Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Künstler, Waltraud

 
 

Ciceros orator perfectus – ein realisierbares Rednerideal?

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Der orator perfectus


Im Folgenden werden die Standpunkte des Antonius und des Crassus bezüglich des  orator perfectus dargestellt. Da es für dieses Gespräch und somit der darin vertretenden Auffassungen keine Belege gibt, ist davon auszugehen, dass Cicero seinen Dialogpartnern die Worte in den Mund gelegt hat. Trotzdem werden zum leichteren Verständnis bei der Nachzeichnung der Standpunkte sowohl Crassus als auch Antonius als Vertreter der jeweiligen Meinung benannt.
 

  Die Meinung des Antonius  

Antonius stellt den orator perfectus als einen Meister der Rede dar. Dieser beherrscht die Redekunst ebenso, wie er seine Absicht mit wohlgesetzten Worten darzulegen vermag [54]. Erreicht wird dieser Anspruch nur durch kontinuierliches Üben [55], unter der Voraussetzung, dass sowohl eine natürliche Begabung Vorträge zu halten, als auch eine voluminöse Stimme vorhanden sind [56]. Letzteres liegt vor allem in dem von Antonius beschränkten Tätigkeitsbereich des Redners, dem Gericht und der Politik, begründet [57]. Trotz dieser Beschränkung sieht Antonius keine Veranlassung für den Redner ein Rechtsgelehrter [58] oder Philosoph [59] zu sein.

  

Gegen das wissenschaftliche Rechtsstudium spricht, dass bei kompliziert gelager- ten Gerichtsverfahren die Entscheidung durch eine überzeugende Rede, nicht durch Gesetze getroffen wird [60]. Für die übrigen Fälle, sofern sie denn vor Gericht verhandelt werden [61], reicht es den Rat von peritis bzw. von libris depromi hinzuzuziehen [62].

Auch in der Philosophie sind Menschenkenntnis und Allgemeinbildung ausreichend [63]. Vor allem Letzteres erlangt ein zum Referieren begabter Mensch mühelos durch seine ihm angeborene Intelligenz. [64]
 

  Die Meinung des Crassus  

In Crassus’ Augen muss sich der orator perfectus auf jedem Gebiet wortgewandt und vielseitig äußern können [65]. Das heißt, dass ein  angeborenes Talent vorhanden [66],  die Redekunst [67] beherrscht und viel, unter anderem schriftlich, geübt werden muss [68].

  

Darüber hinaus sind das Studium des bürgerlichen Rechts [69] und der Geschichte [70] unentbehrlich. Beides wird durch eine Fülle von Beispielen verdeutlicht [71]. So wäre es zum Beispiel ohne Rechtsstudium möglich, dass einem Redner der Erfolg, trotz eloquentia, versagt bleibt, wenn er bei Gericht für etwas plädiert, das den Gesetzen widerspricht [72].

Aber auch mit der Philosophie muss sich der Redner vertraut machen. Hierbei misst Crassus der Ethik den höchsten Stellenwert bei. [73] Denn nur die durch das Geschichts- und Philosophiestudium erworbenen Kenntnisse helfen dem Redner bei Lobreden oder in politischen Versammlungen. So wird etwa vermieden, Gesetzesvorschläge entgegen dem mos maiorum einzubringen. [74]

 

  Für Cicero braucht der orator perfectus mehr als Talent und Übung


Antonius und Crassus sind sich also darin einig, dass die grundlegendste Voraussetzung, um ein Idealredner zu werden, das Talent darstellt. Schließlich gebe es für die Redekunst kein wissenschaftlich erlernbares System [75]. Aber erst durch das ständige Üben kommt das Talent zur Entfaltung. Den Schulen bescheinigen beide, dass die dort vorgetragenen Fälle die Wirklichkeit nur unzulänglich widerspiegeln [76]. Sinnvoller sei es, frühestmöglich den Rednern auf dem Forum oder bei Gericht zuzuhören.

  

In Verbindung mit einem gesunden Menschenverstand und Allgemeinbildung entspricht der Redner Antonius’ Forderungen nach einen orator perfectus [77].

  

Crassus gibt sich damit nicht zufrieden. Ein beredter Mensch ist in der Lage Menschen zu beeinflussen. Um den möglichen Missbrauch dieser Tugend zu vermeiden, ist es wichtig talentierte Menschen vor allem in Recht und Philosophie zu unterweisen. [78] Somit stellt das Verbot der Rednerschulen, die auf diese Teile in der Ausbildung verzichten, nur eine logische Konsequenz dar [79].

Auf welcher Seite Cicero im Dialog steht, ist leicht zu erkennen. Im Prooemium zum ersten Buch schreibt Cicero, sein jüngerer Bruder Quintus sei davon überzeugt, dass Talent und Übung ausreichende Voraussetzungen für einen Idealredner seien [80]. Im Dialog lässt Cicero diesen Standpunkt durch Antonius vertreten.  Der orator perfectus nach Ciceros Vorstellung hingegen wird durch Crassus verkörpert. Nur wer auf wissenschaftlichem Gebiet gebildet sei, könne ein vollendeter Redner werden [81].  Dass dies allein der Weg zum Idealredner ist, wird, abgesehen von Crassus ausgedehnten Ausführungen zum bürgerlichen Gesetz, der Geschichte und der Philosophie [82], an drei weiteren Stellen besonders deutlich. Zunächst, als Cicero am Ende des ersten Buches Crassus feststellen lässt, Antonius hätte mit seiner Darlegung nur die Kunst des Widerlegens, was bereits in den Bereich der Philosophie gehöre, unter Beweis stellen wollen [83]. Das Gleiche behauptet Cicero, diesmal aus eigenem Mund, zu Beginn des zweiten Buches. Antonius hätte niemals ohne Bildung griechischer Art eine derartige Wortgewandtheit erlangt [84]. Schließlich verleiht Crassus/Cicero im letzten Buch der universalen Bildung ein weiteres Mal Nachdruck. [85]
 

Fussnote(n):
[54] Cic., De orat., I 94.
[55] Cic., De orat., I 260.
[56] Cic., De orat., I 127 u. I 213.
[57] Cic., De orat., I 260.
[58] Cic., De orat., I 236.
[59] Cic., De orat., I 219.
[60] Cic., De orat., I 238 – 239.
[61] Cic., De orat., I 241.
[62] Cic., De orat., I 252.
[63] Cic., De orat., I 218 u. I 220.
[64] Cic., De orat., I 223.
[65] Cic., De orat., I 59 u. I 64.
[66] Cic., De orat., I 113.
[67] Cic., De orat., I 73.
[68] Cic., De orat., I 149 – 150.
[69] Cic., De orat., I 159; I 197 u. I 201.
[70] Cic., De orat., I 201.
[71] Cic., De orat., I 60 – 63 u. I 167 – 200.
[72] Cic., De orat., I 167.
[73] Cic., De orat., I 67 – 69.
[74] Cic., De orat., I 60.
[75] Cic., De orat., I 83 u. I 107 – 110.
[76] Cic., De orat., II 99 – 101 u. III 56 – 73.
[77] Cic., De orat., I218 u. I 220.
[78] Cic., De orat., III 55.
[79] Cic., De orat., III 93.
[80] Cic., De orat., I 5.
[81] Cic., De orat., I 5 u. I 17 – 18.
[82] Cic., De orat., I 167 – 200 u. I 67 – 69.
[83] Cic., De orat., I 263.
[84] Cic., De orat., II 6.
[85] Cic., De orat., III 55 – 89.

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