Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

de la Camp, Vera und Wallner, Mike

 
 

Erasmus in Spanien – ein Augenzeugenbericht

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  Die Autoren verbringen seit Mitte September einen zehnmonatigen Erasmusaufenthalt in Spanien an der Universidad Autónoma de Madrid. Im Folgenden soll ein kurzer Abriss über die ersten Eindrücke aus Spanien gegeben werden.  

 

Uni

Die Universidad Autónoma de Madrid ist – wie einige Hochschulen in der spanischen Hauptstadt – Ende der 60er Jahre im Zuge der vorsichtigen Öffnung und der wirtschaftlichen Konsolidierung gegründet und jenseits der Stadtgrenzen als Campusgelände erbaut worden. Als ein Nachteil kann man die große Entfernung empfinden. Zwar ist die Verbindung durch Vorortszüge und des innerstädtischen Metro-Systems sehr gut abgedeckt, allerdings muss man eine Fahrtzeit von etwa 45 Minuten von der Innenstadt aus in Kauf nehmen.

Die Studiendauer beträgt für Geisteswissenschaften in Spanien üblicherweise vier Jahre, wobei die Studenten in der Regel mit 18 Jahren an die Universität kommen. Im Grundstudium ist ein Großteil der Veranstaltungen vorgeschrieben, um eine breite Bildung zu vermitteln, während im Hauptstudium einige Wahlmöglichkeiten gegeben sind. Man kann sich danach beim Masterstudiengang in einem Jahr weitestgehend spezialisieren. Die meisten Geschichtskurse sind mit etwa 20 Teilnehmern für deutsche Verhältnisse relativ klein.

Mit Spanischkenntnissen, die etwa drei Jahren Schulunterricht entsprechen, sollte man ausreichend vorbereitet sein, um Vorlesungen folgen und mit Kommilitonen reden zu können.
 

 

Gesellschaft

Spanien ist heute von beinahe schon extrem zu nennenden Gegensätzen geprägt. Es gibt eine bemerkenswert große Schicht äußerst konservativer und äußerst katholischer Spanier, die noch nach denselben althergebrachten Strukturen und Verhaltensmustern lebt, wie sie es etwa im Deutschland der 50er Jahre gab.  So ist es beispielsweise nicht unüblich, dass junge, unverheiratete Paare wegen eines Verbots ihrer Eltern nicht nur nicht zusammenleben, sondern auch trotz Volljährigkeit nicht beim jeweils anderen übernachten dürfen. Dieser Konservativismus drückt sich schon in der Sprache aus, denn schließlich existiert im Spanischen für „Freundin“ und „Braut“ nur ein und dasselbe Wort, novia. Für den männlichen Part gilt das gleiche, also das Wort novio für „Freund“ und „Bräutigam“. Dieser traditionsbewusste Teil der spanischen Gesellschaft wird allerdings längst nicht nur von  Personen jenseits der 60 gebildet,  sondern es gehört auch ein gewisser Teil der jüngeren Generation dazu. So kann man sich das Leben in einer Wohngemeinschaft nicht automatisch so vorstellen, wie das in Deutschland üblich ist. Vergleichbar wie in einer Pension leben einige auch junge Leute ausschließlich deswegen zusammen, um weniger Miete zahlen zu müssen, haben ansonsten aber keinerlei Interesse an einem wie auch immer gearteten Zusammenleben. Im Gegenteil, man möchte so wenig wie möglich miteinander zu tun haben und sich gegenseitig am besten in Ruhe lassen. Außerdem liegt es dann meist im Interesse aller Beteiligten, dass nach einem Konzept der „ruhigen Wohnung“ gelebt wird, was konkret heißt: Möglichst wenige Besucher, keine laute Musik und auch keine lauten Unterhaltungen nach 11 Uhr im eigenen Zimmer.  Bei einer solchen Wohnsituation wird es auch meist nicht gern gesehen, wenn Herren- oder Damenbesuch über Nacht empfangen wird, und zwar sowohl von den Mitbewohnern, als auch vom Vermieter, der in Spanien häufig im gleichen Haus oder sogar in der selben Wohnung wohnen.

Auf der anderen Seite gibt es gerade im universitären Bereich, zumindest an geisteswissenschaftlichen Fakultäten, eine große, äußerst linke Szene. In der Tradition der politischen Strömung der Anarcho-Syndikalisten, die besonders in den 20er und 30er Jahren in Spanien eine wichtige Rolle spielte, sind die Anarchisten von heute in- und außerhalb der Universität sehr aktiv. So werden in regelmäßigen Abständen Demonstrationen und andere Protestveranstaltungen organisiert, zum Beispiel gegen private Investoren an Universitäten oder wie vor kurzem ein Streik gegen den Bologna-Prozess der Europäischen Union. Hin und wieder werden in den Vorlesungen auch politische, zum Teil heftige Diskussionen mit anders denkenden Professoren angestoßen. Im krassen Gegensatz zu den konservativen Lebensentwürfen mancher Altergenossen steht bei vielen Studenten auch das eher legere Verhältnis zu Drogen. So gehört innerhalb der Uni das Kiffen zum alltäglichen Bild, und fast zu jeder Tageszeit wabern süßlich riechende Rauchschwaden durch die Gänge. Der öffentliche Konsum beschränkt sich aber nicht nur auf Haschisch oder Marihuana. In der Cafeteria kann es passieren, dass - sozusagen am Esstisch - „Magic Mushrooms“ gegessen werden oder sogar ein braunes, offensichtlich opiathaltiges Pulver geschnupft wird.

Neben diesen beiden Extremen ist natürlich ein großer Teil der Gesellschaft weder besonders konservativ, noch besonders linksgerichtet. Doch zumindest aus der Perspektive der heutigen Studierenden, die damals nicht selbst dabei gewesen sind, können sich manchmal Assoziationen mit dem deutschen Studenten-Aufstand von 1968 aufdrängen. Diese Vermutung verdichtet sich auch besonders vor dem Hintergrund, dass seit dem Übergang zur Demokratie eine derartige Revolte und eine damit verbundene Aufarbeitung des Bürgerkriegs (1936-1939) und der faschistischen Vergangenheit in Spanien bis heute noch nicht stattgefunden hat. Daher bestehen viele der wesentlichen Konfliktlinien von damals auch heute im Grunde weiter.
 

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