Um Ciceros
Position bezüglich der Rednerausbildung im Allgemeinen und den hohen Anspruch
an den orator perfectus im Besonderen
besser einordnen zu können, ist es nötig, sich die damals aktuelle politische
Situation vor Augen zu führen.
Noch bevor Caesar
im Jahre 59 v. Chr. sein erstes Konsulat antrat, hatte er mit Crassus und
Pompeius ein politisches Bündnis mit der Maxime ne quid ageretur in re publica, quod
displicuisset ulli e tribus [86] für die Dauer von fünf Jahren geschlossen, das später
als erstes Triumvirat bezeichnet wird. Das Ackergesetz und die rechtliche
Anerkennung Pompeius’ Verwaltungsmaßnahmen im Osten, setzte Caesar beide Male
ohne Zustimmung des Senats durch. Auf ähnliche Weise gelang es ihm, ein
außerordentliches Imperium über Gallien zu bekommen. Im Jahre 56 v. Chr. wurden
bei der Geheimkonferenz von Luca nicht nur weitere Sonderkommandos für die
Dreimänner ausgehandelt, sondern auch die erneute Kandidatur Crassus' und
Pompeius' für das Konsulat im folgenden Jahr und die Verlängerung des
Triumvirats beschlossen. [87]
Diese Politik, die so völlig im Widerspruch zum mos maiorum stand, musste Cicero missfallen. War es doch die
Aufgabe der Volkstribunen dem Volk Gesetzesvorschläge zur Abstimmung vorzulegen
und die des Senats über die Finanzen und die Außenpolitik zu wachen. Ganz zu
schweigen davon, dass Caesar gewichtige politische Entscheidungen außerhalb der
Hauptstadt traf.
P. Clodius
Pulcher – ein populares Redetalent
Mehr noch musste
dem Verfechter des mos maiorum die
Politik des Clodius missfallen, unter anderem deswegen, weil Cicero selbst
darunter zu leiden hatte.
Ganz der im 1.
Jahrhundert v. Chr. üblichen Praxis entsprechend stieg der junge Patrizier über das Gericht in die Politik ein [88].
Aber erst durch den Religionsfrevel im Jahre 62 v. Chr. sicherte sich Clodius
die öffentliche Aufmerksamkeit. Verkleidet als Frau, schlich sich Clodius in
das Fest zu Ehren der bona dea ein,
das ausschließlich Frauen zugänglich war. Clodius wurde enttarnt, aber es
gelang ihm zu fliehen. Der Verurteilung des durch die optimates angestrengten Prozesses entrann der junge Patrizier dank
einer groß angelegten Bestechung. Gleichzeitig schwang er sich, unterstützt von
einer Schlägertruppe, zum Führer der populares
auf [89].
Bereits ein Jahr
später erklomm Clodius eine weitere wichtige Sprosse seiner Karriereleiter.
Nachdem er von einem Plebejer adoptiert worden war, konnte Clodius sich um das
Volkstribunat bewerben. Diese Adoption, die normalerweise ein langwieriger
Prozess war, wurde innerhalb weniger Stunden vollzogen. Schlimmer noch musste
für Cicero die Tatsache gewesen sein, dass sie sich an seine Rede gegen die
damals aktuelle politische Lage anschloss, die er im Zuge eines
Gerichtsverfahrens für Gaius Antonius hielt [90].
Während Clodius'
Volktribunat im Jahre 59 v. Chr., bekam Cicero die Auswirkungen seiner
Demagogie direkt zu spüren. Unter der Vielzahl der durchgepeitschten Gesetze
des Volkstribunen zielte eines speziell
auf Cicero ab. Mit der Erneuerung einer lex
Sempronia [91]
sollten diejenigen geächtet werden, die römische Bürger ohne Gerichtsurteil
töten lassen oder ließen. Cicero, der im Jahre 63 v. Chr. die catilinarischen Verschwörer
eben ohne ein solches Urteil hatte hinrichten lassen, begab sich noch vor der
Urteilsverkündigung freiwillig in die Verbannung. Aus dieser sollte er erst im
Jahre 57 v. Chr. zurückkehren, nachdem seine Freunde mit Caesars und Pompeius'
Unterstützung die Rückberufung, trotz des von Clodius' Prügelbanden
verbreiteten Terrors, durchsetzen konnten [92].
Nach seiner
Rückkehr, gelang es Cicero sein Haus auf dem Palatin wieder zu errichten,
obwohl Clodius Teile des Grundstücks gekauft und der libertas geweiht hatte [93].
Im Jahre 56 v.
Chr. klagte Clodius, mittlerweile zum Ädilen gewählt, T. Annius Milo wegen
Gewaltverbrechen an. Milo war im Jahre 57 v. Chr. ein Amtskollege Clodius'
gewesen und hatte seinerseits Prügelbanden organisiert, um dem Terror Clodius'
Einhalt zu gebieten. Teile von Clodius' Reden zum Prozess, der nie zu einem
Abschluss kam, sind bis heute erhalten geblieben. Das geschickt inszenierte
Frage – Antwort – Spiel zwischen Clodius und
dem Volk [94]
beweist seine Beherrschung der Redekunst. [95]
Mit Hilfe seiner eben beschriebenen rhetorischen Fähigkeit, sowie der
Rekrutierung seiner Knüppelbanden und der breiten Unterstützung der plebs urbana und der Sklaven [96], gelang es Clodius seine Gegner politisch
kaltzustellen – neben Cicero wurde zum Beispiel auch Cato durch ein
Sonderkommando im Osten des Reiches zeitweilig außer Gefecht gesetzt – und in
der Politik Roms Fuß zu fassen.