Obwohl die Politik einerseits von der Religion profitiert, wird sie
andererseits durch ihre unausweichliche Abhängigkeit auch gefährdet. Nicht nur
wird sie geschwächt, wenn die Glaubwürdigkeit der jeweiligen (religiösen)
Autoritätsperson ins Wanken gerät [9], sondern es sind insbesondere die
unzähligen Meinungen und Lehren bezüglich der inhaltlichen Auffüllung des
Gottesbegriffes, die einem Staat innere Uneinigkeit bis hin zu Bürgerkrieg und
Staatsauflösung bringen können [10]. Will man einen friedlichen und damit
sicheren Staat, muss deshalb der Weg konsequenterweise über die Beseitigung
dieses Problems gehen. Was also in einer Abhandlung über die bestmögliche
Politik vorschlagen? Während die ersten beiden Bücher des Leviathan hauptsächlich (aber nicht ausschließlich!) „zeitlos“
bezüglich der Religion gehalten sind, widmen sich III und IV speziell dem
christlichen Staat und sind damit eingebunden in den Kontext des siebzehnten
Jahrhunderts, so wie Hobbes es erlebte. Es ist ein dreiteiliges
Lösungsprogramm, das der Philosoph hier entwirft – drei Punkte, die sich
teilweise ergänzen, teilweise überschneiden, auf jeden Fall aber dem
übergeordneten Ziel eines friedvollen und sicheren Lebens untergeordnet sind.
Lösung 1: Souveräne
„Allmacht“
Im zweiten Teil des Leviathan
lässt Hobbes keinerlei Zweifel daran, dass der Souverän eine quasi-allmächtige,
das heißt fast gottähnliche Position innehaben muss, soll der Staat stabil
bleiben und der Friede somit gewahrt werden. In einem christlichen Staat
scheint der Souverän allerdings zweierlei Konkurrenz zu haben: erstens Gott
selbst – Inwieweit ist Christus als König Vorrang vor dem Souverän zu geben? –
und zweitens die Kirche, die als Staat im Staat das Hobbesche
Souveränitätsprinzip – Souveränität ist entweder ganz oder gar nicht –
untergräbt. Dem Beweis, dass diese Konkurrenz logisch gar nicht existiert,
widmet Hobbes einen Großteil der Bücher III und IV.
Gott und Souverän
Das Fundament seiner Argumentation bildet die
Dreiwelten-Lehre, die mit Joachim von Floris einen Höhepunkt erfuhr. Anders als
dieser aber schreibt Hobbes nicht für das zukünftige, göttliche Reich, sondern
für die durch Gottes Abwesenheit gekennzeichnete Gegenwart [11], ein „Interim“
[12] zwischen der „alte[n] Welt“, die von der Schöpfung bis zur Sintflut
dauerte und der „künftige[n] Welt“ (Lev. XLIV, 481; XXXVIII, 354), die
am Tag des Gerichts beginnen wird. Die „Gottlosigkeit“ des gegenwärtigen
Reiches leitet Hobbes aus der Bibel ab, vom Ausspruch Christi „Mein Reich
ist nicht von dieser Welt“ (Joh. 18,36 nach Lev. XXXVIII, 354). Seine
Schlussfolgerung daraus, dass Christus Gottes Reich nicht wieder zurück auf die
Erde brachte, ist, dass ohne Reich keine Befehlsgewalt und damit auch keine
Einforderung von Gehorsam möglich sei: Sein Reich sei nur ein metaphorisches,
und Religion nicht mehr Gesetz, sondern lediglich Eschatologie und Glaube an
eine künftige Wiederkehr Gottes [13].
Gott ist demnach nur insofern immer Herrscher, als aufgrund seiner
Allmacht die Menschen im „natürlichen
Reich“ durch die „rechte Vernunft“
seinem „vernünftige[n]“ Wort (Lev.
