Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 02 - Sommersemester 06)
 

Zarka, Attila

 
 

Diplomacy - Spiel und Wirklichkeit

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  Russland
In den vorhergehenden Darstellungen wurde ein Ereignis bisher verschwiegen. Der Krim-Krieg, der die russische Expansion auf Kosten des Osmanischen Reiches darstellte, wurde zu einem europäischen Krieg. Die Auseinadersetzung am schwarzen Meer sollte Russland aus der eingeengten Position heraushelfen, um so den Rückstand gegenüber der industriell sich rasch entwickelnden Westmächten aufzuholen. Diese Politik war nichts Neues. Bereits Zar Peter der Große hatte im 18. Jahrhundert große Anstrengungen unternommen, um seinem Land den Zugang vom schwarzen Meer zur Ägäis zu sichern.
Nikolaus I. sah im Vorfeld des Krim-Krieges die Chance, dass der lang ersehnte Wunsch sich nun endlich erfüllen konnte. Der schwelende Panslawismus und die Beschützerrolle Russlands gegenüber den orthodoxen Christen verstärkten den Konflikt mit dem Osmanischen Reich. Zudem sollten die außenpolitischen Erfolge, die Probleme im Inneren abschwächen. Das reformbedürftige System, dass immer noch auf die Agrarstrukturen aus dem Mittelalter aufbaute, konnte unter den absolutistischen Zügen des Zaren keinerlei Fortschritte erzielen. Die Wirtschaft lag brach und jegliche Form von Industrialisierung wurde im Keim erstickt. Der technische Rückstand Russlands wurde während der Kämpfe auf der Krimhalbinsel für alle sichtbar. Während die Gegner schnellfeuernde Artillerie einsetzten, kämpften die russischen Soldaten noch mit Feuersteingewähren, die vor 150 Jahren modern waren. Außerdem trugen die Soldaten Lederhelme, die keinesfalls den nötigen Schutz boten. Somit war 1855 die russische Kapitulation in Sewastopol unvermeidlich. Russland war isoliert. Die Freundschaft mit Österreich ging in die Brüche, da der einstige Partner zwar nicht aktiv gegen Russland, aber auch nicht für Russland war. England und Frankreich, die das Osmanische Reich unterstützten, hatten ihre Positionen sehr deutlich gemacht.
Mit dem Amtsantritt Alexanders II. sollte sich die Lage für Russland ein wenig verbessern. Die Bauernbefreiung, Unterrichts- und Gerichtsreformen, sollten den Rückstand zum Westen verringern, aber da das gesamte System bis zum Brechen marode war, waren jegliche Reformversuche nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und als schließlich Zar Alexander II. nur knapp einem Attentat entging, änderte auch er seine innenpolitischen Ziele. Die zarten Versuche das Land zu liberalisieren, wichen einem starken Reaktionismus. Anton Tschechow fasste die Situation Russlands sehr passend in seinem Theaterstück zusammen, indem er den Studenten Trofimow sagen lässt:
 

 
Wir sind um mindestens zweihundert Jahre zurückgeblieben; wir haben nichts, einfach gar nichts, keine bestimmte Einstellung zur Vergangenheit; wir philosophieren nur, klagen über Langeweile oder trinken Schnaps. Es ist ja so klar: Um ein Leben in der Gegenwart zu beginnen, müssen wir zuerst unsere Vergangenheit sühnen und mit ihr Schluß machen; und sühnen können wir sie nur durch Leid, nur durch außerordentliche, unablässige Arbeit.
 
    Görtemaker, Manfred: Geschichte Europas 1850 - 1914. S.179.  

  Das Verkennen der eigenen Position und die missliche Lage der Nation gipfelten schließlich im Russisch-Japanischen Krieg von 1904 - 1905. Die Ereignisse in der Mandschurei ließen alle diplomatischen Beziehungen zu Japan abbrechen und endeten in einer Kriegserklärung. Als japanische Torpedoboote die ahnungslosen Schiffe in Port Arthur angriffen, war die Verwunderung vor Ort sehr groß. Die Regierung hat nämlich versäumt die eigenen Befehlshaber vom Ausbruch des Krieges zu unterrichten. Am Ende der kriegerischen Auseinadersetzung war die scheinbare Revolution gekommen, aber leider konnten die Hoffnungen der Bevölkerung wieder mal nicht erfüllt werden. Die Unzufriedenheit der breiten Massen fand schließlich ihren Höhepunkt in der Februar- und Oktoberrevolution im Jahre 1917. Das Volk erreichte dann schließlich auch, dass Russland den Ersten Weltkrieg vorzeitig mit einem separaten Frieden zum Abschluss brachte, um die nötigen Kräfte im Inneren zu mobilisieren.  

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