Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
 

Metz, Maximilian

 
 

Ein Grieche bei den Römern - Die hellenistische Gedankenwelt und das römische Imperium im Werk des Polybios'

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  3. Begriffswelten

Trotz bewusst analytisch angelegter Perspektive, die so auch durchaus Vertrauen für seine Aussagen schafft, negierte Polybios jedoch genauso wenig sozial-kulturell geprägte Begriffe wie den des Barbaren, wie die empirisch kaum fassbare Komponente des Schicksals - die Tyche.


3.1 Die Tyche im Verständnis des Polybios'

Ursprünglich verbarg sich hinter der Tyche das Schicksal oder Glück, etwas Launisch-Irrationales, aber auch eine durchaus rationale Vorsehung. Zum ersten Mal tauchte Tyche in der griechischen Literatur bereits bei Hesiod auf, dabei zunächst in einer anthropomorphen Auffassung einer niederen Gottheit. Dann vollzog sich ein Wandel und sie nahm im Gebrauch eine neue Funktion an, nämlich den Charakter des günstigen Ergebnisses.[12]

Dabei darf nicht vergessen werden, dass das Element "Schicksal" - gerade im Hellenismus, also zu Polybios' Zeiten - keineswegs die blinde Zufälligkeit beinhaltete. Tyche war hier das unmenschlichste Element, das doch nicht göttlich sein konnte.[13] Sie war also nicht direkt durch den Menschen zu beeinflussen und konnte sich doch nicht zu den griechischen Gottheiten gesellen.
Polybios führte die Tyche auf eine naturgemäß agierende Vorsehung zurück.[14] Wenn auch nicht unbedingt analytisch greifbar, sorgte also eine gewisse Zielgerichtetheit für eine systematische Einordnung der Tyche in der Geschichts-Auffassung des Polybios. Es passt zur pragmatischen Darstellungsform, dass sie in ihrer Funktion nicht moralisch aufgefasst, der Mensch durch sie also nicht bloß abgestraft wurde, sondern bei seinem Tun und Handeln eine weitere verantwortliche Instanz (neben oder statt seiner selbst) zur Seite gestellt bekam.[15]
Das Auftauchen der Tyche in der Historia sollte dabei nicht unbedingt einen gewaltigen Kontrast zur römischen Glaubenswelt darstellen, der sich Polybios zwangsläufig in seinem Exil ausgesetzt sah, sondern vielmehr in ihrer spezifischen Bedeutung einen Teil hellenistischer Prägung verkörpern.

Wie fand die Tyche in Verbindung mit den Römern also ihren Niederschlag in Polybios' Historia?

Der, im Vergleich zu den griechischen Staaten, komplexere Aufbau des römischen Imperiums mündete in Polybios' Einschätzung, eine Prognose über dessen weiteren Fortgang sei nicht möglich. In diesen Gedanken mischte sich die Erkenntnis, dass sich wohl trotz der Analyse und des Aufsummierens von Fakten und Tatsachen (wie die Zusammensetzung eines Staatswesens oder die Hierarchie des Militärs) nicht alles mit letzter Sicherheit klarstellen ließ, wodurch Rom schließlich zur Weltherrschaft gelangte. An dieser Stelle, also wenn die Rationalität an Grenzen stieß und nicht ausreichte, um den augenscheinlich überragenden Erfolg zu begründen, brachte Polybios den Begriff der Tyche ins Spiel.
Allgegenwärtig und die Geschicke jeder Partei leitend, konnte die Tyche wirksam werden. Wenn man Polybios' Aussagen nach einer wertenden Beurteilung von Römern durchsucht, kann man gerade aus dem Auftreten der Tyche und dem Verhalten der Römer Rückschlüsse ziehen. Eine Rolle spielte sie in einer direkten Verbindung der Achaier mit den Römern:

Es scheint mir, als habe gleichsam eine schlaue, listenreiche Tyche sich dem Unverstand und dem Irrsinn der leitenden Männer entgegengestellt, sie, obgleich auf alle Weise von der Verblendung jener Führer fortgestoßen, trotzdem aber entschlossen, die Achaeer unter allen Umständen zu retten, wie ein guter Ringer auf das einzig noch übrigbleibende Mittel verfiel, nämlich die Griechen schnell zu Boden zu werfen und den Römern einen leichten Sieg über sie zu geben. Und so tat sie auch.[Polybios XXXVIII, 18]

Beim Konflikt mit Hannibal fand Polybios zunächst keine lobenden Worte für die Kampfesmentalität der Römer, las in ihrem Verhalten Angst vor dem Feind.[16] Beim Marsch des Mannes aus Karthago gegen Rom im Jahr 211 v.Chr. war es dann jedoch die Tyche, - hier als glücklicher Zufall - die die Wende bringen konnte:

