Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 02 - Sommersemester 06)
 

Schmid, Matthias

 
 

Zwischen Ideologie und Pragmatismus: Wiedergutmachungspolitik der DDR beim "Aufbau des Sozialismus" 1952/53

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  Das Jahr 1948 markierte das Ende einer breit angelegten Wiedergutmachung in der SBZ, welche bisher vorwiegend von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland gestützt worden war - und dies in den ersten Nachkriegsjahren wohl nur aus interalliierter Rücksichtnahme, um nicht durch eigenes Vorpreschen auf dem Gebiet die Chance auf eine gesamtdeutsche Option zunichte zu machen. Danach wurde die Wiedergutmachungspolitik, deren zentrale Handlungseinheit nunmehr die SED wurde, stark ideologisiert, Tendenzen zu Rückerstattung und Entschädigung eine Absage erteilt.[6] In zunehmendem Maße wurden zwei Grundlinien ostdeutscher Politik der Anerkennung von Personen und Gruppen als wiedergutmachungsberechtigt deutlich: (a) die Bevorzugung der politisch verfolgten aktiven kommunistischen Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus gegenüber den rassisch und religiös verfolgten "passiven" Opfern und (b) die zunehmende Bedeutung gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhaltens als Maßstab für die Anerkennung.[7]
In der Struktur der Wiedergutmachungspolitik nahm die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) eine bedeutende Stellung ein. Die VVN war eine parteiunabhängige Mitgliederorganisation, in welcher es einen "plurale[n] VVN-Antifaschismus"[8] gab, sprich: in welcher neben einer Mehrheit linker Widerstandskämpfer viele verschiedene Opfergruppen der NS-Diktatur unterkamen. Wichtig war, dass die VVN entscheidenden Einfluss auf die personelle Besetzung sowie sachliche Kontrollbefugnisse bei der Arbeit der für Wiedergutmachung zuständigen Behörden besaß.[9] Auf diese Weise konnte die VVN maßgeblich mitbestimmen, wer als Verfolgter des Naziregimes (VdN) - ein mit sozialpolitischen Leistungen verbundener Ehrentitel - anerkannt wurde, während sie selbst sich weitgehend der direkten Kontrolle der Staatspartei SED entziehen konnte.
Dies änderte sich im Februar 1953: Überraschend wurde die VVN durch einen Beschluss des Politbüros der SED als Mitgliederverband aufgelöst und in ein Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer umgewandelt, dessen Mitglieder allesamt von der SED ernannt wurden.[10] Ein halbes Jahr zuvor hatte bereits eine Neuordnung des anerkennungspolitischen Institutionengefüges stattgefunden, als die bisher von der VVN bestimmten Behörden (VdN-Dienststellen) auf Kreis- und Landesebene beseitigt und in die von der SED besetzte Sozialverwaltung der Kreise und Bezirke eingegliedert wurden.[11]
 

 
  Zeichnung: Matthias Schmid
 

Fussnote(n):
[6] Vgl. hierzu allgemein Ralf Kessler/Hartmut Rüdiger Peter: Wiedergutmachung im Osten Deutschlands 1945-1953. Grundsätzlich Diskussionen und die Praxis in Sachsen-Anhalt, Frankfurt am Main u.a. 1996.
[7] Vgl. ebenda, S. 29-33; Christoph Hölscher: NS-Verfolgte im "antifaschistischen Staat". Vereinnahmung und Ausgrenzung in der ostdeutschen Wiedergutmachung (1945-1989), Berlin 2002, S. 105-161.
[8] Danyel, Gründungskonsens, S. 34 f.
[9] Vgl. Detlef Hansel/ Elke Reuter: Das kurze Leben der VVN von 1947 bis 1953. Die Geschichte der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR (= Rote Reihe, o. Bd.), Berlin 1997, S. 431.
[10] Vgl. ebenda, S. 485-494.
[11] Vgl. Hölscher, NS-Verfolgte, S. 168-171.

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