Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Zarka, Attila

 
 

Geschichte als Geschichte

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Aventinus
Wie gehen Sie als Lektor bei der Lektüre eines historischen Romans vor? Welches (Vor-)Wissen versuchen Sie sich anzueignen?

 

  Timothy Sonderhüsken (Knaur Verlag)
Natürlich fällt es mir leichter, einen Krimi oder gefühlvollen Frauenroman zu beurteilen – bei diesen kann ich mich ganz auf die Konstruktion der Geschichte und die Zeichnung der Figuren konzentrieren. Was Geschichte angeht, bin ich Laie – weswegen ich bereits beim ersten Lesen viele im Manuskript genannte Fakten überprüfe. Das Internet ist dabei eine ebenso große Hilfe wie ein Lexikon. Natürlich kann ich mir so aber nur einen groben Überblick verschaffen. Die eigentliche Kontrolle des Inhalts erfolgt später gemeinsam mit dem Autor: Wo und wie hat er recherchiert? Und warum kam er zu welcher Schlussfolgerung, die in der vorliegenden Form eventuell neu ist? Es kann übrigens auch ein Vorteil sein, kein Geschichts-As zu sein, wenn man einen historischen Roman beurteilt. Der Autor ist in der Regel ein Profi, er kennt sich hervorragend aus – mag daher übersehen, dass er manche Punkte für den Laien einfacher darstellen, überschaubarer und nachvollziehbarer machen muss.
 

 

Aventinus
Was ist für Sie wichtiger: die Quelle oder die wissenschaftlich aufgearbeitete Interpretation?

 

 

Tanja Kinkel
Da ich, soweit ich über historische Charaktere statt erfundene Figuren schreibe, in der Regel zu kontroversen Persönlichkeiten neige, ist Sekundärliteratur sehr wichtig; nehmen Sie jemanden wie Kardinal Richelieu. Wenn ich „nur“ die zeitgenössischen Anti-Richelieu-Pamphlete oder unkritischen Lobeshymnen gelesen hätte, dann hätte ich mir kein konkretes Bild von dem Mann machen und „Die Schatten von La Rochelle“ nicht schreiben können, also waren Biographien, von Klassikern wie Burkhardt bis zu modernen Werken, die innerhalb des letzten Jahrzehnts erschienen sind, sehr wichtig. Trotzdem bin ich froh, dass ich zumindest einen Teil besagter Pamphlete oder theologischer Traktate selbst lesen, und nicht nur in Zitaten aufbereitet finden konnte; das half mir, mich in die Zeit einzufühlen. Bei meinem allerersten Roman, „Wahnsinn, der das Herz zerfrisst“, war die Lektüre der Briefe nicht nur Byrons, sondern auch Augustas und Annabellas sicher entscheidend für mein Verlangen, über alle drei zu schreiben und ihnen gerecht werden zu können.

 

 

Ulrike Schweikert
Ich arbeite selten mit Quellen, da ich kein Latein kann, Handschriften nur sehr schwer zu lesen sind und es vermutlich Jahre bräuchte, bis ich das Material für einen Roman zusammengestellt hätte. Daher nehme ich Sekundärliteratur, sehe mir alle Orte selbst an und spreche mit den Menschen, die sich mit den speziellen Themen auskennen, an Instituten, Unis oder örtlichen historischen Vereinen.

 

  Aventinus
Inwieweit besteht Ihre Geschichte schon, bevor Sie mit der Recherche beginnen? Recherchieren Sie gezielt? Womit beginnen Sie Ihre Recherche?
 

  Tanja Kinkel
Das kommt darauf an, ob ich über eine bestimmte historische Figur schreibe, wie z.B. Eleonore von Aquitanien, oder eine erfundene Gestalt, wie Richard Artzt in den „Puppenspielern“. Bei einer „realen“ Persönlichkeit fange ich mit deren Biographien an, erst aktuellen, dann, soweit vorhanden, zeitgenössischen, und versuche, Primärmaterial zu finden, d.h. Briefe, Tagebücher, etc., was natürlich bei jemandem wie Byron viel leichter ist als bei jemandem wie Eleonore.
Bei einer erfundenen Gestalt wie Richard beginne ich mit Gesamtüberblicken über die Epoche, soweit vorhanden, Biographien von Zeitgenossen, Analysen der Berufsstände, die für das Leben meiner erfundenen Figur wichtig sind, oder, habe ich bereits einen bestimmten Beruf im Sinn, natürlich gezielte Darstellungen dieses Gewerbes.
In beiden Fällen versuche ich, Material zum Alltagsleben zu finden, also Eßgewohnheiten, Kleidung, usw.
Schreibe ich über eine historische Gestalt, so weiß ich zu Beginn der Recherche meistens noch nicht, ob ich über das gesamte Leben schreiben möchte – wie bei Eleonore – oder nur über einen oder mehrere Abschnitte, wie bei Richelieu. Bei einer erfundenen Figur dagegen weiß ich in der Regel zu Beginn schon, ob ich ein Leben oder nur einen Ausschnitt erzählen möchte.
 

 

Aventinus
Welche historische Institutionen sind für Sie bei der Recherche wichtig? Wie sind Ihre Erfahrungen mit diesen bezüglich z.B. Zusammenarbeit und Informationsgehalt?

 

 

Tanja Kinkel
Bibliotheken überall in der Welt, von der StaBi in München über die Feuchtwanger Memorial Library in Los Angeles bis hin zur British Library in London oder der National Library of Scotland. Ich habe hervorragende Erfahrungen mit ihnen gemacht, und bei meinem Gegenwartsroman waren die Dozenten in Harvard, an den New Yorker Universitäten und in Los Angeles besonders hilfreich. Sie standen auch für Nachfragen per Email ständig zur Verfügung.

 

  Ulrike Schweikert
Ich gehe natürlich in die Landesbibliothek oder in Unibibliotheken, doch besonders wichtig sind die Archive vor Ort oder Institute, die sich mit Spezialthemen beschäftigen – beispielsweise das Institut für die Geschichte der Medizin in Stuttgart.Ich laufe stets offene Türen ein. Ich erfahre viel Hilfsbereitschaft und bin immer wieder erstaunt, wie bereitwillig mich die Leute unterstützen und mit mir nach den mir wichtigen Daten suchen.
 

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