Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Fischer, Mark-Oliver

 
 

Die Kurfürsten der dreieinhalb Jahre.
Die Einführung neuer Kurfürstentümer im Reichsdeputationshauptschluß.

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Kurfürsten

Die sogenannte 'Goldene Bulle' Karls IV. (1356)[4] legte schriftlich die Rechte und Pflichten der Kurfürsten fest. Sieben sollten es sein, vier weltliche Kurfürsten – der König von Böhmen, der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen und der Markgraf von Brandenburg –, sowie drei geistliche – die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier, deren vornehmste gemeinsame Aufgabe die Wahl des Kaisers war. Dazu erhielten sie gewisse Privilegien, wie eine Zusicherung der Unteilbarkeit ihres Territoriums, Festlegung der Erblichkeit auf Primogenitur (natürlich nur für die weltlichen Fürsten), Bergwerks-, Münz-, und Gerichtsprivilegien, sowie sogenannte 'Erzämter'. Diese waren für die geistlichen Kurfürsten die Ämter als Erzkanzler für die deutschen (Mainz), für die italienischen (Köln), und die burgundischen Reichsgebiete (Trier). Die Erzämter der weltlichen Kurfürsten waren eher von zeremonieller Bedeutung, wie beispielsweise das Erzmarschallsamt (bei Sachsen), oder das Erzkämmereramt (bei Brandenburg).

Trotz der Festlegung auf sieben Kurfürsten hatte es schon vor dem RDH Veränderungen im Kurkolleg gegeben. So geriet 1619 der 'Winterkönig' Friedrich V. von der Pfalz wegen seiner Übernahme der böhmischen Krone unter Reichsacht und verlor damit seine Kurwürde, die an Herzog Maximilian I. von Bayern fiel. Als 1648 die Reichsacht aufgehoben wurde, erhielt der Pfalzgraf eine neue Kur. Eine neunte Kur bekam Ernst-August I. von Branschweig-Lüneburg für großzügige Unterstützung des Kaisers gegen die Türken zugesprochen. Als 1777 die bayerischen Wittelsbacher ausstarben, fielen die bayerische Kur zurück an den Pfalzgrafen – mitsamt ganz Bayern.
Der RDH sorgte schliesslich für die radikalste Umgestaltung des Kurkollegs. Zwei der drei geistlichen Kuren wurden aufgelöst, die Kur des Reichserzkanzlers und Erzbischofs von Mainz wurde nach Regensburg verlegt. Mit den vier neuen Kuren existierten dann zehn Kurfürsten.
 

 

Die neuen Kurfürsten

 

 
§ 31. Die Kurwürde wird dem Erzherzoge Großherzoge [der Toskana] ertheilt, deßgleichen dem Markgrafen von Baden, dem Herzoge von Wirtemberg, und dem Landgrafen von Hessen-Kassel, welche, in Ansehung des Ranges unter sich, nach den im Fürstenrathe bestehenden Strophen alterniren werden, und zu ihrer Einführung die herkömmlichen Förmlichkeiten zu beobachten haben. Nach gänzlicher Erlöschung des Hauses Hessen-Kassel, in allen seinen Linien, wird die Kurwürde auf Hessen-Darmstadt übergehen.
 
    RDH, § 31. In: Zeumer: Quellensammlung. S. 519.  

  So der entsprechende Artikel im RDH. Auffällig ist, dass ein 'italienischer' Herzog eine 'deutsche' Kurwürde erhielt. Als Herzogtum von Karl V. gegründet, war die Toskana seit 1569 Großherzogtum, 1735 fiel sie als Sekundogenitur an Habsburg. Im Zweiten Koalitionskrieg wurde die Toskana von französischen Truppen besetzt (1799). Dafür wurde der Großherzog nach § 1 des RDH mit dem Erzbistum Salzburg, Teilen des Bistums Passau, und weiteren Ländereien entschädigt.[5] Doch um auch seinen ehemaligen Rang im neu gestalteten Reich zu reflektieren, wurde ihm eine der neuen Kurwürden verliehen, und Salzburg somit zu einem Kurland.
Baden erhielt seine Kur vor allem aufgrund der engen verwandschaftlichen Beziehungen zum russischen Zaren,[6] während Hessen-Kassel und Württemberg mit der Kurwürde ein seit Generationen angestrebtes Ziel erreichten.
 

