Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 01 - Wintersemester 05/06)
 

Günther, Wolfgang

 
 

Konkurrenz für Olympia (?). Wie man Olympionike werden konnte, ohne in Olympia gesiegt zu haben.

Artikel empfehlen  

  vorherige Seite (Seite 4 von 4)

  An insgesamt vier verschiedenen Olympien-Stätten trat Hermagoras auf, auch bei den "Ur"-Olympien, die bezeichnenderweise als Distinktiv zur Unterscheidung von den anderen Olympien den präzisierenden Zusatz "in Pisa" erhielten - eine historisch archaisierende Bezeichnung, die daran erinnerte, daß das Heiligtum von Olympia und mit ihm die Leitung des ältesten panhellenischen Festes erst zu Beginn des 6. Jhs.v.Chr. an Elis fiel, nachdem es sich gegen die bisherigen Herren des Heiligtums, die Pisaten, militärisch durchgesetzt hatte.[25]  

  Wie aber ist sein dortiger "heiliger'' Sieg zu bewerten ? Ein üblicher konnte es nicht gewesen´sein, da Hermagoras keinen Kranz gewann. Gleichwohl plazierte er den Olympia-Auftritt an den Beginn seiner Erfolgsliste und folgte damit ganz der Gepflogenheit, einen Sieg im elischen Olympia als Sieg par excellence an allererste Stelle zu setzen. Wer aber bekam dann den Kranz? Der terminus technicus "heilig" (hiera) besagt, daß der betreffende Kranz geweiht wurde, d.h. daß er an den olympischen Zeus, den Schirmherrn der Olympien, ging. Dieser Fall trat ein, wenn ein Kampf unentschieden endete.[26] Konnte der Kranz keinem der Kontrahenten zugesprochen werden, gab es auch keinen Sieger, sondern letztlich nur Verlierer. Die Enttäuschung, leer auszugehen, konnte bestenfalls mit der Vorstellung kompensiert werden, weniger eine Niederlage erlitten als einen zweitklassigen Sieg errungen zu haben. Im Grunde zählte jedoch ein solcher "Sieg" praktisch nichts, wie die selbstbewußte Äußerung eines kaiserzeitlichen Periodoniken dokumentiert, "niemals" nur "ein Patt" erreicht zu haben.[27]  

  Nun gab es allerdings auch Ausnahmefälle, welche die übliche Patt-Bewertung als unangemessen hart und kompensationsbedürftig erscheinen ließen. Einen solchen Fall dokumentiert eine Ehreninschrift aus der Zeit um 120 n.Chr. für einen Athleten aus Smyrna, der in der Kampfsportart des Pankration[28] angetreten war und durch ungewöhnliche Umstände sich um seinen Sieg gebracht sah.[29] Die Inschrift, die einen mit dem Vorfall befaßten (und zusätzlich vom Vorsitzenden des Athletenverbandes in Rom autorisierten) Beschluß der Behörden und der Volksversammlung von Elis zitiert, ist auf der Basis aufgezeichnet, die einst die Statue des Athleten trug. Mit deren ausdrücklich bewilligten Errichtung im Heiligtum von Olympia wurde die Leistung des Athleten aufgewertet und dieser der gleichen Ehren gewürdigt wie Olympioniken. Die Vorgänge bei dem nach Aussage der Inschrift singulären Patt werden in der Inschrift wortreich und eindrucksvoll geschildert:  

 
Bei seinem Auftritt im Stadion lieferte er in einer des Zeus von Olympia, des Wettkampfes und des Eindrucks, den man allgemein von ihm hatte, würdigen Weise einen großartigen, bewundernswerten Kampf und rechnete damit, wie es auch angemessen war, den Olympischen Kranz zu erringen. Da er kein Freilos [30] gezogen hatte, kämpfte er im Pankration in allen (Ausscheidungs-)Runden, wobei er durch das Los die namhaftesten Männer als Gegner erhielt. Er erreichte ein solches Maß an Tapferkeit und Durchhaltevermögen, daß er, als er im  Pankration gegen  einen Mann antrat, der zuvor ein Freilos gezogen hatte, es für einen höheren Wert hielt sein Leben zu riskieren als die Hoffnung auf den Kranz fahren zu lassen. Bis in die Nacht hinein, so daß die Dunkelheit den Abbruch erzwang, hielt er durch, angefeuert von seiner Hoffnung auf den Sieg bis zum Äußersten zu kämpfen, so daß voller Bewunderung für ihn...die Zuschauer waren, die sich aus aller Welt zum heiligsten Agon der Olympien versammelt hatten
 
    A.a.O. Z. 23 - 40.  

