Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 01 - Wintersemester 05/06)
 

Charalambakis, Ioannis

 
 

Homosexualität im antiken Griechenland

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Schlußbetrachtungen

 
  Das Ziel dieser Untersuchung war die Darstellung wesentlicher Aspekte von Homosexualität in der Antike, um das verklärte und verzerrte Bild des modernen Menschen zu korrigieren. Als ein erstes Ergebnis steht dabei fest, daß enge Beziehungen zwischen Männern schon seit der Frühzeit bestanden haben, wobei man allerdings zwischen verschiedenen Formen unterscheiden und prüfen muß, ob der Begriff "Homosexualität", wie er unserem modernen Verständnis von einer Liebesbeziehung zwischen gleichberechtigten Partnern entspringt, überhaupt anwendbar ist. Dafür sind vor allem zwei Kriterien ausschlaggebend. 1. Handelte es sich bei den Verbindungen um "platonische" Liebe bzw. Freundschaft oder kam es zu sexuellen Kontakten? 2. Spielten sich die Beziehungen zwischen gleichberechtigten Partnern ab oder herrschte ein Verhältnis von Über- und Unterordnung?
Zunächst ist festzustellen, daß die Beziehungen zwischen gleichaltrigen Männern und die Beziehungen eines erwachsenen Mannes zu einem Knaben grundsätzlich unterschieden werden müssen. Während erstere auf rein freundschaftlicher Basis stattzufinden pflegten, beinhalteten letztere nicht nur geistige, sondern auch physische Kontakte.[45] Allerdings müssen wir uns von der romantischen Vorstellung einer Gesellschaft mit freier Ausübung der Liebe verabschieden, da auch in der Antike das Verhalten der Menschen bestimmten Restriktionen unterworfen war, wenngleich nicht so streng wie im Christentum.[46] So waren enge Liebesbeziehungen zwischen erwachsenen Männern unangebracht, so daß auch die Beziehung zu einem Knaben mit seinem ersten Bartwuchs beendet werden mußte. Dies hinderte allerdings nicht an einer weiter andauernden Freundschaft. Wer sich dem nicht unterwarf, wie z.B. Euripides, der noch in hohem Alter sein Leben mit dem Geliebten Agathon teilte, wurde in der Öffentlichkeit kritisiert.[47] Daß Beziehungen zu Knaben nicht als widernatürlich oder gar verwerflich angesehen wurden, zeigt auch die Terminologie in den Quellen, die für hetero- und homosexuelle Verbindungen gleich lautet.[48]
Die Werbung um einen Knaben und die Beziehung an sich war aber gewissen Regeln unterworfen, die im folgenden kurz dargestellt werden sollen. Als erstes mußte der Liebhaber um seinen Geliebten mit Geschenken werben, wobei dieser eine abwehrende Haltung einzunehmen hatte. Die Kontakte hierzu fanden meist in der Palästra statt.[49] Auch bei späteren sexuellen Kontakten durfte der Geliebte keinerlei Lust empfinden, denn ein solches Verhalten wäre als weibisch und damit verwerflich angesehen worden.[50] Aus dem gleichen Grund wurde anstelle von analer Penetration der sogenannte Schenkelverkehr bevorzugt, wie uns die vielen Vasenbilder eindrücklich vermitteln. Da es sich dabei aber hauptsächlich um idealisierende Darstellungen handelt, kann die Realität durchaus anders ausgesehen haben. Die Komödien des Aristophanes scheinen darauf einige Hinweise zu geben.[51] Allerdings wurde eine anale Penetration grundsätzlich als Strafe angesehen, so daß ertappte Ehebrecher mit künstlichen Phalloi traktiert wurden.[52] Ein beredtes Zeugnis von der Bestrafungsfunktion legt auch ein Vasenbild ab, auf dem sich nach vorne beugende Perser darauf warten, von Griechen penetriert zu werden. Vermutlich entstand das Stück im Zusammenhang mit den Perserkriegen.
Bei der Knabenliebe ging es in erster Linie nicht um die Befriedung sexueller Gelüste, sondern neben der erzieherischen Aufgabe,[53] handelte es sich vor allem um einen Lebensstil, der von den oberen Schichten gepflegt wurde.[54] Zum einen bedeuteten die Aufenthalte in der Palästra, daß man nicht arbeiten mußte und zum anderen waren die Geschenke für die Geliebten oftmals sehr kostspielig.[55] Außerdem waren genügend Hetären und Sklaven vorhanden, die in jeglicher Form zur Befriedung physischen Verlangens eingesetzt werden konnten, was grundsätzlich als normal und keineswegs als anrüchig angesehen wurde, so daß es keinen Grund gab sich an freie Knaben zu halten.[56] Es muß demnach offensichtlich mit einer gewissen Form der Ehre verbunden gewesen sein, sich der Knabenliebe hinzugeben. Letztlich konnte eine gleichwertige Beziehung nur zwischen freiem Mann und freiem Knaben stattfinden, da sowohl Hetären und Sklaven als auch Frauen freien männlichen Bürgern untergeordnet waren.[57] Einen wesentlichen Beitrag dazu leistete auch die Tatsache, daß Frauen und Mädchen aus den besseren Kreisen die Häuser normalerweise kaum verließen und sich somit die Eroberungslust der Männer auf das eigene Geschlecht richten mußte. Aus den ärmeren Schichten waren auch die Frauen in der Öffentlichkeit präsent, da hier keine Sklaven vorhanden waren um die täglichen Aufgaben, wie z.B. das Einkaufen auf den Märkten, zu erfüllen.[58] Insgesamt war die Päderastie ein Phänomen, daß sich fast ausschließlich im Lebensstil der oberen Schichten niederschlug. Diese Männer waren dabei allerdings keineswegs exklusiv an Knaben interessiert, sondern unterhielten weiterhin sexuelle Beziehungen zu Frauen. Im Unterschied zur Moderne existierte die homosexuelle Lebensgemeinschaft als Gegenentwurf zur heterosexuellen im antiken Griechenland demnach nicht.
 

