Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 02 - Sommersemester 06)
 

Wallner, Mike

 
 

Die 'Zweite' Sizilische Expedition 415 - 413

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  In Abwesenheit des Alkibiades' wurde der Prozess über die Hermokopiden wieder aufgerollt und seine Schuld festgestellt, obwohl niemand etwas Genaues über die Täter wusste - "weder damals noch später"[42]. Deshalb wurde er aus Sizilien nach Athen zurückbeordert, um sich wegen der Vorwürfe zu verantworten. Hierin bestand ein zweiter großer Fehler in der Ausführung der Expedition, weil somit man das Unternehmen seiner Seele beraubt hatte.[43]
 Alkibiades entkam aber und setzte sich nach Sparta ab, da ihm bewusst war, dass er in Athen nicht einmal im Falle seiner Unschuld hätte freikommen können. Denn die Stimmung im Volk war nicht für ihn, sondern loyal gegenüber den Entscheidungen der Polisgemeinschaft, die sich nun gegen ihn gestellt hatte. Nach seiner Flucht wurde Alkibiades in absentia zum Tode verurteilt wurde.[44] So beraubte sich die blind wütende Menge ihres fähigsten Führers. "Chauvinismus, Misstrauen und Dummheit einten sich zu Orgien des Blutrauschs."[45] "So ist Alkibiades, der Heros der attischen Demokratie, zum Landesverräter geworden; die Befriedigung persönlicher Rachegefühle hat er höher gestellt als das Wohl und das Leben seiner Vaterstadt, die er in das größte Abenteuer seiner Geschichte gestürzt hatte."[46]
 In Sparta legte Alkibiades den Kriegsplan der Athener dar. Dieser bestand nach seiner Aussage darin, dass die Athener nach der Unterwerfung von Sizilien und Unteritalien auch Karthago erobern wollten, um so die Peloponnes zu okkupieren und "hernach sogar das ganze Hellenenvolk zu beherrschen"[47]. Hier bleibt offen, ob diese Pläne wirklich so konzipiert waren oder ob sich in dieser Rede nur die übersteigerten Ambitionen des Alkibiades' widerspiegeln. Denn ein offener Krieg gegen Sparta lag zu Beginn der Expedition 415 sicherlich nicht im Interesse Athens.[48]
 Sparta entsandte auf Anraten des Alkibiades' ein Heer unter der Führung des erfahrenen Offiziers Gylippos nach Syrakus, um dessen drohende Niederlage abzuwenden. Bis zum Eintreffen von Verstärkung aus Athen im Mai 414 konnte Nikias, der nun der dominierende Kommandeur war, nur wenig Erfolg erzielen.[49] Danach gelang es ihm, die strategisch wichtige Hochebene Epipolai vor Syrakus zu erobern und dieses vom Hinterland abzuschneiden, indem er Mauern zur Einschließung der belagerten Stadt errichten ließ.[50] Eine syrakusanische  Kapitulation konnte nur mehr durch die Nachricht vom nahen Eintreffen der spartanischer Unterstützung abgewendet werden.[51] Bevor aber die Athener die Stadt völlig abriegeln konnten, trafen die Lakedämonier unter Gylippos ein, konnten die Epipolai zurückerobern und durch Errichtung von Gegenmauern die Belagerung sprengen.[52] Das war der entscheidende Wendepunkt in der Belagerung von Syrakus. Die athenischen Truppen gerieten nun selbst in Bedrängnis. Sie waren nun vom Hinterland abgeschnitten und, nachdem sie die Landspitze Plemmyrion an der Zufahrt zum Großen Hafen verloren hatten, waren sie auch vom Nachschub aus Athen abgeschnitten. In Anbetracht der prekären Lage ersuchte Nikias die Heimatstadt, schellst möglich eine weitere Expedition ähnlichen Umfangs nach Sizilien zu schicken. Zur gleichen Zeit waren spartanische Truppen in Attika eingefallen, da Athen seinerseits den Nikiasfrieden gebrochen hatte. Die Lakedämonier befestigten die Burg Dekeleia nahe Athen und setzten der Stadt in der Folgezeit sehr zu. Athen war nun in die Bredouille geraten, einen Zwei-Fronten-Krieg führen zu müssen, wollte man Nikias nicht zurückbeordern. Trotz der eigenen Bedrängnis und Geldnot stellte Athen eine weitere Flotte von 73 Trieren unter dem Kommando des Demosthenes auf und sandte sie dem Nikias zu Hilfe, um dort die Belagerung aufrecht zu erhalten. Athen hatte sich so sehr in die Eroberung Siziliens verrannt, dass sie unter Entblößung der eigenen Stadt Truppen weit weg von der Heimat stationierten. Perikles hatte seiner Zeit zum Erhalt der Stadt gefordert, den Machtbereich in Kriegszeiten nicht auszuweiten.[53]
 Mit dieser Verstärkung im Sommer 413 konnten die Athener zwischenzeitlich das Blatt wenden, wurden aber bei einem nächtlichen Angriff zurückgeschlagen und mussten erkennen, dass der Kampf um die Stadt nun nicht mehr zu gewinnen war.[54] Im folgenden wurde die einst so stolze Flotte Attikas in der Enge des Hafenbeckens immer mehr aufgerieben, da sie ihre Schlagkraft dort nicht entfalten konnte. Nach langer Uneinigkeit unter den Strategen[55], deren Zögern der Truppe oftmals geschadet hatte, wurde ein Rückzugsbeschluss gefasst. Als just während des Aufbruchs eine Mondfinsternis auftrat, wurde der Abmarsch um einen weiteren Monat verschoben.[56] Die Verzögerung durch diesen Aberglaube hatte nun das Schicksal der Expedition endgültig besiegelt. Ein Ausbruchsversuch zur See scheiterte an der Hafenblockade durch die syrakusanische Flotte[57] und der Rückzugsversuch auf dem Landweg wurde zum Desaster. Die desillusionierten, ausgemergelten Truppen boten den Verfolgern unter Gylippos eine leichte Beute.[58] Athen musste kapitulieren, die Führer Nikias und Demosthenes wurden hingerichtet und die Soldaten, die noch am Leben geblieben waren, wurden unter menschenunwürdigen Bedingungen in den berüchtigten Steinbrüchen gefangengehalten, bevor man sie in die Sklaverei verkaufte.[59]
 

