Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Röhrer-Ertl, Friedrich Ulf

 
 

Zwei Wappenprogramme des Alten Hofes
oder: vom Feminismus des 15. zum Posthistorismus des 20. Jahrhunderts

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  Feminismus im 15. Jahrhundert?
Auffallend ist die Betonung der weiblichen Komponenten dieses Wappenprogramms. Nicht nur sind - mit Ausnahme von Feld 08 (Kaiser Ludwig IV.) und den neu gemalten Feldern 09 und 10 - alle Wappen Allianzwappen mit den Zeichen der Herzöge von Bayern und ihrer jeweiligen Frauen; in den Feldern links der Mittelachse (06-07; 11-12) sind sie zusätzlich innerhalb der betreffenden Wappen auf der vornehmeren vorderen (heraldisch linken) Seite. Allein mit dem Phänomen der Sympathie [28] lässt sich das nicht erklären, da dabei normalerweise nicht die Seiten eines Wappens vertauscht werden. [29] Möglicherweise ist die Lösung dieses Rätsels in den Feldern 06 und 07 zu sehen. Speziell die Einheirat Margarete von Tirols, aber sicher auch die von Hedwig von Polen in das Haus Wittelsbach waren für die politischen Ansprüche des Hauses besonders wichtig; die dadurch erworbenen Ansprüche hatte man auch Ende des 15. Jahrhunderts sicher noch nicht vergessen. Möglich, daß man sich zur besonderen Betonung dieser Ansprüche dazu entschied, bei diesen Wappen die Frauen vor die Männer zu stellen und dies in den anderen Feldern der linken Seite der Ästhetik wegen ebenfalls durchführte.
Feminismus i. S. der heutigen Zeit darf man das eigentlich nicht nennen, ging es den Künstlern und Herrschern sicher sehr viel weniger um die Würde der Frauen als vielmehr um die politischen und territorialen Ansprüche, die man mit ihrem Körper und ihrer Herkunft verband; dennoch zeigt sich hier eine gewisse Hochachtung vor ihnen, die die Hochachtung vor der eigenen Herrscherfamilie - zumindest bis zu einem gewissen Grade - deutlich sichtbar übersteigt. Für das Selbstverständnis des ausgehenden Mittelalters ist das doch zumindest erstaunlich, wenn nicht gar modern zu nennen.
 

  Das bayerische Staatswappen am Erker
Anders als das vielleicht auch nur falsch rekonstruierte Herzogswappen in Feld 09 und ebenso unzweifelhaft eine freie Ergänzung ist das Bayerische Staatswappen in seiner am 05. Juni 1950 beschlossenen Form in Feld 10. [30] Offenbar hatte der unbekannte Restaurator hier keine oder nicht genügend Reste für eine Wiederherstellung gefunden. Sicherlich war hier intendiert, dem Auftraggeber der Restaurierung, dem Freistaat Bayern, ein sichtbares Denkmal zu setzen und gleichzeitig - zumindest für den flüchtigen Beobachter - den Eindruck einer geschlossenen Reihe zu erwecken. Dennoch bleibt die Anwesenheit eines republikanischen Wappens der Neuzeit in einem heraldischen System des 15. Jahrhunderts ein Fremdkörper.
In einem freilich paßt das Staatswappen gut zu den Adelswappen des Erkers: beide erheben Ansprüche. Denn anders als das vom Heraldiker Otto Hupp entworfene erste Wappen des Freistaates von 1923 [31] zeigt es zwar mit dem "Pardel" ein Symbol für das dort unbeachtet gebliebene Niederbayern, gleichzeitig erhebt es mit dem Herzschild Anspruch auf eine (geistige oder reelle) Suprimität Oberbayerns; mehr noch, da sich hier die drei schwarzen Panther als Symbol für Schwaben nicht, wie 1923, halbiert finden, findet man den Bayerischen Staat voller Hoffnung auf ganz Schwaben - also auch auf die Territorien im heutigen Baden-Württemberg. Da das Wappenprogramm des Erkers für sich Ansprüche auf solche Territorien wie Brandenburg, Holland, Tirol usw. geltend macht, jedoch nicht auf Schwaben, eine wirklich sinnvolle Ergänzung.
 

