Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 01 - Wintersemester 05/06)
 

Charalambakis, Ioannis

 
 

Homosexualität im antiken Griechenland

Artikel empfehlen  

  vorherige Seite (Seite 2 von 4) nächste Seite

 

I Von der Zeit der Mythen bis zu den Perserkriegen

 
  Bereits in den griechischen Mythen, die vielmehr die Verhältnisse zu Zeiten der Verfasser als die wahren Begebenheiten der Frühgeschichte widerspiegeln, werden vielfältige Liebesbeziehungen zwischen Männern geschildert. Eine ganze Reihe von Göttern hatten nachweislich junge, sterbliche Geliebte, so z.B. Apollon, Poseidon, Zeus, Hermes, Pan, Dionysos u.v.a.[3] Das Vorgehen und die Motive der Götter scheinen sich dabei in den verschiedenen Geschichten kaum voneinander zu unterscheiden. Meist handelte es sich bei den Geliebten um junge Männer, die aufgrund irgendwelcher Eigenschaften, wie z.B. Schönheit, aber auch technischer Fertigkeiten, aus der breiten Masse hervorragten und deshalb von einem interessierten Verehrer verführt bzw. entführt wurden. Bekannte Beispiele hierfür sind Apollon und Orpheus[4], Poseidon und Pelops[5] oder Zeus und Ganymed[6]. Deren Beziehungen zeichneten sich insbesondere dadurch aus, daß der Gott als Liebhaber seinen geliebten Schützling in verschiedenen Künsten unterwies und charakterlich zu erziehen versuchte. Ob es außerhalb dieser pädagogischen Arbeit auch zu sexuellen Kontakten kam entzieht sich unserer Kenntnis, da die Quellen hierzu keinerlei Details liefern können. Festzuhalten bleibt aber, daß hier offensichtlich das Ideal eines Verhältnisses zwischen älterem Liebhaber und jüngeren Geliebten mit der erzieherischen Aufgabe im Vordergrund vermittelt werden sollte.
Auch die griechischen Heroen und Halbgötter folgten dem göttlichen Beispiel und pflegten daher Beziehungen zu anderen Männern oder Jünglingen zu haben. Herakles wurden, neben seinen Verhältnissen mit Frauen, unzählige Geliebte nachgesagt[7], zu denen sein Weggefährte Iolaos und Hylas, der Sohn eines getöteten Feindes, zählten. Die antiken Autoren berichten, daß sich Hylas und Herakles, nachdem er dessen Vater Thiodamas erschlagen hatte, ineinander verliebten und fortan ihre Zeit miteinander verbrachten. Bezeichnenderweise nannten sie sich gegenseitig Vater und Sohn, was wohl auch hier den Charakter einer Beziehung zum Zweck der Erziehung widerspiegeln soll.[8] Die größte Aufmerksamkeit wurde allerdings einer anderen bekannten Männerbeziehung, nämlich derjenigen zwischen Achill und Patroklos, gewidmet. Dabei wurde vor allem kontrovers darüber diskutiert, ob es sich lediglich um eine enge Freundschaft oder eine Liebesbeziehung mit sexueller Ausprägung handelte. Anstoß dazu hatte die Überlieferung gegeben, daß Achill in seiner Totenklage für Patroklos die Vereinigung ihrer Schenkel - eine eindeutig sexuelle Anspielung - erwähnte.[9] Neben der ältesten Schilderung in Homers Ilias[10] erwähnen auch andere Autoren diese Beziehung,[11] wobei außer Aischylos auch Platon von einer physischen Partnerschaft ausgeht.[12] Erst im Laufe des 4. und 3. Jahrhunderts v. Chr. wird zunehmend von dieser Vorstellung abgewichen und eine Liebesbeziehung ohne sexuelle Kontakte postuliert.[13]
Nach dieser Untersuchung fiktiver Personen der griechischen Frühzeit, soll nun auf historisch greifbare Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens eingegangen werden. Neben einer Reihe von Dichtern wie Alkaios,[14] Pindar,[15] Ibykos,[16] Anakreon[17] und Theognis,[18] die Liebesgedichte an Männer und Knaben verfaßt hatten, äußerten sich ebenso andere Personen des öffentlichen Lebens. So schrieb z.B. Solon in seinen Gedichten von der Liebe zu den Knaben[19]. Zu höchsten Ehren gelangten die beiden Tyrannenmörder Harmodios und Aristogeiton, nachdem sie im Jahre 514 den athenischen Tyrannen Hipparchos ermordet hatten und dafür selbst mit dem Leben bezahlen mußten. Obwohl für die Tat persönliche Motive ausschlaggebend gewesen waren - Hipparchos hatte versucht Harmodios, den Geliebten des Aristogeiton zu verführen - wurden die beiden fortan von den Athenern bei Festen geehrt und sogar eine Statue nach ihren Vorbildern angefertigt und auf der Agora aufgestellt. Seitdem sah man die Männerliebe als ein Symbol für die Befreiung von der Tyrannis[20] und als unvereinbar mit der Institution einer Alleinherrschaft.[21]
Insgesamt war die Homosexualität spätestens seit dem Ende des 7. Jahrhunderts weit verbreitet und akzeptiert. Ob die Entwicklung dabei von dorischen Kriegerstämmen ausgegangen ist, läßt sich nicht mehr genau feststellen, allerdings scheinen Kreta, Sparta, Chalkis, Boiotien und Elis Zentren gleichgeschlechtlichen Sexualverhaltens gewesen zu sein, noch bevor diese Praxis auf den ionischen Einflußbereich übergriff.[22] Die Gründe für die weite Verbreitung von Homosexualität lassen sich zum einen auf die gesellschaftliche Stellung der Frau zurückführen, die sich aufgrund ihrer untergeordneten Rolle nicht auf der gleichen intellektuellen Ebene wie die Männer bewegen konnte. Zum anderen war insbesondere die Knabenliebe zur Erziehung des Nachwuchses geeignet.[23] In Sparta wurde dieses Konzept so ausgebaut, daß die Ausbildung der jungen Männer in eigenen Gemeinschaften verstaatlicht wurde.[24] Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet Kreta, wo laut Aristoteles die Männerliebe als Mittel zur Geburtenkontrolle den ausschlaggebenden Faktor darstellte.[25] Wie diese Liebesbeziehungen im Hinblick auf sexuelle Präferenzen zu bewerten sind, ist aufgrund der literarischen Quellen, die an den entscheidenden Stellen keine konkreten Aussagen machen, kaum möglich. Etwas mehr Aufschluß liefert die antike Keramik, worauf im folgenden Abschnitt zurückzukommen ist. Vorweg genommen sei allerdings, daß auch die vielen Vasenbilder keine endgültige Klarheit, insbesondere über die heikle Frage nach der analen Penetration des Geliebten durch den Liebhaber liefern können.
 

