Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Brendecke, Arndt

 
 

„Diese Teufel, meine Papiere ...“ Philipp II. von Spanien und das Anwachsen administrativer Schriftlichkeit [*]

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  Mit der Fixierung von Information in Überblicksmedien ist jedoch der kommunikativen Dynamik von administrativen Prozessen nicht beizukommen, weshalb versucht wurde, auch die Korrespondenz zu optimieren, etwa dadurch, daß die Schreibformate auf die Herausforderung einer effektiveren und schnelleren Bearbeitung und Weiterverarbeitung hin auszurichten waren. So wurde bei Schreiben an Philipp II. gefordert, einen breiteren Rand freizulassen, der gleich zur unmittelbaren Beantwortung oder Kommentierung zur Verfügung stand. [24] Dies stützte die Praxis des schriftlichen Dialogs, den Philipp II. mit seinen Räten führte, und half die Menge der Schriften und des Geschriebenen zu begrenzen, ließen sich doch auf diese Weise die Bezüge der Antwort direkt durch ihre Position auf der Anfrage erkennen. Inhaltlich wurden Korres­pon­den­ten aufgefordert, thematisch klar gegliederte Absätze zu machen und die Gliederung auf wenige vorgegebene Kategorien zu reduzieren (Verwaltung, Justiz, Krieg und Finanzen). [25] Selbst Vizekönige hatten sich dieser Schreibformate zu bedienen. [26] Briefliche Korrespondenz wurde also formal auf ihre Weiterverarbeitung in der Ratsbürokratie abgestimmt. Ähnliche Züge zur Systematisierung des Informationsaustausches finden sich jedoch auch außerhalb der admini­stra­ti­ven Schriftlichkeit, etwa in Schreiberlehren für spanische Adelige, die ebenfalls dazu auffordern alles abschnitts­weise und mit klarer Themengliederung abzufassen. Die Selbstverständlichkeit solcher Praktiken spiegelt sich in einer Überlegung des Hieronymiten Lucas de Alaejos von 1607 wider. Er vermerkte in Hinsicht auf die Schreibpraxis Gottes, daß dieser wohl trotz seiner Unfehlbarkeit zunächst Entwürfe (borradores) angefertigt habe, bevor er seine göttlichen Gedanken endgültig schriftlich abfaßte. [27] Der Diplomat und ehemalige Sekretär Diego de Saavedra Fajardo stellte die Schriftlichkeit Gottes in ein etwas professionelleres Licht, meinte er doch, daß ihm die Evan­gelisten als Sekretäre Tag und Nacht mit Feder und Papier zur Verfügung stehen würden. [28]  

 

Wie dem auch sei, die Ratsgremien und der König selbst befanden sich, bei allem Bemühen um brevitas und Methodik, letztlich in einer kommunikativen Falle. Die größte Entlastung hätte sich dadurch ergeben, daß man bestimmte Korrespondenten oder Teile der Information gar nicht erst zuließe, dadurch würde man sich selbst jedoch vom Informationsfluß abschneiden, was im Falle zumindest der spanischen Kolonialverwaltung der Frühen Neuzeit nie als Lösung akzeptiert wurde. Im Gegenteil: Das Zurückhalten von Briefen amerikanischer Untertanen wurde von Philipp II. wiederholt unter hohe Strafe gestellt. [29] Im Indienrat selbst sollte das Verlesen von Briefen aus Amerika stets Vorrang haben. [30] Auch das Gedruckte sollte im Indienrat präsent sein, wurden doch zwanzig Belegexemplare von jedem amerikanischen Druck eingefordert. [31] Die Initiative zur Einsendung von Schriften lag in einigen Bereichen auf der anderen Seite des Atlantiks, vor allem bei denjenigen Schreibern, die um einen Gnadenerweis ersuchten. Insbesondere in diesen Fällen wurden formale und verfahrenstechnische Schwellen eingezogen, um das Überhandnehmen der Schriften einzudämmen. Berichte über die eigenen Leistungen (relaciones de méritos) durften seit 1608 nicht mehr auf Eigeninitiative von Ordensmitgliedern an den Rat gesendet werden, sondern nur noch auf Anforderung des Rates. [32] Desgleichen wurde festgelegt, daß entsprechende Schreiben von weltlichen Untertanen nur in Begleitung einer Stellungnahme eines Vorgesetzten zugelassen wurden. [33]

