Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 01 - Wintersemester 05/06)
 

Charalambakis, Ioannis

 
 

Homosexualität im antiken Griechenland

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II Die griechische Klassik

 
  Für die Zeit des klassischen Griechenlands verfügen wir über ein ganze Reihe von Quellen, in denen explizit oder implizit auf homosexuelles Verhalten in der Bevölkerung eingegangen wird. So haben, wie bereits erwähnt, die Tragödiendichter Aischylos mit den "Myrmidonen" und Sophokles, dem man selbst päderastische Neigungen nachsagte,[26] mit den "Kolcherinnen" und "Niobe", Stücke geschaffen, in denen gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Männern vorkommen. Leider wurden sie nur fragmentarisch bei Athenaios überliefert.[27] Im Gegensatz dazu sind Komödien des Aristophanes komplett erhalten, in denen der Autor die Homosexualität bekannter Persönlichkeiten verspottet. So ist in den "Thesmophoriazusen" Agathon das Opfer,[28] während in den "Acharnern" und der "Lysistrate" ein zeitgenössischer Kleisthenes - nicht der bekannte Reformer - dem Hohn der Massen preisgegeben wird. Die betreffenden Personen wurden dabei nicht aufgrund ihrer homosexuellen Neigungen, die an sich nicht als anstößig betrachtet wurden, verunglimpft, sondern als unmännlich dargestellt, indem sie sich Frauenkleider anzogen oder anderen Männern hingaben. Oftmals wurde ihnen auch der verpönte Analverkehr nachgesagt. Insofern erfüllte Aristophanes die Wünsche des athenischen Demos, der sich gerne an den Lastern der oberen Schichten erfreute.[29]
Aus dem Kreis der attischen Redner ist vor allem die Rede "Gegen Timarchos" des Aischines hervorzuheben. Es handelte sich dabei um eine Klage gegen besagten Timarchos, dem vorgeworfen wurde sich prostituiert zu haben, was nach athenischem Recht zum Verlust einiger Bürgerrechte, insbesondere des Rechts vor der Volksversammlung sprechen zu dürfen, führen mußte.[30] Dem Angeklagten wurde hauptsächlich zur Last gelegt, daß er sich von seinen Liebhabern haushalten ließ und Geldgeschenke annahm. Die Beziehung zu Männern stellt an sich aber kein Problem dar, ganz im Gegenteil brüstet sich Aischines selbst damit schon homosexuelle Erfahrungen gemacht zu haben, wobei er allerdings von einer ehrenvollen Liebe im Gegensatz zum unmoralischen Verhalten des Timarchos ausgeht.[31] In dieser Rede tritt sehr deutlich zutage wie schwierig es ist eine klare Grenze zwischen Prostitution und ethisch vertretbarem Handeln zu ziehen. Die Annahme von Geschenken reicht dafür bei weitem nicht aus, da es zum Ritual des Werbens gehörte, daß der Liebhaber seinen Geliebten mit Gaben zu gewinnen versuchte. Wann dabei die Grenze überschritten war, und welchen Einfluß auch andere Faktoren, wie z.B. die Anzahl der Liebhaber, auf die Bewertung hatten, muß an dieser Stelle offen bleiben. Ganz offensichtlich aber waren bestimmte gesellschaftliche Konventionen einzuhalten.
Den stärksten Einfluß auf die moderne Vorstellung von Homosexualität in der Antike haben aber die philosophischen Schriften der klassischen Zeit ausgeübt. So hat insbesondere Platons "Symposion", in dem die Teilnehmer über die Liebe diskutieren, enorme Nachwirkung gehabt. Obwohl offensichtlich verschiedene Meinungen zu dem Thema repräsentiert werden sollen, setzt sich letztlich doch die Vorstellung durch, daß es wahre Liebe nur zwischen Männern geben könne, da nur hier die Ebene der rein fleischlichen Beziehungen verlassen und eine geistige Verbindung erreicht werden könne, in der es nicht mehr nur um sexuelle Befriedigung ginge.[32] Diese Ansichten führten letztlich zur Prägung des Begriffes von der "platonischen" Liebe. In seinen späteren Werken "Phaidros" und "Nomoi" verschärft Platon seine Haltung dann dahingehend, daß zum einen die Liebe ohne sexuellen Kontakt ablaufen müsse, da der Orgasmus der Sieg der Leidenschaft über die Vernunft darstelle und zum anderen homosexuelle Beziehungen grundsätzlich als widernatürlich zu verurteilen seien.[33] Während in Platons "Symposion" verschiedene Haltungen geschildert werden, stellt Xenophon in seinem gleichnamigen Werk von Anfang an klar, daß Sokrates nur für eine rein spirituelle Liebe eintrete.[34] Bezeichnenderweise verlassen am Ende die Teilnehmer des Festes vor Sehnsucht nach ihren Frauen die Liebhaber und kehren schnellstens nach Hause zurück. Wie uns Diogenes Laertius überliefert, hat auch Aristoteles einen Dialog "Über die Liebe" und "Thesen zur Liebe" verfaßt, die leider komplett verloren sind.[35] Zenon und die Stoiker betrachteten sexuelle Beziehungen als solche völlig wertneutral, weshalb für sie die Geschlechter der Beteiligten keine Rolle spielten.[36] Allerdings wurde Liebe, die mehr als nur physischen Kontakt beinhaltete, wegen ihres erzieherischen Wertes höher geschätzt, was gleichzeitig aber fleischliche Begierden nicht auschloß.
Neben der schriftlichen Überlieferung sind die erhaltenen Vasenbilder eine wichtige Quelle für die Erfassung griechischen Sexualverhaltens. Um eine langwierige Besprechung einzelner Stücke zu umgehen, sollen nur die wesentlichen Erkenntnisse einschlägiger Untersuchungen wiedergegeben werden.[37] Zunächst ist festzustellen, daß in erster Linie Kontakte zwischen erwachsenen, bärtigen Liebhabern und jugendlichen, bartlosen Geliebten dargestellt wurden. Der erste Bartwuchs galt gemeinhin als ein Zeichen des Erwachsenwerdens, was das Ende des Geliebtendaseins bedeutete.[38] Die gezeigten Kontakte beinhalten zum einen das Werben um einen Geliebten, Küsse zwischen den Liebenden oder die Berührung der Geschlechtsteile des Geliebten durch den Liebhaber, wobei allerdings immer eine Abwehrhaltung deutlich gemacht wird, die andeuten soll, daß man sich nicht wehrlos hingeben durfte. Zum anderen wird oftmals auch der sogenannte Schenkelverkehr dargestellt. Dabei steckt der Liebhaber seinen erregierten Penis von vorne zwischen die Schenkel des Geliebten, um durch diese Form der Stimulation zur Befriedigung seiner Lust zu gelangen. Aus heutiger Sicht bemerkenswert ist der Umstand, daß grundsätzlich keine anale Penetration wiedergegeben wird.
Nur am Rande sei hier auch eine Militäreinheit der besonderen Art erwähnt, die sogenannte "Heilige Schar" der Thebaner, die 378 von Gorgidas eingeführt und in der Folgezeit von Pelopidas zu einer Spezialeinheit geformt wurde. Sie bestand angeblich aus 150 Liebhabern und ihren 150 Geliebten.[39] Allgemein waren sexuelle Kontakte in den Armeen der Antike nicht unüblich, so daß einige Soldaten sogar ihre Geliebten mit zum Kriegsdienst nahmen. Dennoch war eine derart aufgestellte Truppe einzigartig. Ihre Zusammensetzung beruhte auf der Überlegung, daß sich die Liebenden unter den Augen ihrer Partner besonders tapfer verhalten würden, um jegliche Form von Schande von ihnen abzuwenden. In ihrem letzten Kampf gegen Philipp II. und seinen Sohn Alexander bei Chaironeia wurde dann die komplette Truppe aufgerieben und alle 300 Mann getötet. In der Forschung ist bis heute allerdings umstritten, ob eine Kampfeinheit in dieser Form überhaupt je existiert hat.[40]
Am Beginn der hellenistischen Epoche stand die Herrschaft Alexanders, der nach dem Tod seines Vaters Philipp II. 336 v. Chr. an die Macht kam. Jener war aus Rache für eine Demütigung von einem ehemaligen Liebhaber namens Pausanias in aller Öffentlichkeit ermordet worden.[41] Alexander selbst hatte ein enges Verhältnis zu seinem Freund Hephaistion und sah die Beziehung daher in direkter Nachfolge zu Achill und Patroklos. Ob sie allerdings wirklich Liebhaber waren bleibt offen.[42] Fest steht hingegen, daß die Abneigung des Königs gegen Frauen und Sklaven mit der Eroberung Persiens nachließ, wodurch zum einen die Ehe mit Roxanne, zum anderen aber auch das Verhältnis zu dem Perser Bagoas ermöglicht wurde.[43] Abgesehen von diesen Erwähnungen in den Alexanderbiographien bestehen die Quellen für diesen Zeitraum der griechischen Geschichte vor allem aus Gedichten mit homoerotischen Inhalten, die hier aber nicht im einzelnen behandelt werden sollen.[44]
 

