Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Kröss, Katja

 
 

Anleitungen zum Frieden
Religion und Politik im Leviathan. Ein Rekonstruktionsversuch

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2 Anleitungen zum Frieden

Obwohl die Politik einerseits von der Religion profitiert, wird sie andererseits durch ihre unausweichliche Abhängigkeit auch gefährdet. Nicht nur wird sie geschwächt, wenn die Glaubwürdigkeit der jeweiligen (religiösen) Autoritätsperson ins Wanken gerät [9], sondern es sind insbesondere die unzähligen Meinungen und Lehren bezüglich der inhaltlichen Auffüllung des Gottesbegriffes, die einem Staat innere Uneinigkeit bis hin zu Bürgerkrieg und Staatsauflösung bringen können [10]. Will man einen friedlichen und damit sicheren Staat, muss deshalb der Weg konsequenterweise über die Beseitigung dieses Problems gehen. Was also in einer Abhandlung über die bestmögliche Politik vorschlagen? Während die ersten beiden Bücher des Leviathan hauptsächlich (aber nicht ausschließlich!) „zeitlos“ bezüglich der Religion gehalten sind, widmen sich III und IV speziell dem christlichen Staat und sind damit eingebunden in den Kontext des siebzehnten Jahrhunderts, so wie Hobbes es erlebte. Es ist ein dreiteiliges Lösungsprogramm, das der Philosoph hier entwirft – drei Punkte, die sich teilweise ergänzen, teilweise überschneiden, auf jeden Fall aber dem übergeordneten Ziel eines friedvollen und sicheren Lebens untergeordnet sind.

 

 

Lösung 1: Souveräne „Allmacht“

Im zweiten Teil des Leviathan lässt Hobbes keinerlei Zweifel daran, dass der Souverän eine quasi-allmächtige, das heißt fast gottähnliche Position innehaben muss, soll der Staat stabil bleiben und der Friede somit gewahrt werden. In einem christlichen Staat scheint der Souverän allerdings zweierlei Konkurrenz zu haben: erstens Gott selbst – Inwieweit ist Christus als König Vorrang vor dem Souverän zu geben? – und zweitens die Kirche, die als Staat im Staat das Hobbesche Souveränitätsprinzip – Souveränität ist entweder ganz oder gar nicht – untergräbt. Dem Beweis, dass diese Konkurrenz logisch gar nicht existiert, widmet Hobbes einen Großteil der Bücher III und IV.

 

 

Gott und Souverän

Das Fundament seiner Argumentation bildet die Dreiwelten-Lehre, die mit Joachim von Floris einen Höhepunkt erfuhr. Anders als dieser aber schreibt Hobbes nicht für das zukünftige, göttliche Reich, sondern für die durch Gottes Abwesenheit gekennzeichnete Gegenwart [11], ein „Interim“ [12] zwischen der „alte[n] Welt“, die von der Schöpfung bis zur Sintflut dauerte und der „künftige[n] Welt“ (Lev. XLIV, 481; XXXVIII, 354), die am Tag des Gerichts beginnen wird. Die „Gottlosigkeit“ des gegenwärtigen Reiches leitet Hobbes aus der Bibel ab, vom Ausspruch Christi „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Joh. 18,36 nach Lev. XXXVIII, 354). Seine Schlussfolgerung daraus, dass Christus Gottes Reich nicht wieder zurück auf die Erde brachte, ist, dass ohne Reich keine Befehlsgewalt und damit auch keine Einforderung von Gehorsam möglich sei: Sein Reich sei nur ein metaphorisches, und Religion nicht mehr Gesetz, sondern lediglich Eschatologie und Glaube an eine künftige Wiederkehr Gottes [13].

