Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Kröss, Katja

 
 

Anleitungen zum Frieden
Religion und Politik im Leviathan. Ein Rekonstruktionsversuch

Artikel empfehlen  

  vorherige Seite (Seite 4 von 4)

  Lösung 3: Innerer Glaube

Nun prallen aber zwei Gegensätze aufeinander: Auf der einen Seite (Lev. XVIII, 139 f.) behauptet Hobbes, dass der Souverän nicht nur bestimmen könne, sondern sogar müsse, welche (religiöse) Lehre in seinem Reich Anwendung finden soll, um den Staatszweck zu erfüllen, auf der anderen Seite (Lev. XL, 360; XLII, 380) [39] aber, dass Glaube nicht erzwingbar sei. In der Lösung dieses Problems kann man das eigentliche Herzstück der Hobbeschen Friedensstrategie sehen: Indem er Innen von Außen trennt, Gedanken und Gewissen – als nicht in der Öffentlichkeit vertreten und ausgelebt – von Handlungen, wird es sowohl einem Untertanen, dessen Handlungen von ihm losgelöst und zu denen seines Souveräns werden (Lev. XLII, 381), möglich, einem andersgläubigen Souverän – Hobbes behauptet nicht, dass der Souverän automatisch die richtige Religion vertritt (Lev. XLIII, 457f.) – Gehorsam zu leisten, ohne sich an Gott zu versündigen, als auch dem Souverän, der nicht in diese individuelle, private Sphäre interveniert, sondern nur öffentlichen Gehorsam, das heißt in Taten, verlangt, Widerstand andersgläubiger Untertanen zu verhindern (Lev. XLII, 381). In foro interno dürfen die Leute glauben, was auch immer sie für wahr und richtig halten, in foro externo aber müssen sie der vom Souverän autorisierten Doktrin folgen, um den Frieden zu bewahren, den Gott sowohl durch das natürliche als auch durch das biblische „Gesetz“ verlangt: Es ist die Unterscheidung zwischen der unsichtbaren fides, die jedem freigestellt ist, und der dem Souverän unterstehenden, erzwingbaren confessio, dem Lippenbekenntnis, abgeleitet aus dem Alten Testament [40]. Hobbes vertritt hier nicht die traditionelle Auffassung, dass Christen einen beschwerlichen Weg für ihr Heil gehen müssen, sondern er hat ein ganz einfaches Verständnis davon, was zur Errettung notwendig ist: Nicht Widerstand, sondern Anpassung an die generelle Harmonie ist die Lösung [41].

Das Christentum ist dabei nicht eine beliebige Religion unter anderen, sondern hebt sich als besonders harmoniegeeignet hervor. Hobbes (Lev. XLIII, 457 f.) demonstriert dies an den beiden Fällen „A: Der Souverän ist selbst Christ“ und „B: Der Souverän ist ein Ungläubiger“. Im ersten Fall erlaubt dieser den einen Glaubensartikel und damit implizit auch alle anderen ohnehin. Selbst wenn er Trugschlüsse aus dem ersten Glaubensartikel ziehen sollte, ändert dies nicht viel: denn nicht nur, dass der Glaube an den einen Satz „Jesus ist der Christus“ zur Errettung vollkommen ausreicht, da er alle anderen in sich vereint, und auch nicht nur, dass menschliche Irrtümer – und damit auch die des Souveräns – von anderen Menschen nicht sicher als solche erkannt und korrigiert werden können. Nein, das Entscheidende ist, dass der Untertan aufgrund des christlichen Gehorsamsgebotes, das allein zur Errettung ausreicht, verpflichtet ist, dem Souverän zu gehorchen, was auch immer dieser öffentlich zu vertreten befiehlt: Der Hobbesche Gott setzt Friede und Harmonie über die Verkündung seiner Botschaft. Und aufgrund dieser Tatsache „…kann es zwischen den Gesetzen Gottes und den Gesetzen eines christlichen Staates keinen Widerspruch geben“ (Lev. XLIII, 458).

