Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 02 - Sommersemester 06)
 

Dettenhofer, Maria H.

 
 

Basisdemokratie und politische Verantwortung
Denkanstösse aus dem klassischen Athen[*]

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  Die erste Demokratie der Weltgeschichte wurde in einer face-to-face Society verwirklicht, dem griechischen Stadtstaat Athen. Schritt für Schritt wurde die Demokratie über einen Zeitraum von einem halben Jahrhundert entwickelt und schließlich in einer Konsequenz umgesetzt, die für moderne Maßstäbe unvorstellbar ist und in dieser Form nie wieder erreicht wurde. Das Volk (griechisch: demos) war nicht nur nominell Inhaber der Entscheidungsgewalt, sondern herrschte (griechisch: kratein) tatsächlich selbst: Die Bürger Athens versammelten sich in der Ekklesía, der athenischen Volksversammlung,[1] und allein die Beschlüsse der Ekklesía waren es, die Gesetzeskraft beanspruchen konnten. Auch für die Besetzung der politischen Ämter war sie anfangs ausschließlich zuständig; später wurde die Mehrzahl der Ämter nach einer Vorauswahl unter den Berechtigten[2] in einem Losverfahren vergeben. Man ging nämlich von der grundsätzlichen Gleichheit aller Bürger aus, und entsprechend war auch jeder Athener geeignet, ein öffentliches Amt für einen begrenzten Zeitraum zu bekleiden. In der Regel durfte ein Amt von derselben Person nur einmal für eine einjährige Amtsperiode bekleidet werden. Kumulation war selbstverständlich verboten. Zudem waren alle öffentlichen Ämter kollegial besetzt,[3] d. h. ein Einzelner konnte nichts bewirken ohne die Zustimmung der Mehrheit seiner Kollegen. Aristoteles sieht im 6. Buch seiner Politika das Ziel einer Demokratie in der Freiheit und als Wesensmerkmal die Gleichheit aller Bürger; als damit untrennbar verbunden, erkennt er den steten Wechsel im Regieren und Regiertwerden.[4] Und das setzte eine enorm hohe Beteiligung der Bürgerschaft an der politischen Gestaltung des Gemeinwesens voraus und, damit einhergehend, ein sehr ausgeprägtes Maß an bürgerlicher Identität.[5]
Die Athener partizipierten unmittelbar am politischen Entscheidungsfindungsprozess. Gewährleistet war dies durch die spezifischen Konstellationen der athenischen Demokratie. Konstellationen, wie sie in modernen, repräsentativen Demokratien, schon allein weil, es sich bei ihnen in der Regel um Flächenstaaten handelt, nicht mehr gegeben sind.
[...]
 

Fussnote(n):
[*] Gekürzte Fassung der bereits veröffentlichten Arbeit: Eine neue Chance für die Basisdemokratie? Denkanstöße aus dem klassischen Athen, Kursbuch Internet und Politik 1, 2001, 93-103.
[1] Die zentrale Position der athenischen Volksversammlung betont Karl-Wilhelm Welwei, Das klassische Athen. Demokratie und Machtpolitik im 5. und 4. Jahrhundert, Darmstadt 1999; für einen Vergleich zwischen der athenischen Demokratie und modernen Formen der Demokratie siehe auch Josiah Ober, Mass and Elite in Democratic Athens. Rhetoric, Ideology, and the Power of the People, Princeton, New Jersey 1989, S. 3-11.
[2] Zu den Einschränkungen bei bestimmten Ämtern siehe unten.
[3] Zur Bedeutung des Prinzips der Kollegialität in antiken Gemeinwesen siehe Maria H. Dettenhofer, Die Konkurrenz zwischen res publica und domus Augusta. Herrschaft und Widerstand im augusteischen Principat, Stuttgart 2000, S. 22 mit Anm. 50.
[4] Aristoteles, Politika,1317b.
[5] Dazu Christian Meier, Bürger-Identität und Demokratie, in: Christian Meier / Paul Veyne, Kannten die Griechen die Demokratie?, Berlin 1988, S. 47-89.

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