Nun prallen aber zwei Gegensätze aufeinander: Auf der einen
Seite (Lev. XVIII, 139 f.) behauptet Hobbes, dass der Souverän nicht nur
bestimmen könne, sondern sogar müsse, welche (religiöse) Lehre in seinem Reich
Anwendung finden soll, um den Staatszweck zu erfüllen, auf der anderen Seite
(Lev. XL, 360; XLII, 380) [39] aber, dass Glaube nicht erzwingbar sei. In der
Lösung dieses Problems kann man das eigentliche Herzstück der Hobbeschen
Friedensstrategie sehen: Indem er Innen von Außen trennt, Gedanken und Gewissen
– als nicht in der Öffentlichkeit vertreten und ausgelebt – von Handlungen,
wird es sowohl einem Untertanen, dessen Handlungen von ihm losgelöst und zu
denen seines Souveräns werden (Lev. XLII, 381), möglich, einem andersgläubigen
Souverän – Hobbes behauptet nicht, dass der Souverän automatisch die richtige
Religion vertritt (Lev. XLIII, 457f.) – Gehorsam zu leisten, ohne sich an Gott
zu versündigen, als auch dem Souverän, der nicht in diese individuelle, private
Sphäre interveniert, sondern nur öffentlichen Gehorsam, das heißt in Taten,
verlangt, Widerstand andersgläubiger Untertanen zu verhindern (Lev. XLII, 381).
In foro interno dürfen die Leute glauben, was auch immer sie für wahr
und richtig halten, in foro externo aber müssen sie der vom Souverän
autorisierten Doktrin folgen, um den Frieden zu bewahren, den Gott sowohl durch
das natürliche als auch durch das biblische „Gesetz“ verlangt: Es ist die
Unterscheidung zwischen der unsichtbaren fides, die jedem freigestellt
ist, und der dem Souverän unterstehenden, erzwingbaren confessio, dem
Lippenbekenntnis, abgeleitet aus dem Alten Testament [40]. Hobbes vertritt hier
nicht die traditionelle Auffassung, dass Christen einen beschwerlichen Weg für
ihr Heil gehen müssen, sondern er hat ein ganz einfaches Verständnis davon, was
zur Errettung notwendig ist: Nicht Widerstand, sondern Anpassung an die
generelle Harmonie ist die Lösung [41].
Das Christentum ist dabei nicht eine beliebige Religion
unter anderen, sondern hebt sich als besonders harmoniegeeignet hervor. Hobbes
(Lev. XLIII, 457 f.) demonstriert dies an den beiden Fällen „A: Der Souverän
ist selbst Christ“ und „B: Der Souverän ist ein Ungläubiger“. Im ersten Fall
erlaubt dieser den einen Glaubensartikel und damit implizit auch alle anderen
ohnehin. Selbst wenn er Trugschlüsse aus dem ersten Glaubensartikel ziehen sollte,
ändert dies nicht viel: denn nicht nur, dass der Glaube an den einen Satz
„Jesus ist der Christus“ zur Errettung vollkommen ausreicht, da er alle anderen
in sich vereint, und auch nicht nur, dass menschliche Irrtümer – und damit auch
die des Souveräns – von anderen Menschen nicht sicher als solche erkannt und
korrigiert werden können. Nein, das Entscheidende ist, dass der Untertan
aufgrund des christlichen Gehorsamsgebotes, das allein zur Errettung ausreicht,
verpflichtet ist, dem Souverän zu gehorchen, was auch immer dieser öffentlich
zu vertreten befiehlt: Der Hobbesche Gott setzt Friede und Harmonie über die
Verkündung seiner Botschaft. Und aufgrund dieser Tatsache „…kann es zwischen
den Gesetzen Gottes und den Gesetzen eines christlichen Staates keinen
Widerspruch geben“ (Lev. XLIII, 458).
Die Trennung von foro interno und
foro externo, Privat und Öffentlich
ist aber auch eine Chance für Ungläubige in einer gläubigen Umgebung, wenn auch
mit dem Nachsatz, dass ihnen ein Leben unter diesen Umständen durch das
fehlende Gehorsamsgebot sicherlich schwerer fällt als den Christen. Ist
hingegen der Souverän ein Ungläubiger, der Götzenverehrung verlangt, zeigt
jenes christliche Gehorsamsgebot Wirkung, denn jeder Untertan, der ihm
Widerstand leistet, sündigt sowohl gegen den biblischen Gott (insofern die
Bibel durch den Mund Christi und der Apostel Gehorsam gegen den Herrscher rät)
als auch gegen den natürlichen Gott (insofern offener Widerstand andere
ebenfalls dazu ermuntert und über Bürgerkrieg und Aufstände schließlich im
Naturzustand mündet). Der Glaube hingegen kann, da „innerlich und unsichtbar“ (Lev. XLIII, 458), dennoch gewahrt
bleiben. In Gefahr dürften die christlichen Untertanen unter einem heidnischen
Herrscher nicht sein, Hobbes geht nämlich davon aus, dass jeder ungläubige
Souverän einsehen muss, dass es unvernünftig sei, diese zu verfolgen oder gar
zu töten, wenn er weiß, dass sie auf das zweite Kommen Christi warten und bis
dahin ihrem gegenwärtigen Souverän zum Gehorsam verpflichtet sind.