XXXI 271f.) gehorchen müssen [14] – das wiederum aber besteht in den
natürlichen Gesetzen, wie im vierzehnten und fünfzehnten Kapitel des Leviathan dargelegt. Damit ist Gott als
Vernunft, als philosophischer Gott dafür verantwortlich, dass es überhaupt zur
Einrichtung der Souveränität kommt: Der Mensch erkennt durch die Vernunft in foro interno nämlich die
(Lebens-)Gefahr, die sich als logische Konsequenz aus dem Naturrecht ergibt,
und somit die Zweckmäßigkeit der natürlichen Gesetze, gleichzeitig aber auch,
dass in foro externo eine Umsetzung
derselben ohne eine Macht, die den Frieden garantieren kann, der
Selbsterhaltung nicht förderlich wäre [15]. Deshalb sind die natürlichen
Gesetze im Naturzustand auch nicht so sehr Gesetze im eigentlichen Sinne des
Wortes als vielmehr rationale Imperative [16]. Zu positiven Gesetzen werden sie
erst in dem Moment, wo „die Autorität
desjenigen verpflichtet, dessen Befehle bereits Gesetzeskraft haben, das heißt,
durch keine andere Autorität als der staatlichen, die beim Souverän liegt, der
allein die gesetzgebende Gewalt innehat“ (Lev. XXXIII, 298) [17]. Wie genau
es unter diesen schwierigen Umständen aber überhaupt zum Moment des Vertragsschlusses
kommt, ist ein weiteres vieldiskutiertes Thema, das für sich alleine eine ganze
Arbeit einnehmen würde, sodass es hier nicht weiter verfolgt werden kann.
Der historische Gott ließ mit Herrschaftsbeginn Sauls die Menschen nicht mit leeren Händen zurück, sondern übergab ihnen zwei Instrumente: die Vernunft (Lev. VIII, 61; XXXII, 285) als „Orientierungshilfe“ [18] und die Bibel als Vorbereitung „auf das zweite Kommen Christi“ (Lev. XLIII, 458). Von dieser letzteren behauptet Hobbes in der lateinischen Ausgabe: „Außer der heiligen Schrift aber haben wir keine Offenbarung und diese gebietet an mehr als einem Orte Erfüllung der Verträge und Gehorsam gegen die Könige“ (Lev. XV, 113) [19]. Die Herrschaft gebühre demnach seither demjenigen, der in der Nachfolge Abrahams und Moses’ steht: dem Souverän, im Amt kraft Dei gratia [20]. Wie diese sei er allein dazu berechtigt, die Botschaft Gottes, deren Grundlage in der Gegenwart nur die Bibel sei, zu interpretieren, zu verkünden – und zum Gesetz zu machen oder aber auch nicht (Lev. XLII, 395-399): dies nicht so sehr, weil Gott nur zu ihm unmittelbar spreche, sondern weil ein solches individuelles Ereignis nicht beweisbar sei, allein der Souverän aber die Macht habe, zumindest in Taten Gehorsam bezüglich dieser erfolgten oder aber auch nicht erfolgten Botschaft einzufordern [21]. Hinter diesem Gedanken steckt die Furcht vor den Folgen differenzierter Ansichten im Staat, die nach Hobbes über einen Bürgerkrieg hin zur Auflösung des Staates und damit zurück in den Naturzustand führen können: Den Untertanen hier Freiräume zu gestatten, wäre deshalb wider den eigentlichen Zweck der Staatseinrichtung, den Frieden und die Sicherheit (Lev. XXVI, 220).
Zu klären bleibt, inwiefern der Souverän, der nach dem Hobbeschen Konzept des imperium absolutum schließlich nicht eingeschränkt werden darf, an Gott als dem natürlichen, allmächtigen Herrscher gebunden ist. Die Antwort darauf ist im einundzwanzigsten Kapitel des Leviathan (165f.) zu finden. Hobbes schreibt hier, dass der Souverän als Untertan Gottes tatsächlich an die Einhaltung der natürlichen Gesetze, des natürlichen Worts Gottes, gebunden sei. Was dies aber heißt, ist einige Zeilen weiter einerseits sehr vage, andererseits aber sehr eindeutig formuliert – je nach Perspektive: Wenn der Souverän nämlich gegen sie verstoße – Hobbes bringt hier das Beispiel der Tötung Urias durch David –, so stelle dies eine „Unbilligkeit“ (Lev. XXI, 166) und Sünde Gott gegenüber dar. Was aber sind „Unbilligkeit“ und „Sünde“ wenn nicht Moralbegriffe ohne zwingend bindende Wirkung? Wenn der Souverän deshalb auch in der Theorie moralisch an Gottes Weisungen gebunden ist, verantworten muss er sich nicht in dieser, sondern erst in einer zukünftigen Welt. Hier von einer wenn auch nur geringen Kontrolle des Souveräns durch Gott zu sprechen [22], erscheint doch sehr optimistisch. Vielmehr bestätigt Hobbes, schön verpackt, ein weiteres Mal die faktische Allmacht des Souveräns in der Gegenwart: Als System unsichtbarer Macht, das die sichtbare politische unterstützt, hat dieses metaphorische Königreich Gottes nämlich wenig bis gar keine Effizienz. [23]