Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 01 - Wintersemester 05/06)
 

Weber, Albert

 
 

Der Pazifismus - ein kritischer Blick auf die Schwächen einer Ideologie

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  Ich will in diesem Artikel versuchen, mit einer sehr kritischen, vielleicht etwas polemisch geratenen Herangehensweise die Schwächen der Friedfertigkeit aufzudecken. Der Autor gesteht, sich beim Schreiben vom Grundsatz sine ira et studio distanziert zu haben, also durchaus voreingenommen zu sein.
Zunächst definiere ich den Pazifismus und lege sodann die Gründe für sein Aufkommen dar, die Zusammensetzung seiner Anhänger und schließlich seine Bewährung in der Geschichte, gefolgt von einer Zusammenfassung.
Der Pazifismus sieht die Welt von einem grundsätzlich guten, zur Moral erziehbaren Menschen bevölkert; diesem gilt es das Ideal des friedlichen Zusammenlebens näherzubringen. Der Gegensatz dieses Ideals, der Krieg, wird aus Unwissen verbrochen, das von den Mächtigen dieser Welt aus eigenem Interesse vermehrt wird. Dieses Denken ist von kommunistischem Gedankengut durchdrungen oder überschnitten, was seine Nähe zum Marxismus erklärt.
Der Pazifismus sieht sich als hochmoralische Bewegung, die besonders unterdrückten Völkern die Kenntnis ihrer Unterdrückung und Ausnutzung vermitteln will.
Krieg wird als Anachronismus angesehen, der jetzt, da das Wissen um die scheinbare Friedensfähigkeit dieser Welt existiert, ein überkommenes Übel ist, das man wie eine alte Krankheit mit einer neuen Arznei ausmerzen will.
Das hohe Ziel des Friedens ist hauptsächlich mit dem Willen zu erreichen, was die allgemeine Bereitschaft erfordert, sich auf diese Ideologie einzulassen. Der Pazifismus sieht sich als eine Bewegung der Verbrüderung an, weswegen er sich weniger auf die Ausschließlichkeit einer Partei verläßt, wie das etwa die Marxisten tun. Eine Partei schließt immer jene aus, die nicht zu ihr gehören. Gerade diese bisher übliche Trennung soll jetzt aufgehoben werden - etwas Neues soll die alten Probleme bewältigen. Als Parteiplattform stützen sich die Pazifisten auf die linken Parteien und versuchen von dort aus direkt die Politik zu beeinflußen.
Die Gründe für das Aufkommen des Pazifismus sind zahlreich und interessant:
Das Volk hat besonders wirtschaftliche, also materielle Gründe, gegen den Krieg zu sein:
Der moderne Krieg fordert vom Sieger nahezu dieselben Anstrengungen und Leiden wie vom Verlierer; von einem Gewinner wie früher kann nicht mehr die Rede sein, denn heutzutage wird die feindliche Bevölkerung nicht mehr in ein Heer von Arbeitssklaven verwandelt oder ausgeplündert, bis ihr sämtliche Lebensgrundlagen fehlen. Die Soldaten dürfen grundsätzlich keine Beute mehr machen und keine Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung begehen, was früher durchaus selbstverständlich war.[1] Landverteilungen oder Prämien gehören einer fernen Vergangenheit an,[2] genauso das Ansehen, das man ehemals für militärische Leistungen empfand.
Die zunehmende Entschärfung des Krieges durch humanitäre Aspekte macht ihn materiell immer uninteressanter. Bereits seine Vorbereitung fordert hohe Steuerabgaben von den Bürgern, ohne daß diese einen entsprechenden Gewinn erzielen könnten.
Der moderne Staat hat über lange Zeit hinweg eine allgemeine Militärpflicht eingefordert oder tut es noch heute, was vielen Bürgern nicht nur lästig, sondern auch finanziell schädlich ist: durch das immer komplexer werdende Wirtschaftsleben und somit durch steigendes Volkseinkommen wird jeder verpflichtet, sich um sein Vermögen oder seinen Beruf zu kümmern; ein längerer Militärdienst, in dem man zudem sein Leben und seine Gesundheit riskiert, ist für viele ein nicht unbedeutender Einschnitt in die wirtschaftliche Existenz. Früher war dies einfacher, da es mehr Besitzlose gab und diese leichter zurückließen, was sie hatten - es war ohnehin nicht viel.
