
 

Ciceros orator perfectus – ein realisierbares Rednerideal?

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Schlussbemerkung

 

Für den politischen Erfolg galt es, bis zum Aufkommen griechischer Bildung in Rom ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. und verstärkt in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr., der nobilitas und einer politisch einflussreichen Familie anzugehören, sowie für die Bewahrung des mos maiorum einzutreten.

Mit dem zunehmenden Aufstieg junger Männer, die häufig aus politisch wenig einflussreichen Familien stammten und durch den Erwerb rhetorischer Kenntnisse in Rednerschulen in der Politik Fuß fassen konnten, änderte sich die römische Gesellschaft und Politik grundlegend. Die plebs wurde als politisches Instrument entdeckt. Die "Politiker" köderten diese durch Selbstinszenierung und vor allem durch Überredungskunst. Wie das Zustandekommen von Caesars Ackergesetz zeigt, wurden dazu nicht nur die Aufhebung langjähriger Aufgabenbereiche politischer Institutionen, sondern auch Religionsfrevel, Gewalt oder sogar gesellschaftlicher Abstieg, wie es Clodius praktizierte, in Kauf genommen.

Unter dem Eindruck dieser so völlig dem mos maiorum widersprechenden Politik ist Ciceros orator perfectus folgendermaßen einzuordnen: Wer dem von Antonius skizzierten Rednerideal zuspricht, das die politisch – populare Realität in den 50er Jahren der römischen Republik wiederspiegelt, fordert den Missbrauch der Beredsamkeit heraus.

Wer aber dem von Crassus - dem Sprachrohr Ciceros - entworfenem Rednerideal, gleichsam einer Symbiose aus Rhetorik, Philosophie und Recht, also der Verbindung von römischen Redetalent gepaart mit griechischer Bildung, zuspricht, verhindert ihren Missbrauch.

Cicero, der selbst ein homo novus war, stand also für die traditionellen Werte der Aristokratie ein. Dabei vermischte er aber bei seiner eigenen Ausbildung traditionelle Komponenten, etwa das Studium bei griechischen Lehrern, mit modernen Komponenten, wie etwa den Besuch einer Rednerschule, die er in de oratore so vernichtend kritisierte. Gerade mit dieser modernen Komponente kam er seinem hochgestecktem Rednerideal ziemlich nahe. Konnte er sich doch dabei ganz unbefangen in ersten Deklamationen üben.

Dass aber selbst bei der Befolgung dieses fast unerreichbaren Anspruchs, wie Cicero selbst zugibt, trotzdem der Missbrauch der Beredsamkeit nicht verhindert werden kann, zeigt das Beispiel von Gaius und Tiberius Gracchus. Beide kamen aus "gutem Hause", wurden durch ihre Redelehrer griechisch gebildet und dennoch: aus optimatischer Perspektive "missbrauchten" sie die Beredsamkeit, indem sie damit populare Politik betrieben. Hier sei zum Beispiel an die Übergehung des Senats bei der Abstimmung zur lex Sempronia agraria [97], sowie die rechtliche Stärkung römischer Bürger durch die bereits erwähnte  lex Sempronia de provocatione [98] erinnert.

Im Gegensatz zu Cicero erkannten aber sowohl Caesar als auch Clodius - beide gehörten ebenfalls der nobilitas an - dass die einmal an die plebs gemachten Zugeständnisse nicht mehr rückgängig gemacht werden können, sondern verstanden es zum Teil durch Erneuerung bzw. Erweiterung dieser Zugeständnisse, eben diese Bevölkerungsschicht als Machtinstrument zu nutzen.

Folgendes bleibt also festzuhalten: Ciceros Anspruch an den orator perfectus war nicht nur zu hoch, sondern auch im Bezug auf seine eigene Biografie in sich widersprüchlich und fern jeglicher politischer Realität.
 

Fussnote(n):
[97] Christ, 120 – 132 u. 137 – 138.
[98] Christ, 139 – 140.

 
Empfohlene Zitierweise:

Künstler, Waltraud: Ciceros orator perfectus – ein realisierbares Rednerideal?, in: Aventinus. Die Historische Internetzeitschrift von Studenten für Studenten [Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07],
www.aventinus.geschichte.uni-muenchen.de/index.php?ausg=3&id=57&subid=49
[Letzter Aufruf am xx.xx.xxxx]

 

Künstler, Waltraud

Geboren am 12. 02. 1986
Studiert auf Magister Alte Geschichte, Didaktik der Geschichte, Alte Kirchengeschichte seit Wi Se 05/06

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