Gott ist demnach nur insofern immer Herrscher, als aufgrund seiner Allmacht die Menschen im „natürlichen Reich“ durch die „rechte Vernunft“ seinem „vernünftige[n]“ Wort (Lev. XXXI 271f.) gehorchen müssen [14] – das wiederum aber besteht in den natürlichen Gesetzen, wie im vierzehnten und fünfzehnten Kapitel des Leviathan dargelegt. Damit ist Gott als Vernunft, als philosophischer Gott dafür verantwortlich, dass es überhaupt zur Einrichtung der Souveränität kommt: Der Mensch erkennt durch die Vernunft in foro interno nämlich die (Lebens-)Gefahr, die sich als logische Konsequenz aus dem Naturrecht ergibt, und somit die Zweckmäßigkeit der natürlichen Gesetze, gleichzeitig aber auch, dass in foro externo eine Umsetzung derselben ohne eine Macht, die den Frieden garantieren kann, der Selbsterhaltung nicht förderlich wäre [15]. Deshalb sind die natürlichen Gesetze im Naturzustand auch nicht so sehr Gesetze im eigentlichen Sinne des Wortes als vielmehr rationale Imperative [16]. Zu positiven Gesetzen werden sie erst in dem Moment, wo „die Autorität desjenigen verpflichtet, dessen Befehle bereits Gesetzeskraft haben, das heißt, durch keine andere Autorität als der staatlichen, die beim Souverän liegt, der allein die gesetzgebende Gewalt innehat“ (Lev. XXXIII, 298) [17]. Wie genau es unter diesen schwierigen Umständen aber überhaupt zum Moment des Vertragsschlusses kommt, ist ein weiteres vieldiskutiertes Thema, das für sich alleine eine ganze Arbeit einnehmen würde, sodass es hier nicht weiter verfolgt werden kann.

 

 

Der historische Gott ließ mit Herrschaftsbeginn Sauls die Menschen nicht mit leeren Händen zurück, sondern übergab ihnen zwei Instrumente: die Vernunft (Lev. VIII, 61; XXXII, 285) als „Orientierungshilfe“ [18] und die Bibel als Vorbereitung „auf das zweite Kommen Christi“ (Lev. XLIII, 458). Von dieser letzteren behauptet Hobbes in der lateinischen Ausgabe: „Außer der heiligen Schrift aber haben wir keine Offenbarung und diese gebietet an mehr als einem Orte Erfüllung der Verträge und Gehorsam gegen die Könige“ (Lev. XV, 113) [19]. Die Herrschaft gebühre demnach seither demjenigen, der in der Nachfolge Abrahams und Moses’ steht: dem Souverän, im Amt kraft Dei gratia [20]. Wie diese sei er allein dazu berechtigt, die Botschaft Gottes, deren Grundlage in der Gegenwart nur die Bibel sei, zu interpretieren, zu verkünden – und zum Gesetz zu machen oder aber auch nicht (Lev. XLII, 395-399): dies nicht so sehr, weil Gott nur zu ihm unmittelbar spreche, sondern weil ein solches individuelles Ereignis nicht beweisbar sei, allein der Souverän aber die Macht habe, zumindest in Taten Gehorsam bezüglich dieser erfolgten oder aber auch nicht erfolgten Botschaft einzufordern [21]. Hinter diesem Gedanken steckt die Furcht vor den Folgen differenzierter Ansichten im Staat, die nach Hobbes über einen Bürgerkrieg hin zur Auflösung des Staates und damit zurück in den Naturzustand führen können: Den Untertanen hier Freiräume zu gestatten, wäre deshalb wider den eigentlichen Zweck der Staatseinrichtung, den Frieden und die Sicherheit (Lev. XXVI, 220).