Die regierende Klasse eines Landes, d.h. besonders die Wirtschaftsführung, arbeitet meist lieber auf Frieden als auf Krieg hin (von der Rüstungsindustrie abgesehen), weil die moderne Wirtschaft komplex und empfindlich ist; ein großer Krieg bringt zudem, bereichert durch die Vernichtungskraft moderner Waffen, das Risiko schwerster Schäden an den ökonomischen Strukturen eines Landes. Zusammenarbeit und die Öffnung wirtschaftlicher Räume macht eine prosperierende Wirtschaft erst möglich. Der Erfolg des Schuman-Plans zeigt, wie treffend diese Einsicht ist. Es ist daher nur vernünftig, an einer Völkerverständigung zu arbeiten und den Frieden zu propagieren.
Kleinere Kriege, die fern der Heimat ohne großes Risiko mit einigem Gewinn geführt werden, sind von diesen Friedensbemühungen allerdings ausgenommen; die Kriege im Irak stellen dafür ein aktuelles Beispiel.
Psychologische Gründe für den Erfolg dieser Bewegung ist die Erschöpfung durch die Kriegsleiden des letzten Jahrhunderts; eine Erfahrung, die sich im Volksbewußtsein festgesetzt hat und in vielen Ländern, bewußt oder unbewußt, Teil der Erziehung geworden ist.
In Europa etwa, das furchtbar unter den Weltkriegen gelitten hat, ist die Friedensbewegung viel verbreiteter als in den USA, die ihre Kriege im Ausland führen konnten. Interessant ist auch, daß nach den hohen Verlusten im Vietnamkrieg, der für diese Nation eine leidvolle Erfahrung gewesen ist, der Pazifismus massiv verstärkt wurde, was etwa nach dem Korea- oder Irak-Krieg nicht geschehen ist.
Eine bedeutende Belastung ist auch der moderne Staat, der scheinbar immer weiter in das Leben seiner Bürger dringt; die Menschen fühlen sich erdrückt und vielleicht auch verfolgt, so als wäre ihre Natur durch und durch verkommen. Der Pazifismus bietet eine moralische Aufwertung des eigenen Ichs und baut zugleich Feindbilder als auch den allgegenwärtigen Zivilisationsstreß ab - er bietet eine Besserung an, und auch eine Identität, die so mancher verzweifelt sucht.
Der moderne Staat hat seinem Bürger eine gewaltige Last öffentlicher Pflichten aufgebürdet, ihn aber privat befreit, gestärkt und sogar ermutigt, sich zu entfalten - solange er seine staatlichen Aufgaben erfüllt. Der Pazifismus rebelliert dank dieser persönlichen Freiheit gegen diese Staatsdoktrin auf gewisse Weise, denn der pazifistische Bürger will den Staat in sein eigenes Ideal verwandeln und mit der Tradition brechen. Er politisiert sich selbst und privatisiert den Staat.
Der Staat hat uns ein gutes Stück Sicherheit geschenkt; kein Volk zu keiner Zeit hat weniger Verbrechen begangen als der moderne Mensch in seiner Gesellschaft. Dieses Gefühl der Sicherheit schafft ein neues Weltbild: Gewalt ist verpönt, da sie die staatliche Gemeinschaft vernichtet. Gewalt ist auch unnötig, da man mit anderen Mitteln viel ungefährlicher und leichter an sein Ziel kommt. Diese Einsichten im sozialen Bereichen reißen viele dazu hin, sie auf den außenpolitischen zu übertragen, wo sie indes nicht ohne weiteres gelten können.
Der Pazifismus ist auch ein Kind des Fortschrittglaubens: eine neue Idee scheint gut zu sein, weil sie scheinbar in der Moderne das erste Mal angedacht wurde. Die Vergangenheit ist dem Pazifisten verdächtig, denn sie hat zu oft das Gewaltextrem des Krieges entfacht. All die Kriege hatten aber scheinbar kein Ergebnis, sie haben keine Lösung erbracht, denn die zunehmende Bildung lehrt, daß auf einen Krieg gleich der nächste folgte und sich die Geschichte immer wiederholt hat. Daher erscheint die Welt der Vergangenheit äußerst einfältig, wenn sie sich eines so schädlichen und nutzlosen Mittels bedient hat; diese Einsicht stärkt den Pazifisten, der so gern die Parole führt, daß Gewalt keine Probleme löse. Er sieht seine Ideologie als die passende Lösung an, dieses Problem der fehlgeleiteten Konfliktführung zu bewältigen, und zwar will er das ähnlich erfolgreich fertigbringen, wie die Naturwissenschaft andere Probleme in anderen Bereichen gelöst hat.
 

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