Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 02 - Sommersemester 06)
 

Dettenhofer, Maria H.

 
 

Basisdemokratie und politische Verantwortung
Denkanstösse aus dem klassischen Athen[*]

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  Man lebte in einer face-to-face Society und Informationsvermittlung, natürlich nicht nur die politische- fand in erster Linie auf dem Marktplatz statt. Zwar hatte sich das klassische Athen in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. zum Hegemon über das Seereich des Delisch-Attischen Seebundes entwickelt, das Bündnis, das die ganze Ägäis umspannte; und es waren insbesondere die Beiträge der Bündner, die das athenische Staatswesen finanzierten,[15] aber der Souverän des Gemeinwesens der Athener und damit de facto auch dieses Reiches waren die Bürger Athens mit der Halbinsel Attika.
 Zwei der wichtigsten Kennzeichen der antiken Basisdemokratie, die sie gravierend von ihren modernen Varianten unterscheiden, sind also, dass es keine Parteinen im modernen Sinne gab, statt dessen Parteiungen, die flexibel auf veränderte Bedingungen reagieren konnten und, mangels Kontinuität, kaum erkennbare Eigendynamik entwickeln konnten. Die engmaschige Ideologisierung von Politik war in vorchristlicher Zeit übrigens grundsätzlich unbekannt. In der Regel ging es um Sachfragen. Außerdem war die persönliche Verantwortung jedes einzelnen Gewählten selbstverständlich. Nach Ablauf jeder Amtsführung wurde eine Überprüfung vorgenommen und der Überprüfte gegebenenfalls vor Gericht gezogen. Das war übrigens eine der wichtigsten Begründungen, für das Verbot der Kontinuation. Ein öffentlicher Amtsträger haftete mit dem gesamten Vermögen und mit seinem Leben. Und das war nicht nur graue Theorie. Immer wieder wurden prominente Politiker nicht nur in die Verbannung geschickt, sondern sogar zum Tode verurteilt.
 Die aktive Teilnahme am politischen Geschehen erforderte allerdings immerhin erheblichen Zeitaufwand. Das bedeutete de facto, dass sich eine nicht unerhebliche Anzahl der Bürger den regelmäßigen Besuch der Ekklesía schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht erlauben konnte und vielleicht auch nicht wollte. Insbesondere diejenigen, die außerhalb des Stadtgebiets in den ländlichen Gegenden Attikas lebten, dürften nur in Ausnahmefällen zu den Versammlungen der Ekklesía gekommen sein. Dieses grundsätzliche Problem des Zeitaufwands besteht in der Gegenwart der repräsentativen Demokratien ebenso, stellt jedoch nicht die einzige strukturbedingte Parallele dar. Gravierender war jedoch - und im Gegensatz zu heute wurde dieses Manko in Athen durchaus explizit angeprangert[16] -, dass bestimmte Berufsgruppen praktisch viel seltener und in geringerer Konzentration vertreten waren, wogegen andere Gruppen der Bevölkerung überrepräsentiert waren. Konkret waren es vor allem die Bauern, die es sich nur in Ausnahmefällen leisten konnten, zur Ausübung ihrer politischen Rechte in die Stadt zu kommen, wogegen die aus dem Arbeitsprozess Ausgegliederten wie Alte und Arbeitslose überproportional vertreten waren.[17] Handwerker und Händler, eben diejenigen Berufsgruppen, die in der Stadt ansässig waren und nicht in den Landgebieten Attikas, waren ebenfalls stark vertreten. Spätestens seit Tagegelder für die Ekklesiasten gezahlt wurden (seit 392 v. Chr.), die so bemessen waren, dass sie den minimalen Lebensunterhalt für eine Kleinfamilie abdeckten, dürften besonders die Tagelöhner, also eine Gruppe der ärmeren Bevölkerungsschichten, in der Politik eine Alternative zur Erwerbstätigkeit gehen haben.[18] Dagegen haben die wohlhabenden Bürger die Ekklesia gerne gemieden, schon weil sie in der Masse der Besucher nicht unter ihresgleichen saßen. Kritiker der Demokratie, wie etwa Platon, sahen in der Volksversammlung den besitz- und bildungslosen Pöbel.[19]
[...]
 

Fussnote(n):
[15] Zur Finanzierung der Demokratie siehe Plutarch, Perikles 12; Loren J. Samons, Empire of the Owl. Athenian Imperial Finance, Stuttgart 2000; Jochen Bleicken, Die athenische Demokratie (Anm. 6), S. 246-264; zum Delisch-Attischen Seebund siehe Wolfgang Schuller, Die Herrschaft der Athener im Ersten Attischen Seebund, Berlin / New York 1974.
[16] Siehe beispielsweise Platon, Politeia, 565a.
[17] Jochen Bleicken, Die athenische Demokratie (Anm. 6), S. 162.
[18] Siehe dazu die kritischen Bemerkungen des zeitgenössischen Komödiendichters Aristophanes in dem 392/1 v. Chr. aufgeführten Stück Ekklesiazusai, Verse 182-188.
[19] Platon, Politeia, 565a.

 
Empfohlene Zitierweise:

Dettenhofer, Maria H.: Basisdemokratie und politische Verantwortung Denkanstösse aus dem klassischen Athen, in: Aventinus. Die Historische Internetzeitschrift von Studenten für Studenten [Ausgabe 02 - Sommersemester 06],
www.aventinus.geschichte.uni-muenchen.de/index.php?ausg=2&id=32&subid=28
[Letzter Aufruf am xx.xx.xxxx]

 

Dettenhofer, Maria H.

  • 1979-1985: Studium der Anglistik und Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München
  • 1985: 1. Staatsexamen Englisch, Geschichte, Psychologie und Pädagogik für das Lehramt an Gymnasien
  • 1986: Magister Artium in Alter Geschichte, Neuerer Geschichte und Englischer Sprachwissenschaft
  • 1990: Promotion Alte Geschichte
  • 1990-1992: Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Alte Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München
  • 1997: Habilitation
  • 30. März 2004: Ernennung zur außerplanmäßigen Professorin
  • Sommersemester 2004: Gastprofessur für Gender Studies an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken


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