Fussnote(n):
[26] Vgl. Crompton, 51.
[27] Vgl. Athenaios, 601 u. 602.
[28] Vgl. Aristophanes: Thesmophoriazusen, 1-276.
[29] Vgl. Crompton, 53 f.
[30] Vgl. Aischines, 6,29.
[31] Vgl. Aischines, 6,136.
[32] Vgl. Platon: Symposion, 181b-d.
[33] Vgl. Platon: Phaidros, 247d-256c. Platon: Nomoi, 8,836b-c.
[34] Vgl. Xenophon: Symposion, 1,8-10.
[35] Vgl. Diogenes Laertius, 5,22 u. 24.
[36] Vgl. Sextus Empiricus 3,200 u. 245.
[37] Ausführliche Besprechungen der erhaltenen Keramik finden sich in erster Linie bei Dover: Homosexuality u. Reinsberg, Carola: Ehe, Hetärentum und Knabenliebe im antiken Griechenland. München: Beck 1989 sowie teilweise bei Crompton, 1-31 u. 49-110.
[38] Vgl. Reinsberg, 165. Foucault, Michel: Sexualität und Wahrheit. 3 Bde. Übers. v. Ulrich Raulff und Walter Seitter. Bd. 2. Der Gebrauch der Lüste. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1986, 252.
[39] Vgl. Crompton, 69 f.
[40] Zur Forschungsdiskussion und für eine Auswertung der einschlägigen antiken Quellen siehe Leitao, David: The Legend of the Sacred Band. In: Martha C. Nussbaum /Juha Sihvola (Eds.): The Sleep of Reason. Erotic Experience and Sexual Ethics in Ancient Greece and Rome. Chicago: Chicago UP 2002, 143 ff.
[41] Vgl. Aristoteles: Politik, 1311a31-b6. Diodor, 16,93,5-6.
[42] Vgl. Crompton, 78
[43] Vgl. Curtius, 6,5,23. Plutarch: Alexander, 67,4. Athenaios, 603b.
[44] Für einen Überblick über hellenistische Dichtung mit homoerotischen Charakter siehe Hubbard, 268-307.

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