Als die Nachricht hiervon in Rom eintraf, herrschte in der Stadt die größte Aufregung und Bestürzung. Es kam zu plötzlich, zu unverhofft. Denn noch niemals war Hannibal der Stadt so nahe gewesen, und zugleich beschlich sie die Furcht: es schien ausgeschlossen, dass der Feind gewagt haben würde, so dicht an die Stadt heranzukommen, es sei denn, das Heer vor Capua war vernichtet [...]. Eben in diesem Augenblick aber [...] kam den Römern zu ihrem Heil ein unerwarteter Glücksumstand zu Hilfe. Die beiden Konsuln [...] hatten das eine konsularische Heer, das sie schon vorher ausgehoben hatten, gerade für diesen Tag eidlich verpflichtet, sich mit Waffen in Rom einzufinden, [...] so dass genau zum richtigen Zeitpunkt eine große Menge Soldaten, ohne eigens herbeigerufen zu sein, in Rom versammelt war.[ Polybios XI, 6]

Diese glückliche Fügung kam dem römischen Imperium bei der Verteidigung der Stadt zugute. Hieraus Folgerungen zum Umgang mit den Römern selbst und ihren Fähigkeiten zu ziehen, in Konfliktsituationen einen Vorteil zu gewinnen, fällt jedoch schwer. Expliziter wurde Polybios wenig später, als er eine Parallele zog: Dem Thebaner Epameinondas war trotz herausragender Leistungen ein unverdientes Schicksal bei seiner Unternehmung gegen Sparta nicht erspart geblieben:

Daher erheben die Berichterstatter mit Recht Klage über dieses Zusammentreffen unglücklicher Umstände: der Führer, so sagen sie, habe alles getan, was ein guter Feldherr zu tun vermag; er sei seinen Gegnern überlegen gewesen, nur der Tyche unterlegen. Dasselbe kann man von Hannibal sagen. [...] Das Verhalten der Römer aber in dieser Lage verdient, wie man wohl urteilen muss, höhere Anerkennung als das der Spartaner. Diese nämlich waren auf die erste Nachricht hin blindlings losgezogen und hatten zwar Sparta gerettet, dies jedoch, soviel an ihnen lag, mit dem sicheren Verlust von Mantinea erkauft. Die Römer dagegen schützten und retteten ihre Stadt, dachten aber nicht daran, die Belagerung aufzugeben, sondern hielten unerschütterlich an ihrem Entschluss fest und bedrängten fortan Capua mit noch festerer Siegeszuversicht.[Polybios IX, 8-9]

Trotz aller Zuwendung der Tyche zeigte sich also im Verhalten der Römer ein Vorteil, eine besondere Leistung, wodurch sie wieder verdient glimpflich aus einer Notlage entkamen.
Darüber nie vergessen werden sollte indes, dass für den Aufstieg Roms nicht nur die Tyche ursächlich war, denn das würde die Leistung des Imperiums auf eine andere, nicht empirisch greifbare Bedeutungsebene zurückwerfen.[17]

Eine zusätzliche Qualität verlieh eine andere These der Tyche. Falls man, auch in Hinblick auf den Werdegang der griechischen Staaten (und Rom), in ihrem Einwirken entweder etwas Launisches oder eine verdiente Zuwendung sehen will, oder beides, so konnte der Einfluss und der Hinweis auf die Tyche auch als Warnung verstanden werden. Schon in der Vergangenheit wandte sich die Tyche ab und ein derartiges Schicksal, so eine mögliche Intention bei Polybios, könne womöglich auch die neue Weltmacht ereilen.[18]
 

Fussnote(n):
[12] Stiewe, Klaus, Niklas Holzberg (Hrsg.): Polybios, Darmstadt 1982, S. 297-299.
[13] Stiewe, Klaus, Niklas Holzberg (Hrsg.): Polybios, Darmstadt 1982, S. 304.
[14] Ries, Theo: Polybios zwischen Polis und Imperium, Inaugrigations-Dissertation, Heidelberg 1975, S. 22.
[15] Stiewe, Klaus, Niklas Holzberg (Hrsg.): Polybios, Darmstadt 1982, S. 299.
[16] Vgl. Polybios IX, 4.
[17] Vgl. Champion, Craige: Cultural Politics in Polybius's Histories, Berkley, Los Angeles, London 2004, S. 95.
[18] Vgl. Laqueur, Richard: Polybius. Leipzig 1913, Nachdruck Aalen 1974, S. 275.

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