Fussnote(n):
[45] Vgl. Davidson, James: Dover, Foucault and Greek Homosexuality. Penetration and the Truth of Sex. In: Robin Osborne (Ed.): Studies in Ancient Greek and Roman Society. Cambridge: Cambridge UP 2004, 115.
[46] Vgl. Dover, Kenneth J.: Classical Greek Attitudes to Sexual Behaviour. In: Mark Golden /Peter Toohey (Eds.): Sex and Difference in Ancient Greece and Rome. Edinburgh: Edinburgh UP 2003, 115.
[47] Vgl. Crompton, 52.
[48] Vgl. Dover: Homosexuality, 45 u. 67. Halperin, David: The Social Body and the Sexual Body. In: Mark Golden /Peter Toohey (Eds.): Sex and Difference in Ancient Greece and Rome. Edinburgh: Edinburgh UP 2003, 144.
[49] Vgl. Reinsberg, 164 u. 179.
[50] Vgl. Cohen, David: Law, Society and Homosexuality in Classical Athens. In: Mark Golden /Peter Toohey (Eds.): Sex and Difference in Ancient Greece and Rome. Edinburgh: Edinburgh UP 2003, 159. Reinsberg, 192.
[51] Dabei darf aber nicht außer acht gelassen werden, daß die antike Komödie grundsätzlich einen Zerrspiegel der Gesellschaft darstellte und daher der Wahrheitsgehalt detaillierter Aussagen zum Sexualverhalten bestimmter Persönlichkeit zumindest angezweifelt werden muß.
[52] Vgl. Davidson, 116.
[53] Vgl. Reinsberg, 170. Sauerteig, Lutz: Gleichgeschlechtliche Sexualität. In: Karl-Heinz Leven (Hrsg.): Antike Medizin. Ein Lexikon. München: Beck 2005, 806.
[54] Vgl. Dover: Attitudes, 122.
[55] Vgl. Reinsberg, 179 f.
[56] Vgl. Cohen, 163.
[57] Vgl. Reinsberg, 215 f.
[58] Vgl. Dover: Homosexuality, 88 u. 149. Dover: Attitudes, 117 u. 155.