Fussnote(n):
[3] Vgl. Calimach, Andrew: Lovers' Legends. The Gay Greek Myths. New Rochelle: Haiduk Press 2002, 4.
[4] Vgl. Pindar: Pythische Oden, 4,176. Aristophanes: Frösche, 1032.
[5] Vgl. Homer: Odyssee, 11,567. Pindar: Olympische Oden, 1. Euripides: Orestes, 12-16.
[6] Vgl. Homer: Ilias, 5,265 ff.; 20,215-235. Sophokles: Die Kolcherinnen (überliefert in Athenaios, 602). Euripides: Iphigenie in Aulis, 47.
[7] Vgl. Theokrit: Idyll, 13.
[8] Vgl. Theokrit: Idyll, 13. Homer: Odyssee, 12,072.
[9] Vgl. Aischylos: Die Myrmidonen, F135-36.
[10] Vgl. Homer: Ilias, 9,308; 16,2; 11,780; 23,54.
[11] Vgl. Pindar: Olympische Oden, 9. Euripides: Iphigenie in Aulis.
[12] Vgl. Platon: Symposion, 179e.
[13] Vgl. Crompton, Louis: Homosexuality and Civilization. London: Havard UP 2003, 4. Dover, Kenneth J.: Greek Homosexuality. London: Duckworth 1978, 197.
[14] Vgl. Crompton, 20.
[15] Vgl. Hubbard, 48-53.
[16] Vgl. Hubbard, 38.
[17] Vgl. Hubbard, 36-38.
[18] Vgl. Hubbard, 38-47.
[19] Vgl. Solon, Frag. 25.
[20] In Wahrheit wurde Athen durch den Mord nicht von den Peisistratiden befreit. Zum einen hatte nicht Hipparchos, sondern sein Bruder Hippias die Macht im Staate inne und zum anderen konnten erst einige Jahre später die Alkmeoniden, durch die Manipulation des delphischen Orakels und unter Zuhilfenahme der Spartaner, der Tyrannis ein Ende setzen. Siehe dazu Crompton, 27.
[21] Vgl. Crompton, 26 ff.
[22] Zur Forschungsdiskussion siehe Crompton, 6-10 u. Dover: Homosexuality, 185-203.
[23] Vgl. Dover: Homosexuality, 202-203.
[24] Laut Xenophon hatte Lykurg aber gleichzeitig sexuelle Kontakte untersagt. Siehe dazu Xenophon: Lakedaimonion Politeia, 2,14.
[25] Vgl. Aristoteles: Politik, 1272a.

  vorherige Seite   nächste Seite


[1]  [2]  [3]  [4]