Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Zarka, Attila

 
 

Geschichte als Geschichte

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Interview

Für das nachfolgende Interview haben wir Tanja Kinkel, Ulrike Schweikert und Timothy Sonderhüsken unabhängig voneinander befragt. Die Gespräche wurden durch uns im Nachhinein leicht gekürzt und zusammengeführt.

 

  Aventinus
Historische Romane sind vor allem in Deutschland eine sehr begehrte Lektüre. Was macht Ihrer Meinung nach ihren Erfolg aus?
 

 

Tanja Kinkel
Ich glaube nicht, dass man da verallgemeinern und allen Lesern die gleichen Motive unterstellen kann. Für mich selbst liegt ein großer Teil der Faszination des historischen Romans in der Mischung aus Fremdem und Vertrautem; es ist die Realität, aus der unsere hervorgegangen ist, es gibt Parallelen zur Gegenwart,die faszinierend sind, und ebensolche Kontraste, Dinge, die einzigartig für die jeweilige Epoche sind, und Umstände, die sich exakt in unserer Zeitwiderspiegeln.

 

 

Ulrike Schweikert
Auch die Reiselust der Deutschen ist – trotz knapper Kassen – ungebrochen. Ich denke, dass da ein Zusammenhang besteht. Die Menschen wollen Abwechslung von ihrem Alltag. Sie möchten etwas Besonders, Fremdes, Exotisches erleben – entweder in anderen Ländern oder in vergangenen Zeiten bei der Lektüre historischer Romane.

 

 

Aventinus
Warum wird überwiegend das Mittelalter als Themenbereich herangezogen und in welchem Zusammenhang steht das zu dem leider oft gezeichnetem Bild "Das dunkle Mittelalter"?

 

 

Ulrike Schweikert
Abtauchen und vergessen und dann auch noch nebenbei ein wenig über unsere Wurzeln lernen, das macht den Reiz des historischen Romans aus. Und wenn es dann grausam und bedrückend wird, dann liegt es zum Glück schon so lang zurück, dass es uns nicht mehr betrifft… Ganz anders als die Geschichten, die in den Zeiten der Weltkriege des 20. Jahrhunderts spielen. Das Mittelalter lässt uns wohlig schaudern – die Weltkriege nicht. Es wird dem Mittelalter eine falsche Romantik angehängt, die zum Träumen einlädt - mit der ich in meinen Romanen allerdings schonungslos aufräume. Romantisch war diese Zeit nicht! Es war einerseits düster und grausam, aber anderseits für Frauen in manchen Bereichen freier als die frühe Neuzeit bis zum Biedermeier.

 

 

Aventinus
Wie wichtig ist historische Authentizität? Steht die zu erzählende Geschichte oder die historische Wirklichkeit im Vordergrund?

 

 

Tanja Kinkel
Die eine muß die andere nicht ausschließen, zumal man mit Pilatus in bezug auf vieles in der Geschichte sagen könnte: „Was ist Wahrheit?“  In der Regel wissen wir, wann bestimmte Menschen geboren und gestorben sind, doch bereits, wenn es um ihre Motive geht, fängt die Spekulation an, lange vor jedem Roman. Bereits bei einem Autounfall kann man davon ausgehen, daß drei verschiedene Zeugen drei verschiedene Versionen liefern; bei komplexeren Geschehnissen in der Geschichte vervielfacht sich dieses Prinzip. Es ist mir wichtig, so genau wie möglich zu recherchieren, ehe ich mit dem Roman beginne, aber ich schreibe kein Sachbuch. Was bedeutet, dass ich nicht für jedes Wort bürgen muß, und meine Aussagen über Beweggründe nicht durch ein „Möglicherweise…“ einleiten muß. Gelegentlich ist es notwendig, sich bewusst Freiheiten zu nehmen, so z.B. in „Die Puppenspieler“, wo ich Ereignisse, die sich in Wirklichkeit über einen längeren Zeitraum hin abgespielt haben, auf etwa ein Jahrzehnt verdichte, um sie besser im Einklang mit der Entwicklung der Hauptfigur zu bringen. Bei anderen Romanen hatte ich das Problem nicht, und also war keine Verkürzung von Daten notwendig. Fazit: Im Zweifelsfall die zu erzählende Geschichte, doch ich bemühe mich, beiden gerecht zu werden.

 

 

Timothy Sonderhüsken (Knaur Verlag)
Natürlich ist es beim historischen Roman – wie bei jedem anderen Roman auch - wichtig, dass die Fakten stimmen. Davon abgesehen kann man die Frage nicht eindeutig beantworten. Es kommt ganz auf den Leser und seine Wünsche an: Sucht er eine Geschichte, die vor allen Dingen spannend und/oder romantisch ist und bei der die Historie eher die Tapete im Hintergrund darstellt – oder ist er vorrangig an der jeweiligen Zeit interessiert und will auf angenehme Art etwas über Geschichte lernen. Diese Leser erwarten eine viel stärkere Konzentration auf das historische Detail. Nennen wir diese beiden verschiedenen Arten von Büchern einfach einmal lapidar "Tapetenroman" und "Bildungsbuch". Für ein "Tapetenbuch" mag es reichen, wenn erwähnt wird, dass zum Zeitpunkt der Romanhandlung seit X Jahren Krieg zwischen England und Frankreich herrscht. Vor diesem Bedrohungsszenario kann sich nun die eigentliche Handlung entfalten. Beim "Bildungsbuch" wird dieser Hintergrund viel stärker herausgearbeitet – wer kämpft warum wie lange mit welchem Verbündeten gegen wen. Für beide Arten von historischen Romanen gibt es eine breite Zielgruppe - und oft überlappen sich diese auch.

 

 

Aventinus
Wie kritisch sind Leser und Lektor/Verlag was die historische Genauigkeit betrifft?

 

  Timothy Sonderhüsken (Knaur Verlag)
Generell werden im Lektorat alle historischen Fakten gewissenhaft geprüft. Hinzu kommt, dass jeder Lektor natürlich sehr genau darauf achtet, dass die Geschichte in sich stimmig ist und zur jeweiligen Zeit passt, ebenso wie die Sprache der Protagonisten. Um ein sehr vereinfachtes Beispiel zu nennen: Es wird natürlich darauf geachtet, dass eine Dienstmagd nicht einfach umgangssprachlich zum König sagt: „Nee, du, das finde ich jetzt aber mal nicht so toll.“ Aber auch, dass eine Dienstmagd in den seltensten Fällen überhaupt freien Zugang zum König hatte.Leser, die vor allen Dingen eine spannende oder romantische Geschichte lesen wollen, legen tendenziell etwas weniger Wert auf die detailgenaue Ausarbeitung eines historischen Zusammenhanges (heißt: alles, was im Buch steht, muss stimmen – aber es muss eben nicht alles über die jeweilige Zeit im Buch stehen) als die Leser, die einen Bildungsanspruch an das Buch stellen. Andererseits erinnere ich mich an einen wütenden Leserbrief, den ich vor einigen Jahren zu einem romantischen Liebesroman erhielt, bei dem Leidenschaft und Erotik deutlich im Vordergrund standen. Die Leserin beschwerte sich – zu Recht! – darüber, dass in einer Nebenbemerkung (ohne wirklichen Bezug zur Handlung) erwähnt wurde, dass Eleonore von Aquitanien vor zehn Jahren gestorben sei – der Roman aber, wie an anderer Stelle dargestellt wurde, 1210 spielte, also erst sechs Jahre nach dem Tod der bekannten Persönlichkeit.
 

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