 
Literatur Im folgenden soll kurz auf die für diesen Aufsatz verwandte Literatur eingegangen werden. Daß es sich hierbei um keine vollständige Auflistung der gesamten einschlägigen Veröffentlichungen zu diesem Thema handeln kann, versteht sich von selbst. Ein unverzichtbares Standardwerk ist nach wie vor Kenneth J. Dovers "Greek Homosexuality" (1978), die erste grundlegende Auseinandersetzung mit griechischer Homosexualität. Dabei analysiert der Autor anhand antiker Vasenbilder, sowie literarischer Quellen, die sich aus spätarchaischen und frühklassischen Gedichten, attischen Komödien, insbesondere des Aristophanes, den Schriften Platons, der Rede des Aischines "Gegen Timarchos" und hellenistischen Gedichten zusammensetzen, die Einstellung der Griechen zu gleichgeschlechtlichem Sexualverhalten. Gleichsam bedeutend, wenn auch nicht ausschließlich auf Homosexualität gerichtet ist das dreibändige Werk Michel Foucaults "Sexualität und Wahrheit" (Histoire de la sexualité). Während der erste Band "Der Wille zum Wissen" (La volonté de savoir, 1976) ausschließlich die Zeit vom 17. bis zum 20. Jahrhundert behandelt, befaßt sich der zweite Band "Der Gebrauch der Lüste (L´ usage des plaisirs, 1984) mit dem klassischen Griechenland. Der letzte Band "Die Sorge um sich" (Le souci de soi, 1984) hat seinen Schwerpunkt dann im Rom des ersten und zweiten nachchristlichen Jahrhunderts. In ihrem Buch "Ehe, Hetärentum und Knabenliebe im antiken Griechenland" (1989) setzt sich Carola Reinsberg teilweise mit den Ergebnissen Kenneth J. Dovers auseinander, wobei allerdings der Päderastie der kleinste Teil der Darstellung, im Vergleich zu Ehe und Hetärentum, gewidmet ist. Einen besonderen Aspekt homosexueller Beziehungen beleuchtet hingegen Andrew Calimach mit "Lovers´ Legends - The Gay Greek Myths" (2002), indem er das Liebesleben von Göttern und Heroen in den griechischen Mythen offenlegt, wobei er sich hauptsächlich auf die literarische Überlieferung und bildliche Quellen stützt. Eine umfassende Darstellung mit einer ausführlichen Analyse aller zur Verfügung stehenden Quellen vom archaischen Griechenland bis ins 19. Jahrhundert liefert Louis Crompton in "Homosexuality and Civilization" (2003). Relevant im Sinne des hier behandelten Themas sind vor allem die Kapitel 1 "Early Greece 776-480 BCE", 3 "Classical Greece 480-323 BCE" und 4 "Rome and Greece 323 BCE-138 CE". Wesentliche Einblicke in die moderne Forschungsdiskussion mit Beiträgen von Kenneth J. Dover, David Halperin, David Cohen, James Davidson u.a. liefern die Sammelbände von Mark Golden und Peter Toohey (Eds.) "Sex and Difference in Ancient Greece and Rome" (2003) und von Robin Osborne (Ed.) "Studies in Ancient Greek and Roman Society" (2004). Um eine Sammlung von Aufsätzen zu verschiedenen Einzelaspekten antiker Sexualität handelt es sich ebenso bei Martha C Nussbaums und Juha Sihvolas (Eds.) "The Sleep of Reason - Erotic Experience and Sexual Ethics in Ancient Greece and Rome" (2002), woran u.a. David M. Halperin und David Leitao mitgewirkt haben. Ein kurzer aber informativer Beitrag von Lutz Sauerteig über die antiken medizinischen Auffassungen zur Homosexualität findet sich in Karl-Heinz Levens (Hrsg.) "Antike Medizin - Ein Lexikon" (2005) unter dem Stichwort "Gleichgeschlechtliche Sexualität". Ein besonderes Hilfsmittel hat Thomas K. Hubbard (Ed.) mit "Homosexuality in Greece and Rome - A Sourcebook of Basic Documents" (2003) zur Verfügung gestellt. Dabei handelt es sich um englische Übersetzungen wichtiger Textquellen zur gleichgeschlechtlichen Liebe aus Griechenland und Rom.
 

 
Empfohlene Zitierweise:

Charalambakis, Ioannis: Homosexualität im antiken Griechenland, in: Aventinus. Die Historische Internetzeitschrift von Studenten für Studenten [Ausgabe 01 - Wintersemester 05/06],
www.aventinus.geschichte.uni-muenchen.de/index.php?ausg=1&id=10&subid=2
[Letzter Aufruf am xx.xx.xxxx]

 

Charalambakis, Ioannis

geboren am 8. Juni 1979 in Ebersberg
1998 Abitur an der Deutschen Schule Athen
seit WS 1999 Magisterstudiengang Politische Wissenschaft, Alte Geschichte und Recht für Sozialwissenschaftler an der LMU München
Thema der Abschlußarbeit: Der Einfluß von Verfassungs- gerichtsbarkeit auf die Gesetzgebung in Deutschland und in Frankreich.

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