Die Trennung von foro interno und foro externo, Privat und Öffentlich ist aber auch eine Chance für Ungläubige in einer gläubigen Umgebung, wenn auch mit dem Nachsatz, dass ihnen ein Leben unter diesen Umständen durch das fehlende Gehorsamsgebot sicherlich schwerer fällt als den Christen. Ist hingegen der Souverän ein Ungläubiger, der Götzenverehrung verlangt, zeigt jenes christliche Gehorsamsgebot Wirkung, denn jeder Untertan, der ihm Widerstand leistet, sündigt sowohl gegen den biblischen Gott (insofern die Bibel durch den Mund Christi und der Apostel Gehorsam gegen den Herrscher rät) als auch gegen den natürlichen Gott (insofern offener Widerstand andere ebenfalls dazu ermuntert und über Bürgerkrieg und Aufstände schließlich im Naturzustand mündet). Der Glaube hingegen kann, da „innerlich und unsichtbar“ (Lev. XLIII, 458), dennoch gewahrt bleiben. In Gefahr dürften die christlichen Untertanen unter einem heidnischen Herrscher nicht sein, Hobbes geht nämlich davon aus, dass jeder ungläubige Souverän einsehen muss, dass es unvernünftig sei, diese zu verfolgen oder gar zu töten, wenn er weiß, dass sie auf das zweite Kommen Christi warten und bis dahin ihrem gegenwärtigen Souverän zum Gehorsam verpflichtet sind.
 

 

3 Fazit

Die Frage nach der Religion in einem Staat ist für Hobbes letztendlich ebenso unwichtig wie die nach der Regierungsform, auch wenn er im einen Fall das Christentum und im anderen die Monarchie bevorzugen mag. Hobbes geht es um den Frieden – und darum um die Erhaltung des status quo. Gerechtigkeit ist für ihn folglich nicht, die „wahre“ Religion durchsetzen zu wollen, sondern die Befolgung des „Gesetzes der Natur, das das ewige Gesetz Gottes ist“ (Lev. XLII, 443), nämlich Gehorsam dem Souverän gegenüber, um nicht vom sicheren, wenn auch zugegebenermaßen nicht perfekten – der Leviathan ist definitiv nicht der Himmel auf Erden, sondern schlicht die einzige (und bessere) Alternative (Lev. XX, 162) – Zivilzustand in den unsicheren, lebensbedrohlichen Naturzustand zurückzufallen. Das Instrument dafür ist der allmächtige Souverän, hingegen es gilt, die Religion, die als anthropologische Konstante nicht einfach ignoriert werden kann, so auszuschalten, dass sie ihn in seiner Souveränität nicht gefährdet. Etwas anderes zu behaupten, widerspricht, um auf das Zitat, das an den Anfang dieses Aufsatzes gestellt wurde, zurückzukommen, der Intention des Autors. In diesem Sinne ist nicht davon auszugehen, dass der zweite Teil des Leviathan – die Bücher III und IV – ein eigentlich überflüssiger, thematisch komplett differierender Part ist, um die Zensur zu überlisten, und ebenso fällt es schwer, die beiden ersten Bücher lediglich als begrifflich klärende Vorläufer desselben anzusehen [42]: Der Leviathan bildet ein komplexes Ganzes, dessen Teile sich, wenn sie auch unterschiedliche Schwerpunkte aufweisen – die beiden ersten geben „zeitlose“ Anweisungen, biblische Beispiele darin sind eher dekorativ als tatsächlich Hobbes’ Thesen stützend, die beiden anderen hingegen richten sich gegen den christlichen Staat seiner Zeit – doch ergänzen.

Deutlich wird das auch durch die Trennung zwischen foro interno und foro externo. Dies mit der Resignation des Souveräns vor der faktischen Unmöglichkeit, auch die inneren Bereiche seiner Untertanen zu beherrschen, oder gar mit dem bloßen Respekt zu erklären [43], erscheint ebenso widersinnig wie oben erwähnte Interpretationsversuche des (Nicht-)Zusammenhangs der Bücher eins und zwei mit den Büchern drei und vier. Hobbes war Pragmatiker, und wenn auch manches seiner Theorie widersprüchlich erscheint, so ist wohl doch nichts einfach so hingeworfen, zumal nicht so ausführlich und eindringlich. Tatsächlich nämlich kann diese Trennung foro interno – foro externo insofern als Herzstück seiner Konstruktion gelten, als sich hier der Kreis schließt und die Instrumentalisierung der Religion zugunsten der Politik um des Friedens willen am deutlichsten hervortritt. Ausgehend davon kann das Gewissen nämlich zur Ruhe gebracht und der absolute Primat des Souveräns – zumindest vom christlichen Standpunkt aus – von oben abgesegnet werden. Wenn so in Folge Gehorsam gegenüber dem Souverän nicht nur ziviles, sondern auch göttliches Muss und eine Zuwiderhandlung Sünde ist, dann stellt sich der Leviathan tatsächlich als der mit Allmacht ausgestattete (sterbliche) Gott heraus, als den Hobbes ihn im ersten Teil seines Werkes Schritt für Schritt aufgebaut hat – ein sterblicher Gott, dem ebenso wie dem unsterblichen Friede das oberste Gebot ist.
 