3 Fazit
Die Frage nach der Religion in einem Staat ist für Hobbes
letztendlich ebenso unwichtig wie die nach der Regierungsform, auch wenn er im
einen Fall das Christentum und im anderen die Monarchie bevorzugen mag. Hobbes
geht es um den Frieden – und darum um die Erhaltung des status quo.
Gerechtigkeit ist für ihn folglich nicht, die „wahre“ Religion durchsetzen zu
wollen, sondern die Befolgung des „Gesetzes der Natur, das das ewige Gesetz
Gottes ist“ (Lev. XLII, 443), nämlich Gehorsam dem Souverän gegenüber, um
nicht vom sicheren, wenn auch zugegebenermaßen nicht perfekten – der Leviathan
ist definitiv nicht der Himmel auf Erden, sondern schlicht die einzige (und
bessere) Alternative (Lev. XX, 162) – Zivilzustand in den unsicheren,
lebensbedrohlichen Naturzustand zurückzufallen. Das Instrument dafür ist der
allmächtige Souverän, hingegen es gilt, die Religion, die als anthropologische
Konstante nicht einfach ignoriert werden kann, so auszuschalten, dass sie ihn
in seiner Souveränität nicht gefährdet. Etwas anderes zu behaupten,
widerspricht, um auf das Zitat, das an den Anfang dieses Aufsatzes gestellt
wurde, zurückzukommen, der Intention des Autors. In diesem Sinne ist nicht
davon auszugehen, dass der zweite Teil des Leviathan – die Bücher III
und IV – ein eigentlich überflüssiger, thematisch komplett differierender Part
ist, um die Zensur zu überlisten, und ebenso fällt es schwer, die beiden ersten
Bücher lediglich als begrifflich klärende Vorläufer desselben anzusehen [42]:
Der Leviathan bildet ein komplexes Ganzes, dessen Teile sich, wenn sie auch
unterschiedliche Schwerpunkte aufweisen – die beiden ersten geben „zeitlose“
Anweisungen, biblische Beispiele darin sind eher dekorativ als tatsächlich
Hobbes’ Thesen stützend, die beiden anderen hingegen richten sich gegen den
christlichen Staat seiner Zeit – doch ergänzen.
Deutlich wird das auch durch die Trennung zwischen foro interno und foro externo.
Dies mit der Resignation des Souveräns vor der faktischen Unmöglichkeit, auch
die inneren Bereiche seiner Untertanen zu beherrschen, oder gar mit dem bloßen
Respekt zu erklären [43], erscheint ebenso widersinnig wie oben erwähnte
Interpretationsversuche des (Nicht-)Zusammenhangs der Bücher eins und zwei mit
den Büchern drei und vier. Hobbes war Pragmatiker, und wenn auch manches seiner
Theorie widersprüchlich erscheint, so ist wohl doch nichts einfach so
hingeworfen, zumal nicht so ausführlich und eindringlich. Tatsächlich nämlich
kann diese Trennung foro interno – foro externo insofern als Herzstück
seiner Konstruktion gelten, als sich hier der Kreis schließt und die
Instrumentalisierung der Religion zugunsten der Politik um des Friedens willen
am deutlichsten hervortritt. Ausgehend davon kann das Gewissen nämlich zur Ruhe
gebracht und der absolute Primat des Souveräns – zumindest vom christlichen
Standpunkt aus – von oben abgesegnet werden. Wenn so in Folge Gehorsam
gegenüber dem Souverän nicht nur ziviles, sondern auch göttliches Muss und eine
Zuwiderhandlung Sünde ist, dann stellt sich der Leviathan tatsächlich als der
mit Allmacht ausgestattete (sterbliche) Gott heraus, als den Hobbes ihn im
ersten Teil seines Werkes Schritt für Schritt aufgebaut hat – ein sterblicher
Gott, dem ebenso wie dem unsterblichen Friede das oberste Gebot ist.
Empfohlene Zitierweise:
Kröss, Katja: Anleitungen zum Frieden Religion und Politik im Leviathan. Ein Rekonstruktionsversuch, in: Aventinus. Die Historische Internetzeitschrift von Studenten für Studenten [Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07], www.aventinus.geschichte.uni-muenchen.de/index.php?ausg=3&id=56&subid=49 [Letzter Aufruf am xx.xx.xxxx]
Kröss, Katja
Geb. 02.02.1979, seit WiSe(05/06) abgeschlossenes Magister Studium Politische Wissenschaft, Alte Geschichte u. Philosophie.
Seit SoSe(06) Promotionsstudiengang Alte Geschichte / Philosophie