Zu klären bleibt, inwiefern der Souverän, der nach dem Hobbeschen Konzept des imperium absolutum schließlich nicht eingeschränkt werden darf, an Gott als dem natürlichen, allmächtigen Herrscher gebunden ist. Die Antwort darauf ist im einundzwanzigsten Kapitel des Leviathan (165f.) zu finden. Hobbes schreibt hier, dass der Souverän als Untertan Gottes tatsächlich an die Einhaltung der natürlichen Gesetze, des natürlichen Worts Gottes, gebunden sei. Was dies aber heißt, ist einige Zeilen weiter einerseits sehr vage, andererseits aber sehr eindeutig formuliert – je nach Perspektive: Wenn der Souverän nämlich gegen sie verstoße – Hobbes bringt hier das Beispiel der Tötung Urias durch David –, so stelle dies eine „Unbilligkeit“ (Lev. XXI, 166) und Sünde Gott gegenüber dar. Was aber sind „Unbilligkeit“ und „Sünde“ wenn nicht Moralbegriffe ohne zwingend bindende Wirkung? Wenn der Souverän deshalb auch in der Theorie moralisch an Gottes Weisungen gebunden ist, verantworten muss er sich nicht in dieser, sondern erst in einer zukünftigen Welt. Hier von einer wenn auch nur geringen Kontrolle des Souveräns durch Gott zu sprechen [22], erscheint doch sehr optimistisch. Vielmehr bestätigt Hobbes, schön verpackt, ein weiteres Mal die faktische Allmacht des Souveräns in der Gegenwart: Als System unsichtbarer Macht, das die sichtbare politische unterstützt, hat dieses metaphorische Königreich Gottes nämlich wenig bis gar keine Effizienz. [23]
 

Fussnote(n):
[9] S. Lev. XII, 90.
[10] S. bspw. Lev. XII und XVIII.
[11] S. Lev. XLIV, 481; XXXVIII, 354; XLI, 372.
[12] Grady, R.C. (1974-75): The Law of Nature in the Christian Commonwealth: Hobbes’ Argument for Civil Authority, in: King, P. (Hrsg.): Thomas Hobbes. Critical Assessments. Volume IV: Religion, London/ New York 1993, 115-135, hier 126.
[13] Vgl. auch Eisenach, E.J. (1982): Hobbes on Church, State and Religion, in: King, P. (Hrsg.): Thomas Hobbes. Critical Assessments. Volume IV: Religion, London/ New York 1993, 290-316, hier 294 f.
[14] Vgl. auch Lev. XLIV, 465.
[15] Vgl. Grady, Law 1993, 119.
[16] Vgl. auch State, S.A.: The Religious and the Secular in the Work of Thomas Hobbes, in: Crimnis, J. E. (Hrsg.): Religion, Secularization and Political Thought. Thomas Hobbes to J.S. Mill, London/ New York 1989, 17-38, hier 24.
[17] Vgl. auch XLII, 398.
[18] Grossheim, Religion 1996, 304.
[19] S. auch Lev. XXIII, 186; XLI, 372; XLII, 414.
[20] Als solcher nimmt der Souverän auch das Amt des höchsten Priesters wahr (Lev. XLII, 411-413).
[21] Zur Untermauerung dieser unangefochtenen Autorität des Souveräns bezüglich Religionsangelegenheiten führt Hobbes im zweiunddreißigsten Kapitel (286-289) weitschweifig aus, dass es keine wahren Propheten – die einzigen, die berechtigterweise Gehorsam gegenüber Gottes Botschaft einfordern könnten – mehr gebe. Diese dürften nämlich nicht nur keine Religion als die bereits eingeführte lehren (ein Kriterium, das noch erfüllbar wäre), sondern müssten als Beweis auch Wunder vollbringen. Die aber gibt es nach Hobbes nicht mehr, sodass keine Verpflichtung besteht, irgendeiner anderen Lehre als der, die mit der Bibel im Einklang steht, zu glauben – und natürlich den Befehlen des Souveräns.
[22] So Sutherland, S.R. (1974): God and Religion in Leviathan, in: King, P. (Hrsg.): Thomas Hobbes. Critical Assessments. Volume IV: Religion, London/ New York 1993, 107-114, hier 113.
[23] Vgl. auch Eisenach, Hobbes 1993, 295.

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