Fussnote(n):
[39] S. auch den Abschnitt Kirche und Souverän.
[40] Hobbes zieht hier die Geschichte des Syrers Naeman heran (Lev. XLII, 381 f.).
[41] Vgl. auch Bellussi, prospettiva 1993, 78 f.
[42] Zu diesen Interpretationslinien vgl. State, S.A. (1987): Hobbes and Hooker; Politics and Religion: A Note on the Structuring of Leviathan, in: King, P. (Hrsg.): Thomas Hobbes. Critical Assessments. Volume IV: Religion, London/ New York 1993, 357-359. Letztere Interpretation stammt von State selbst.
[43] So Kodalle, K.-M.: Wahrheit und System. Studien zum Verhältnis von Theologie und Staatsphilosophie bei Thomas Hobbes, Köln 1971, 148; 151.

 
Quelle Thomas Hobbes: Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates. Herausgegeben und eingeleitet von Iring Fetscher, Neuwied/ Berlin 1966
 

 
Sekundärliteratur

Bellussi, G. (1967): La prospettiva religiosa nella filosofia civile di Thomas Hobbes, in: King, P. (Hrsg.): Thomas Hobbes. Critical Assessments. Volume IV: Religion, London/ New York 1993, 73-82

Eisenach, E.J. (1982) : Hobbes on Church, State and Religion, in: King, P. (Hrsg.): Thomas Hobbes. Critical Assessments. Volume IV: Religion, London/ New York 1993, 290-316

Grady, R.C. (1974-75): The Law of Nature in the Christian Commonwealth: Hobbes’ Argument for Civil Authority, in: King, P. (Hrsg.): Thomas Hobbes. Critical Assessments. Volume IV: Religion, London/ New York 1993, 115-135

Grossheim, M.: Religion und Politik. Die Teile III und IV des Leviathan, in: Kersting, W. (Hrsg.): Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, Berlin 1996, 283-315

Kodalle, K.-M.: Wahrheit und System. Studien zum Verhältnis von Theologie und Staatsphilosophie bei Thomas Hobbes, Köln 1971, 148; 151

Pacchi, A.: Il dio dei filosofi e il dio della bibbia, in: Filosofia e teologia in Hobbes. Dispense del Corso di Storia della Filosofia per L’A.A. 1984-’85, Milano 1985, 131-139

Schröder, H. (1957): Hobbes und der sterbliche Gott, in: King, P. (Hrsg.): Thomas Hobbes. Critical Assessments. Volume IV: Religion, London/ New York 1993, 18-39

Springborg, P. (1975): Leviathan and the Problem of Ecclesiastical Authority, in: King, P. (Hrsg.): Thomas Hobbes. Critical Assessments. Volume IV: Religion, London/ New York 1993, 136-148

State, S.A.: The Religious and the Secular in the Work of Thomas Hobbes, in: Crimnis, J. E. (Hrsg.): Religion, Secularization and Political Thought. Thomas Hobbes to J.S. Mill, London/ New York 1989, 17-38

State, S.A. (1987): Hobbes and Hooker; Politics and Religion: A Note on the Structuring of Leviathan, in: King, P. (Hrsg.): Thomas Hobbes. Critical Assessments. Volume IV: Religion, London/ New York 1993, 357-375

Sutherland, S.R. (1974): God and Religion in Leviathan, in: King, P. (Hrsg.): Thomas Hobbes. Critical Assessments. Volume IV: Religion, London/ New York 1993, 107-114
 

 
Empfohlene Zitierweise:

Kröss, Katja: Anleitungen zum Frieden Religion und Politik im Leviathan. Ein Rekonstruktionsversuch, in: Aventinus. Die Historische Internetzeitschrift von Studenten für Studenten [Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07],
www.aventinus.geschichte.uni-muenchen.de/index.php?ausg=3&id=56&subid=49
[Letzter Aufruf am xx.xx.xxxx]

 

Kröss, Katja

Geb. 02.02.1979, seit WiSe(05/06) abgeschlossenes Magister Studium Politische Wissenschaft, Alte Geschichte u. Philosophie. Seit SoSe(06) Promotionsstudiengang Alte Geschichte / Philosophie

Aventinusartikel:

  vorherige Seite  


[1]  [2]  [3]  [4]