  Welchen Umständen unser Hermagoras ebenfalls nur ein Unentschieden in Olympia verdankte, bleibt im Dunkeln. In jedem Fall war es für ihn eine herbe Enttäuschung, da er dadurch nicht nur den "echten" Olympionikentitel, sondern zugleich auch den glanzvollen Periodonikentitel verfehlte. Zwar konnte er insgesamt vier Siege bei Agonen der "alten" wie der "neuen" Periodos vorweisen, doch waren die Siege in der "alten" Periodos nur bei den beiden rangniedrigeren Isthmien und Nemeen errungen worden. Die Bedingung, daß Siege aus der "neuen" Periodos lediglich zur Ergänzung einer unvollständigen Siegesserie in der "alten" verwendet werden durften, wäre für Hermagoras- zumal er auch bei den Pythien in Delphi keinen Erfolg verbuchen konnte - nur durch den Kranz in Olympia erfüllt gewesen. Kann man es ihm verdenken, daß er angesichts des nur so knapp verfehlten Ziels den Mißerfolg mit der Version eines Quasi-Sieges kompensierte?  

Fussnote(n):
[25] Hierzu zuletzt A.Möller, Elis, Olympia und das Jahr 580 v.Chr. Zur Frage der Eroberung der Pisatis, in:R. Rollinger - Ch. Ulf (Hg.), Griechische Archaik. Interne Entwicklungen - externe Impulse, Berlin 2004,249 - 270. In den agonistischen Inschriften wurde Pisa geradezu Synonym für Olympia; so konnte z. B. der in Olymia erungene Kranz als "Pisas Kampfpreis" bezeichnet werden (Ebert [wie Anm. 5] 154 Nr. 49, 3).
[26] Zu dieser Entscheidung bei einem Patt s. L. Robert, Revue Archéologique 1978, 282 - 284 ( = ders., OperaMinora Selecta VII, Amsterdam 1990, 686 - 688); N. B. Crowther, Nikephoros 13, 2000, 125 - 140.
[27] (wie Anm. 18) Nr. 71 a 16; Ebert (wie Anm. 5) 232 - 237 Nr. 78.
[28] Zu der Faust- und Ringkampf mischenden, besonders abwechslungsreichen und besondere Gewandtheit und Kraft erfordernden Kampfdisziplin s. G. Doblhofer - P. Mauritsch, Pankration, Wien- Köln - Weimar 1996;M.B.Poliakoff, Kampfsport in der Antike, Düsseldorf 2004, 80 - 91.
[29] Der Text der Inschrift bei W. Dittenberger, Sylloge Inscriptionum Graecarum III Leipzig 19203, 1073. ZurInschrift R. Merkelbach, Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 15, 1974, 99 - 104; N.B. Crowther,Nikephoros 4, 1991, 161 - 166.
[30] Bei den Ausscheidungsrunden konnte ein Athlet, wenn die Zahl der antretenden Konkurrenten ungerade war,den glücklichen Vorteil haben, durch ein Freilos eine Runde aussetzen zu dürfen und nur "dabeizusitzen". ZumVerfahren s.Ebert (wie Anm. 5) 228 f.

 
Empfohlene Zitierweise:

Günther, Wolfgang: Konkurrenz für Olympia (?). Wie man Olympionike werden konnte, ohne in Olympia gesiegt zu haben., in: Aventinus. Die Historische Internetzeitschrift von Studenten für Studenten [Ausgabe 01 - Wintersemester 05/06],
www.aventinus.geschichte.uni-muenchen.de/index.php?ausg=1&id=25&subid=2
[Letzter Aufruf am xx.xx.xxxx]

 

Günther Dr., Wolfgang

Jahrgang 1940, Studium der Klassischen Philologie und Alten Geschichte an den Universitäten München und Tübingen, 1965 erstes und 1969 zweites Staatsexamen, 1971 Promotion, Akad. Oberrat, seit 2001 korrespondierendes Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts.

Aventinusartikel:

  vorherige Seite  


[1]  [2]  [3]  [4]