Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 02 - Sommersemester 06)
 

Zarka, Attila

 
 

Diplomacy - Spiel und Wirklichkeit

Artikel empfehlen  

  vorherige Seite (Seite 3 von 7) nächste Seite

  2. Der historische Hintergrund
Aus der Sicht unserer Zeit kann man behaupten, dass die Entwicklungen in Europa, vor allem in den zwischenstaatlichen Beziehungen der Großmächte seit 1850 sich soweit gewandelt haben, dass sie fast nur noch in einem großen Knall, dem I. Weltkrieg enden konnten. So sehr die inneren Prozesse der einzelnen Staaten differierten, so sehr war die Suche nach dem Konflikt mit den Nachbarn gewollt. Die Überschätzung der eigenen Stärke bzw. das Verkennen der eigenen Schwäche, gepaart mit dem Unverständnis für das Selbstverständnis der anderen Nationen, zwang alle Seiten die Fronten zu verhärten. Im Folgenden sollen die wichtigsten Entwicklungsphasen der einzelnen Großmächte sowohl innen-, als auch außenpolitisch kurz dargestellt werden.
 

  England
Das Britische Empire stellte in vielerlei Hinsicht die große Ausnahme dar. Es blieb in der dargestellten Zeitperiode von jeglicher politischen Revolution verschont. Die konfliktreiche Entmachtung der Monarchie hat bereits 1688/89 ihren Höhepunkt überschritten, so dass die Entwicklungen in Kontinentaleuropa die Insel nur peripher tangieren konnten. Die lange Friedenszeit hat sich ganz im Gegenteil positiv auf die wirtschaftliche Kraft des gesamten Landes ausgewirkt. Hinzu kam natürlich die früh einsetzende Industrialisierung, die dem gesamten Empire einen sehr vornehmen Vorsprung vor der gesamten Welt zugesichert hat. Man kann zu Recht behaupten, dass England zu Anfang des 20. Jahrhunderts die Rolle innehatte, die Amerika sich bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts erkämpft hatte. Die Epoche seit 1837 bis 1914 trägt den Namen Viktorianisches Zeitalter. Diese Bezeichnung wurde vor allem durch die erste Weltausstellung 1851 in London geprägt. Der sichtbare technische Vorsprung und die tiefe Zufriedenheit der Bevölkerung fanden hierin ihren Ausdruck, obwohl Königin Viktoria keinesfalls die Leitfigur war, die man ihr durch die Epochenbezeichnung zumuten würde. Vielmehr wurden die politischen Belange hauptsächlich von Ihrem Ehemann Albert von Sachsen-Coburg-Gotha geleitet. Nach seinem Tod 1861 zog sich Königin Viktoria fast komplett vom politischen Alltag zurück. Ihr Nachfolger Eduard VII. war bei seiner Krönung bereits 59 Jahre alt und sah sich immer größeren politischen Problemen gegenübergestellt. Der technische und wirtschaftliche Vorsprung, der knapp 50 Jahre vorher noch uneinholbar schien, war vor allem vom Deutschen Reich herausgefordert worden und schmolz rasant dahin. Zudem wurde England durch den zunehmenden Imperialismus von allen Seiten offen bedroht, so dass sich bereits hier andeutete, was immer unvermeidlicher wurde. England sah sich nun zu dem Entschluss bereit, seine Politik der "splendid isolation" aufzugeben und sich über die diplomatischen Kanäle Verbündete zu suchen. Das Deutsche Reich, das mit Englands maritimer Vormachtstellung zu konkurrieren versuchte, war lange Zeit als wünschenswertester Vertragspartner favorisiert. Allerdings konnte man sich mit dieser Idee im wilhelminischen Kaiserreich nicht anfreunden, so dass eine Einigung zwischen England, Frankreich und Russland, auch als "Triple-Entente" bekannt, die sinnvollste Alternative darstellte.
 

  Frankreich
Napoleon III. hat der Zeit nach der Revolution von 1848 seinen Stempel in ganz besonderer Weise aufgedrückt. Nachdem er bereits zweimal mit einem Putschversuch kläglich gescheitert war, suchte er den legalen Weg der Machtergreifung und hatte erstaunlicher Weise sehr viel Erfolg für sich verbuchen können. Im Dezember 1848 wurde er mit 5,4 Millionen Stimmen, gegenüber ca. 1,5 Millionen Gegenstimme, zum Staatsoberhaupt gewählt. Durch seine wachsende Beliebtheit beim Volk konnte er es 1851 sogar wagen das Parlament aufzulösen und 1852 eine Verfassungsänderung durchbringen, die große Ähnlichkeiten mit der Konsularverfassung aus dem Jahre 1799 aufwies, die sein Onkel, der große Napoleon Bonaparte, geschaffen hatte. Als dieser Schritt Napoleons III. vom Volk mit 7,5 Millionen Wahlstimmen legitimiert wurde, war der nächste logische Schritt, dass er sich zum Kaiser der Franzosen ausrufen ließ. Die Zweite Republik wich somit dem Zweiten Kaiserreich.
Die Gesetzgebung Napoleons III. brachte sowohl für die Arbeiter bessere Umstände mit sich deckte auch die Bedürfnisse des aufsteigenden Bürgertums. Somit waren die Voraussetzungen für die aufkeimende Industrialisierung vorerst in die richtigen Bahnen gelenkt worden. Den Höhepunkt dieser Entwicklung bildete die Umgestaltung der Hauptstadt Paris. Sie wurde bis zum Jahre 1870 von der mittelalterlichen Stadt in eine moderne Metropole mit weiten Boulevards, großzügigen Plätzen, neuartigen Straßensystemen und vor allem mit einer modernen Wasserversorgung und einem neuen Abwassersystem transformiert. Das System Napoleons brach aber mit einem großen Knall zusammen. Der Krieg gegen Preußen, der von Bismarck von langer Hand vorbereitet war, endete mit einer schmachvollen Niederlage. Am 18. Januar 1871 wurde der König von Preußen zum Deutschen Kaiser ausgerufen. Damit war die Einigung der deutschen Einzelstaaten abgeschlossen und der Startschuss für die fast 100 Jahre dauernde Erbfeindschaft zwischen Frankreich und Deutschland gefallen.
Mit der Niederlage Frankreichs wurde die Dritte Republik begründet. Zwar hat Bismarck nichts unversucht gelassen, um Frankreich möglichst klein zu halten, aber dennoch hatten die Franzosen jedwede Möglichkeit ergriffen, um wieder Anschluss an die Großen der Weltpolitik zu finden. Schließlich war Frankreich immer noch eine Kolonialmacht. Aus der Frustration im Inneren heraus konzentrierte man sich wieder mehr um die Außenbesitzungen. Aus diesem Grunde konnten die Belastungen des Deutsch-Französischen Krieges relativ schnell abgebaut werden. Spätestens als England und Frankreich ihre Annäherung mit der "Entente cordiale" besiegelt hatten und dieser Bündnispakt mit der "Triple Entente" erweitert wurde, konnte Frankreich sich wieder zur alten Riege der Großmächte zählen.
 

  vorherige Seite   nächste Seite


[1]  [2]  [3]  [4]  [5]  [6]  [7]