 

Woher dieses Interesse an einer Kur? Das Streben nach Rangerhöhungen war ein im gesamten Hochadel häufig betriebener 'Sport'. Um 1700 bemühten sich alle weltlichen Kurfürsten Königswürden zu erlangen. Dem Pfalzgrafen war als König von Böhmen kein Erfolg vergönnt, den Kurfürsten von Braunschweig-Lüneburg (bzw. Hannover), Sachsen und Brandenburg dafür um so mehr als Könige von England, Polen und Preußen. Gleichzeitig ernannte der Kaiser im 17. Jahrhundert immer mehr neue Reichsfürsten, die zwar meist nur einen sehr geringen Anteil an reichsunmittelbaren Territorien – eigentlich eine Voraussetzung für Fürstenwürden – besaßen, dafür aber sehr pro-habsburgisch eingestellt waren. Alles gute Gründe für die 'alten' Fürstenhäuser, sich um eine Kur zu bemühen.

Und bemüht hatten sich zwei der neuen Kurfürsten – Württemberg und Hessen-Kassel – seit beinahe hundert Jahren.[7] Die Hoffnungen dieser beider Häuser ruhten auf ihrer Position als größte und mächtigste der 'normalen' Fürstenhäuser, was territoriale Ausdehnung, Einwohnerzahl und ans Reich geleistete Steuern betraf. Hessen-Kassel – als kleineres der beiden 'Daueranwärter' – konnte sich durch seine singuläre militärische Stärke hervortun. So besaß der Landgraf bis zu 17.000 Mann unter Waffen,[8] die der Landgraf großzügig vermietete. So kamen bereits im Jahre 1775 ganze 44% der Einnahmen Hessen-Kassels aus Subsidien.[9] Die Gewinne aus dem langfristigen Subsidienvertrag mit Großbritannien 1776 [10] wurden zur Finanzierung eines umfangreichen Kredithandels eingesetzt, der Wilhelm IX. – der letzte Landgraf und spätere Kurfürst Wilhelm I. – zum reichsten Fürsten Deutschland machte.
Den europäischen Großmächten der Pentarchie,[11] bei denen beide Länder seit dem frühen achtzehnten Jahrhundert immer wieder wegen der Unterstützung ihrer Kurwünsche vorsprachen, war deren starke Rolle durchaus bewusst.[12] Dabei hatten Österreich, Großbritannien und Preußen prinzipiell kein Interesse an einer Erweiterung des Kurkollegs, vor allem Preußen aber nutzte Hilfsversprechen geschickt aus, um Hessen-Kassel auf die eigene Seite zu ziehen. Im Gegensatz dazu sprachen sich Frankreich und Russland generell für neue Kurfürsten aus, um ihren Einfluss im Reich weiter zu verstärken. So schlug Katharina II. 1785 für beide Fürstentümer eine Kurwürde vor. Später positionierte sich Russland aber nur noch auf der Seite Württembergs, Hessen-Kassel schien dort nicht mehr so interessant. Frankreich hingegen versprach Hessen-Kassel bereits seit 1742 Unterstützung. Und schließlich war es der französisch-russische Entschädigungsplan, der die Grundlage des RDH bildete, und damit dem fürstlichen Bemühen erfolgreich zum Abschluss brachte.
 

Fussnote(n):
[4] Wolfgang Fritz: Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. vom Jahre 1356. (= Monumenta Germaniae Historica , Fontes iuris, Bd. 11). Weimar 1972. S. 43-79. Online unter: http://mdz1.bib-bvb.de/~db/bsb00000666/images/index.html?seite=43. Benannt ist die Goldene Bulle nach den goldenen Siegelkapseln, mit denen kaiserliche Urkunden versehen wurden.
[5] RDH, § 31. In: Zeumer: Quellensammlung. S. 520f.
[6] Der RDH entsprach weitgehend einem französisch-russischen Vorschlag. Frankreich hatte natürlich als Sieger großen Einfluss auf die Ausarbeitung, die Rolle Russlands ergab sich aus seinem Status als 'Garantiemacht' des Reiches.
[7] Ein allen Einzelheiten lassen sich diese Bemühungen nachlesen bei Ludolf Pelizaeus: Der Aufstieg Württembergs und Hessens zur Kurwürde 1692 – 1803 (= Mainzer Studien zur Neueren Geschichte, Bd. 2). Frankfurt/Main u. a. 2000.
[8] Im Gegensatz zu etwa 3.800 in Württemberg.
[9] Einnahmen aus der Vermietung von Söldnern.
[10] Popkulturelle Referenz: Wer den Film 'Sleepy Hollow' kennt, weiß vielleicht, dass Großbritannien hessische Söldner auch im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg einsetzte.
[11] Mächte der Pentarchie (Fünferherrschaft): Österreich-Böhmen, Brandenburg-Preußen, England-Hannover, Russland, Frankreich.
[12] Zum europäischen Aspekt der Kurbemühungen siehe Ludolf Pelizaeus: Die Frage neuer Kurwürden am Ende des Alten Reiches 1778-1803. In: Historisches Jahrbuch 121 (2001). S.155-196.

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