Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 01 - Wintersemester 05/06)
 

Spree, Reinhard

 
 

Vom Armenhaus zur Gesundheitsfabrik. Der Krankenhauspatient in Vergangenheit und Gegenwart [*]

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  Wirft man einen Blick auf die berufliche Zusammensetzung der Krankenhauspatienten, wie sie in Tabelle 1 wiedergegeben ist, sind bei allen Variationen einige Tendenzen klar zu erkennen. Berufe, die dem Bürgertum bzw. den Mittel- und  Oberschichten zugeordnet werden könnten, waren im Krankenhaus kaum anzutreffen. Dagegen bildeten Handwerksgesellen und Dienstboten stets fast die Hälfte, oft zwei Drittel oder - im frühen 19. Jahrhundert - sogar drei Viertel der Patienten. Als langfristige Veränderungstendenz ist bemerkenswert, daß der Dienstbotenanteil zunahm. Dagegen ging der Anteil der Handwerksgesellen im  späten 19. Jahrhundert drastisch zurück, während der der Arbeiter und Tagelöhner stieg, was die entsprechenden Wandlungen der Erwerbsstruktur spiegelt.  

 
Berufsgruppe Wür 1798-1801 Wür 1821-1829 Mün 1828 Mün 1869 Mün 1894 Bre 1862 Bre 1895
Handwerksgesellen 40 42 58 38 35 45 21
Arbeiter/ Tagelöhner 2 3 8 9 13 14 21
Dienstboten 32 45 22 41 36 21 25
Beamte/ Angestellte 0 0 1 1 2 1 3
Militär 1 0 1 1 0 6 0
Sonstige u. Berufslose 25 10 10 10 14 13 30
Summe 100 100 100 100 100 100 100
Legende:
Bre = Städtisches Krankenhaus Bremen
Mün = Allgemeines Krankenhaus (links der Isar) zu München
Wür = Juliusspital zu Würzburg
 
    Spree, Handwerker ..., in: Kaufhold/ Reininghaus (Hg.): Stadt und Handwerk ... (2000), S. 279.  

  Festzuhalten ist, daß sich das Krankenhaus als sozialpolitische Institution während des gesamten 19. Jahrhunderts primär an die jüngeren Vertreter der "labouring poor" richtete. Ja, der Anteil jüngerer Patienten (< 30 Jahre) wuchs vielerorts sogar im frühen 20. Jahrhundert noch, so im preußischen Durchschnitt, während der Anteil alter Patienten (> 60 Jahre) verschwindend klein blieb, tendenziell sogar abnahm. In dieser Hinsicht ist der Gegensatz zur Situation im späten 20. Jahrhundert besonders deutlich: In der Gegenwart nimmt die Inanspruchnahme des Krankenhauses mit höherem Alter, besonders ab 50 Jahre, stark zu. Ältere Menschen über 50 machen rd. die Hälfte aller Krankenhauspatienten aus. Die sich mit zunehmendem Alter verstärkende und ab dem 50. Lebensjahr deutlich überproportionale Inanspruchnahme des Krankenhauses (gemessen am Durchschnitt aller Altersgruppen) ist auch erkennbar, wenn um die unterschiedliche Besetzung der Altersgruppen bereinigt wird. Natürlich hat die Alterszusammensetzung starken Einfluß auf die durchschnittliche Verweildauer. Da sich die Altersstruktur während der Kaiserzeit verjüngte, konnte die Verweildauer im Krankenhaus reichsweit, über alle Krankenhäuser hin berechnet, bereits von 32 Tagen im Jahre 1877 auf 27 Tage im Jahre 1913 gesenkt werden. Bis zum Zweiten Weltkrieg ging sie auf rd. 25 Tage zurück, woran in den frühen 1950er Jahren wieder angeknüpft wurde. Erstaunlich ist jedoch, dass die durchschnittliche Verweildauer bei ständig steigender Besetzung der höheren Altersklassen ab den frühen 1970er Jahren drastisch abnahm - in den Akut-Krankenhäusern auf inzwischen nur noch rd. 8 Tage.  

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