Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
 

Becker, Rainald

 
 

Das Inselbistum Chiemsee – ein vergessenes Kapitel bayerischer Geschichte

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  Verloren, versunken, vergessen - diese Assoziationen stellen sich ein, wenn die Rede auf das 1817 aufgelöste Bistum Chiemsee kommt. Trotz intensiver wissenschaftlicher Forschungsbemühungen ist das Bistum eine historische Unbekannte geblieben. Trotz aller Bestrebungen, den bedeutendsten Überrest der ehemaligen Diözese im Voralpenland, den nach der Säkularisation schwer entstellten Domkomplex auf der Chiemseer Herreninsel zu restaurieren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, beschränkt sich die Erinnerung an die Ecclesia Chimensis auf den Expertenkreis. Jedenfalls könnte der Kontrast zu dem gleichfalls auf der Insel gelegenen Schloß König Ludwigs II. nicht schärfer ausfallen: Das Neu-Versailles des exzentrischen Monarchen hat sich zu einem Identitätsanker des populären Geschichtsverständnisses entwickelt. Mehr noch: Als Symbol eines märchenhaft übersteigerten monarchischen Ideals führt das Schloß das Spitzenfeld der welthistorischen lieux de mémoires an. Längst gehört die Stippvisite in Ludwigs Prunkbau zum Standardrepertoire der internationalen Bildungsreise, während das benachbarte Kloster - als ehemaliger Tagungsort des Chiemseer Verfassungskonvents von 1948 immerhin auch ein Erinnerungsort der deutschen Nachkriegsgeschichte [1] - allenfalls als Anlegestelle der Seeschiffahrt Aufmerksamkeit findet.

Freilich ergibt sich ein ganz anderer Eindruck, wenn man die historische Wahrnehmung der Ecclesia Chimensis oder genauer formuliert: wenn man jene Bilder und Vorstellungen untersucht, die während des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit über die Bischofskirche von Chiemsee in Umlauf waren. Begonnen sei die kurze Bestandsaufnahme mit den Bildern des Bistums, mit den Darstellungen von Kathedrale und Domkloster. Dabei fällt auf, daß selbst der bedeutendste geographisch-topographische Atlas der Frühen Neuzeit, die weitverbreitete 'Topographia Germaniae' von Matthäus Merian, eine Abbildung des Inselklosters enthält:

 

 
  Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d8/Merian_chiemsee.jpg (Stand 21.10.2007)
 

  Matthäus Merian, Kloster Herrenchiemsee, 1644  

  Der Stich von 1644 gibt die beiden Klosteranlagen im Chiemsee von Süden aus wieder. Im Vordergrund erhebt sich der doppeltürmige, gotische Dom auf der Herreninsel, im Hintergrund der Benediktinerinnenkonvent auf der Fraueninsel. Allerdings ist diese Darstellung nicht ganz korrekt. Das Turmpaar der Kathedrale war nach Westen, nicht nach Osten ausgerichtet. Gleichwohl vermittelt das Ensemble auf dem Herrenwörth einen repräsentativen Gesamteindruck. Es erscheint - gewiß idealisiert - eine vielfältig gestufte sakrale Baugruppe, die durchaus mit den Kathedralen der übrigen Reichskirche mithalten konnte.  

 
  Quelle: http://www.geodaten.bayern.de/bvv_web/produkte/wening/gfx_wening/her_B012.jpg (Stand: 21.10.2007)
 

  Michael Wening, Kloster Herrenchiemsee, 1701  

Fussnote(n):
[1] Vgl. etwa März, Peter / Oberreuter, Heinrich (Hg.), Weichenstellung für Deutschland. Der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee, München 1999.

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