Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Baumeister, Martin

 
 

Vor der movida: Madrid und die widersprüchliche Modernisierung Franco-Spaniens[*]

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  Während die Zuwanderer auf die Notlage gemäß ihren beschränkten Möglichkeiten mit den Mitteln der Selbsthilfe reagierten, standen die Instanzen des Regimes denurbanistischen Problemen und der Not der Immigranten trotz aller lautstarken Deklarationen tatenlos gegenüber bzw. agierten in einer Weise, die die „urbane Krise“ weiter beförderte und verschärfte. Die bereits in den 40er Jahren einsetzende franquistische Industrialisierungspolitik verstärkte den ohnehin massiven Immigrationsdruck um ein Vielfaches. Die Hauptstadt, die im Vergleichzu den traditionellen Industriezentren des Landes v.a. in Katalonien und im Baskenland starke Entwicklungsdefizite aufwies, sollte quasi über Nacht in das wichtigste Industrie- und Handelszentrum des Landes verwandelt werden, eine Politik, bei der das 1941 gegründete staatliche Holding des Instituto Nacional de Industria (INI)mit umfangreichen Investitionen und der Ansiedlung von Großbetrieben insbesondere der metallverarbeitenden und chemischen Industrie eine führende Rolle einnahm. Zur gleichen Zeit, als die Industrialisierung Madrids „von oben“ entsprechend den staats- interventionistischen Vorstellungen der Autarkiepolitik initiiert wurde, träumten die Spitzen des Regimes davon, die vom Krieggezeichnete Hauptstadt der niedergeworfenen Republik gemäß dem Vorbild des faschistischen Rom und den megalomanen Berlinplanungen Speers als repräsentative Hauptstadt eines hispanischen Großreichs neu aufzubauen. Die Umsetzung der mit nationalen Macht- und Reinigungsphantasien verbundenen Visionder „imperialen Stadt“ scheiterte jedoch bald an mangelnden Ressourcen und den überbordenden materiellen und sozialen Problemen in einem Moment, wo die franquistische Autarkieideologie ihren verbindlichen Einfluss einzubüßen begann.  

  Ein Plan General für die Stadterweiterung, der die „Auslagerung“ des städtischen Wachstums in eine Reihe weitgehend autonomer Satellitenstädte jenseits eines die Hauptstadt umfassenden Grüngürtels vorsah, war bereits vor seiner Verabschiedung 1946 vom anarchischen Stadtwachstum überholt worden. Die Wohnungsbaumaßnahmen der ersten 15 Jahre des Regimes kamen kaum den Immigranten, sondern den Mittelschichten zu gute. Gegen Mitte der 50er Jahre machten sich jedoch Anzeichen der Entwicklung eines paternalistischen „Sozialfranquismus“ mit polykratischen Zügen bemerkbar. Die öffentlichen Organe gaben ihre fast vollständige Passivität gegenüber den sich immer mehr zuspitzenden Wohnproblemen der ständig wachsenden Zuwanderermassen auf. In einer Reihe von Initiativen verschiedener miteinander konkurrierender Institutionen und Organe der Stadt, diverser Ministerien sowie der franquistischen Gewerkschaften versuchte das Regime die ungesteuerte Ausdehnung der Stadt in sozial verträglichere Bahnen zu lenken und das Ärgernis des Chaos der städtischen Peripherie aus der Welt zu schaffen. Neben dem Bau von Wohnungen in eigener Trägerschaft bemühte man sich staatlicherseits mit Subventionen und steuerlichen Anreizen private Firmen zum Bau von Sozialwohnungen für Arbeiter zu motivieren. Die zahlreichen Projekte, die billigen Mietwohnraum für die Arbeitermassen schaffen sollten, zielten auf eine quasi chirurgische „Ausmerzung“ der wild wuchernden chabola-Siedlungen. Am deutlichsten kam diese Politik im sozialen Notplan für Madrid (Plan de Urgencia Social de Madrid) von 1957 sowie im sog. Plan de Absorción de chabolas von 1961 zum Ausdruck.  

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