Klar erkennbar ist weiter der Versuch, mediale Doppelungen oder auch Wiederholungen von Informationen zu vermeiden. So gab es eine Reihe von Maßnahmen, die es den Autoren schriftlicher Suppliken verbieten sollten, persönlich zu erscheinen. Dadurch sollte vermieden werden, daß sich Bittsteller gewissermaßen einen zweiten, persönlichen ‚Kanal’ zu den bearbeitenden Räten schufen. Aus einer Anweisung des Königs von 1588 geht hervor, daß dies gerade von Klerikern und Mönchen aus Amerika trotz der langen Reise immer wieder praktiziert wurde, um Druck auf ihre Einsetzung in vakante Ämter auszuüben. Im Gegenzug wurden die Anwesenden nun registriert und ihnen mitgeteilt, daß sie erst dann berücksichtigt werden können, wenn sie zurück in Amerika seien. Komplementär dazu durfte der Präsident des Indienrates keinen am Hofe Anwesenden auf die Vorschlagslisten zur Ämterbesetzung aufnehmen. [34] Innerhalb des Indienrates galt durch königliche Instruktion, daß Petitionen nur einmal, Ansuchen um königliche Gunsterweisungen nur zweimal verlesen werden durften. Eine weitere Wiederholung wurde verboten und zugleich die Höhe des Strafmaßes bei einfachen oder wiederholten Umgehungsversuchen festgelegt. [35] Diese Versuche, die Wiederholung von Information bzw. die Vervielfachung von Anliegen zu vermeiden, hatte ihr paradoxes Gegenstück dort, wo es nicht um den Input, sondern um den normativen Output des Königs ging. Um die Durchsetzungschancen königlicher Anordnungen zu erhöhen und ihre Geltung zu stabilisieren, sollten sie in regelmäßiger Wiederholung verlesen werden. Üblicherweise mußten so in den Ämtern zu Jahresbeginn die Instruktionen vorgelesen werden. Für lokale Richter und Stadtbeamte Neuspaniens erging 1561 die Anweisung, sie sollten die Verlesung ihrer Instruktionen mindestens einmal monatlich wiederholen. Am meisten mißtraute Philipp II. aber seinem Sohn, dem späteren Philipp III., dem er in seinem Politischen Testament dazu riet, die enthaltenen Ratschläge einmal pro Woche zu lesen – mindestens. [36]
 

Fussnote(n):
[24] Bouza 1996/97 I, 5.
[25] Parker 2000, 23.
[26] Gareis 2003, 218 f.
[27] Zit. nach Bouza 2001, 34.
[28] Saavedra Fajardo 1678, Empresa 56, 219.
[29] Parker 2000, 27.
[30] Recopilación [ 1681 ] 1973, lib. II, título II, ley 27.
[31] Recopilación [ 1681 ] 1973, lib. I, título XXIIII, ley 15.
[32] Archivo General de la Nación, Mexiko Stadt, Reales Cédulas (duplicadas), tomo 4, núm. 94, fol. 101r.
[33] Recopilación [ 1681 ] 1973, lib. II., título II, ley 43.
[34] Archivo General de Indias, Sevilla, Indiferente 878, datiert San Lorenzo de El Escorial, 22. Juni 1588, bzw. Recopilación [ 1681 ] 1973, lib. I, título VII, ley 9.
[35] Recopilación [ 1681 ] 1973, lib. II, título II, ley 54.
[36] Documentos 1914, 246; Biblioteca Pública de Toledo, Ms. 155, fol. 5r.

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