Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 01 - Wintersemester 05/06)
 

Kröss, Katja

 
 

Vitellius, unfähiger Politiker und Tyrann? Eine quellenkritische Untersuchung.

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  Während Vitellius in Germanien seine Machtbasis ausbaute und einen Feldzug auf Rom vorbereitete, war am 15. Januar 69 n. Chr. in Rom Otho durch einen Putsch auf den Kaiserthron gekommen. Ein von den Quellen bezeugter Briefwechsel zwischen den beiden legt nahe, dass sich letzterer der aus dem Norden drohenden Gefahr durchaus bewusst gewesen zu sein scheint - eine Gefahr, die wohl nicht nur von der Anzahl der Truppen und der die herausragenden taktischen Fähigkeiten des Vitellius verratenden guten Organisation des Feldzugs herrührte, sondern auch von den guten Kontakten, die dieser zu zahlreichen Senatoren hatte. Dass diese bestanden, kann mehreren Fakten entnommen werden. Bereits zu Beginn von Othos Regierungszeit traten die zusammen mit einigen Prätorianern zu Vitellius geschickten Senatoren zu diesem über. Zudem wurden einige Senatoren gezwungen, Otho auf seinem Feldzug gegen die Vitellianer zu begleiten, und Tacitus berichtet davon, dass sie nach seiner Niederlage bei Bedriacum in der Nähe von Cremona am 14. April von den sie bewachenden Soldaten bedroht wurden. Schließlich zeugen auch die Reaktionen in Rom von einer Vitellius zumindest nicht grundsätzlich ablehnenden Grundhaltung: Nach dem - in den Quellen viel gelobten - Selbstmord Othos zwei Tage nach der Entscheidungsschlacht wurden nämlich die Stadtkohorten auf Veranlassung von Flavius Sabinus, dem Bruder des späteren Kaisers Vespasian, auf Vitellius vereidigt, das Volk spendete dem Beifall, und am 19. April zog der Senat mit Vitellius" Anerkennung als Princeps und dessen Ausstattung mit sämtlichen kaiserlichen Befugnissen nach. Vitellius selbst, der sich aufgrund von Verzögerungen noch auf dem Weg nach Italien befand, erhielt die Nachricht vom Sieg seiner Truppen nach neueren Forschungsergebnissen vermutlich erst knappe zwei Wochen später. Die Maßnahmen, die er daraufhin ergriff, waren größtenteils durchaus politisch klug, wie etwa die ehrenvolle Entlassung der Prätorianerkohorten, die Hinrichtung der Mörder Galbas oder die im Sinne der senatorischen clementia großmütige Verzeihung der Anhänger Othos inklusive dessen Bruders. Andere jedoch sollten sich als verhängnisvoll erweisen, darunter vor allem die von Tacitus überlieferte Hinrichtung der bedeutendsten Zenturionen Othos als Abschreckungsmaßnahme, was ihm die Abneigung der jeweiligen Legionen bescherte, sowie die Auszeichnung der germanischen Truppen, was den Neid der übrigen erweckte. Im Frühjahr zeigten sich allerdings noch keine Anzeichen für den frühen Sturz des Vitellius. Langsam zog er nach Rom, wo er vermutlich am 17. Juli ankam. Zuvor hatte er das Schlachtfeld bei Bedriacum und das Grab Othos besichtigt. Die berühmte Beschreibung, die Sueton (Vit. 10,3 - 11,1) davon liefert, insbesondere der Hinweis, dass Vitellius dieses mit den Worten, "ein Feind, den man getötet habe, rieche sehr gut, und noch besser rieche ein Mitbürger" betreten habe, ist bezeichnend für das negative Bild dieses Princeps in der Überlieferung, doch gleichzeitig so unrealistisch, dass eine Anzweiflung desselben fast zwingend erscheint.  

  In Rom zeigte sich, welche Bedeutung Vitellius, anders als seine Vorgänger, dem Senat beimaß. Er zog nicht als siegreicher Feldherr in die Urbs ein, sondern bekleidet mit der toga praetexta, dem traditionellen Kleidungsstück der Senatoren, und präsentierte sich somit als primus inter pares. Doch nicht nur optisch lag ihm viel daran, diese seine Stellung zu betonen, wie eine etwa von Tacitus berichtete Episode nahe legt, nach der der designierte Prätor Priscus Helvidius ihm im Senat widersprochen, er die nach diesem Vorfall beunruhigten Senatoren aber mit den Worten beruhigt habe, dass es nichts Ungewöhnliches sei, dass zwei Senatoren verschiedene Meinungen hätten. Ebenso erkannte er den 19. April als dies imperii an, nicht aber den 2. Januar, dem Tag der Akklamation durch das Heer - wie es etwa Vespasian, Inbild eines bonus princeps, tat. Er holte verbannte Senatoren aus ihrem Exil zurück und verschaffte ihnen Möglichkeiten zu einem erneuten finanziellen und gesellschaftlichen Aufschwung, und schließlich fand er sich häufig im Senat ein, auch wenn lediglich unwichtige Angelegenheiten diskutiert wurden. Kurzum, Vitellius scheint dem Senat eine politische Rolle zugesprochen haben, wie er sie wohl seit Tiberius nicht mehr gekannt hatte. Auch gegenüber den anderen Ständen, so lässt sich aus den Quellen entnehmen, ließ Vitellius sein diplomatisches Geschick spielen. So stufte er beispielsweise die seit Claudius in wichtige Ämter vorgedrungenen Freigelassenen zurück und setzte dafür wieder vermehrt Ritter ein, und eine zusätzliche soziale Aufwertung erfuhren diese durch das Verbot der Teilnahme an Gladiatorenkämpfen. Das ihm von Sueton vorgeworfene ungerechte Verhalten diesem Ordo gegenüber ist wohl nur ein Topos; die Treue, die sie Vitellius bis zu dessen (bereits aussichtslosem) Ende bewiesen, spricht nämlich eine andere Sprache. Auch die Plebs konnte er nicht nur durch Spiele, sondern auch durch bescheidenes Auftreten für sich gewinnen, und auch sie sollte ihm bis zu seinem Sturz die Treue halten. Dass sich Tacitus in diesem Punkt in Ungereimtheiten verzettelt und zuerst vom aktiven Eintreten des Volkes für Vitellius (Hist. III 80,1), drei Kapitel weiter aber von ihm als passivem Zuschauer spricht (Hist. III 83,1), kann angesichts seiner antivitellianischen Einstellung durchaus als Argument für diese Ansicht gelten. Insgesamt zeichnet sich hier also das Bild eines Kaisers, der sich bestrebt zeigte, den maßgeblichen Kreisen entgegenzukommen und sie für sich zu gewinnen, ein Bild, das zusätzlich auch die erhaltenen Münzinschriften ("CONCORDIA [...]", "CONSENSUS [...]", "FIDES [...]"; "CLEMENTIA [...]") belegen. Dennoch aber darf dieser Eindruck nicht überbewertet werden. Vitellius war zu kurz an der Macht, um von diesen ersten Monaten seiner Herrschaft auf ein tatsächliches Regierungsprogramm zu schließen, denn gerade zu Beginn einer Herrschaft sind machtkonsolidierende Maßnahmen von entscheidender Bedeutung - wie sich diese im Laufe der Jahre entwickeln, ist, wie die Geschichte vielfach gezeigt hat, wieder eine andere Sache.  

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