  Das Wappenprogramm am Torturm
Ebenfalls eine Ergänzung der Restaurierung des Burgstocks ab 1956ff. sind die Wappen des Torturmes. Ergänzung deswegen, da ja in gewisser Hinsicht der ganze Burgstock des Alten Hofes schon für sich ein einziges, nämlich das bayerische, Wappen ist. Ist doch die Fassade durchgehend mit einem stilisierten Weckenmuster (landläufig auch: Rautenmuster) bemalt, wie er auch aus einer Abbildung des bayerischen Herzoghofs in Regensburg von 1572 bekannt ist. [32] Die Fassadengestaltung in München orientierte sich dabei an einem Bereich auf der Hofseite, der zwischen 1937 und 1940 entdeckt und freigelegt worden war. [33] Nur die Farbgestaltung - Taubenblau und Gelb statt des üblichen Blaus der Grafen von Bogen verraten die Entstehungszeit nach dem Krieg. Doch soll an dieser Stelle nicht von dieser überheraldischen Gestaltung die Rede sein; denn auf beiden Seiten des nach dem Zweiten Weltkrieg in seiner vollen Höhe rekonstruierten Turmes befinden sich zwischen dem zweiten und dem dritten Stock zu beiden Seiten des Fensters eingetiefte rechteckige, nach oben mit einer Stufe geschlossene Nischen. Diese sind schon im Sandnerschen Stadtmodell erkennbar; auch in den Zeichnungen, Radierungen und Aquarellen Johann Paul Stimmelmayrs vor 1800 und Domenico Quaglios von 1806 findet man sie. Nach der Kappung des Turmes 1813 verschwanden die Nischen zumindest auf der Straßenseite, wie bei Burmeister abgebildete Photographien zeigen. [34] Erst bei der Rekonstruktion des Turmes nach dem Zweiten Weltkrieg wurden auch sie wiederhergestellt. Ihr Zweck ist weitgehend ungelöst; Während bei Stimmelmayr die Nischen leer zu sein scheinen, sind sie bei Quaglio mit jeweils einem Wappen bemalt dargestellt, wobei dies wohl nicht dem damaligen Zustand entsprach, sondern eine Zutat des Künstlers darstellt. [35] Um 1956ff. wurde in jeder von ihnen von einem hier unbekannten Künstler auf grauen Zementgrund in Ritzzeichnung angelegte und ausgemalte Wappenbilder angebracht, um die es im Folgenden gehen soll.
 

Fussnote(n):
[28] Also der Drehung figürlicher Wappenbilder eines größeren Programms zu einer gedachten Mittelachse hin.
[29] Denn dann würde ja, wie in diesem Fall, auch der Träger des Wappens wechseln.
[30] Zur Blasonierung siehe Fußnote 16.
[31] Dazu Volkert (1980), S. 22f.
[32] Abbildung Glaser, Katalog (1980), S. 57. Bedauerlich aus heutiger Sicht ist, daß die Umwandlung der Überreste des Gebäudes in ein großdeutsches Postamt ab ca. 1936 die Fassade eine bis heute gültige gelbe Fassung und keine bayerische nach diesem Vorbild bekam.
[33] Dieser freigelegte Bereich ist auf der bei Burmeister (1999), S. 103 abgebildeten Photographie gut zu erkennen. Da sie auf 1940 datiert ist, 1937 aber noch ein guter Teil des Turmstumpfs mit einer Malerei, die den legendären Steinwurf Herzog Christophs von Bayern (1449-1492) zeigte, bedeckt wurde, dürfte die Freilegung in den Jahren dazwischen erfolgt sein. Obwohl es sich um eine schwarz-weiße Photographie handelt, scheinen die Wecken Verf. doch nicht nur in einer Farbe zu sein, sondern auch in einer kräftigen. Demnach war der Turm ursprünglich nicht mit den heutigen sanften Farben, sondern mit kräftigen blauen Wappenrauten bemalt, sicherlich analog zu den Mustern am Erker!
[34] Eine Abbildung des Alten Hofes im Sandtnerschen Modells bei Burmeister (1999), S. 57, sowie bei Behrer (2001), S. 32; die Turmansichten Stimmelmayrs Burmeister (1999), S. 78, die Ansicht Quaglios (nur Hofseite) Burmeister (1999), S. 83 und Behrer (2001), S. 30. Die auf Quaglio aufbauenden, um 1870 enstandenen Ansichten Carl August Lebschées zeigen den Turm jeweils so, daß die Nischen durch andere Gebäudeteile verdeckt sind. Die Abbildung der Straßenseite des Turmes ohne Nischen findet sich bei Burmeister (1999), S. 88 (Michel Neher, zw. 1819 und 1842).
[35] Siehe die Abbildung bei Burmeister (1999), S. 83 oder Behrer (2001), S. 30. Die Gestaltung als Tartschenschilde mit aufwändig gestaltetem Oberwappen entspricht zu sehr dem Geiste der Romantik, als daß sie Anfang des 19. Jahrhunderts auf diese Weise vorhanden gewesen sein dürften. Burmeister (1999), S. 48, sieht in den Nischen dagegen vermauerte Schießscharten, doch scheint dies bei ihrer Größe mehr als unwahrscheinlich. Er hat auch für alle Wappen des Turmes eine eigene Deutung vorgelegt (Fußnote 91), die bei der Deutung der Wappen auf der Hofseite erheblich von der hier vorgelegten abweicht.

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