  Das Scheitern des athenischen Expeditionskorps ist die Peripetie des Peloponnesischen Krieges geworden und stellte somit den Wendepunkt in der gesamten Alten Welt dar. Der Verlust seiner Flotte bedeutete für Athen sowohl militärisch, als auch wirtschaftlich das Ende. Von diesem Schlag sollte es sich nie wieder erholen. Die Expedition war vom Ansatz her verfehlt gewesen. Alkibiades hatte Kriegsgefahr an die Wand gemalt, die in einem solchen Ausmaß keineswegs bestand.[60] Eine weitere Ursache für das Scheitern lag für Thukydides in der inkonsequenten Führung.  

Fussnote(n):
[42] THUKYDIDES: VI 60,2.
[43] BENGSTON: Griechische Geschichte, S. 235.
[44] THUKYDIDES: VI 61,7.
[45] SCHACHERMEYR, Fritz: Griechische Geschichte. Stuttgart 1960, S. 204.
[46] BENGSTON: Griechische Geschichte, S. 234.
[47] THUKYDIDES: VI 90,3.
[48] THUKYDIDES: VI 105,2.
[49] THUKYDIDES: VI 67-71.
[50] BENGSTON: Griechische Geschichte, S. 235.
[51] THUKYDIDES: VII 2,1.
[52] THUKYDIDES: VII 3-6.
[53] THUKYDIDES: II 65,7.
[54] THUKYDIDES: VII 43-46.
[55] THUKYDIDES: VII 47-49.
[56] BENGSTON: Griechische Geschichte, S. 236.
[57] THUKYDIDES: VII 69-71.
[58] THUKYDIDES: VII 72-81.
[59] THUKYDIDES: VII 82-87.
[60] WELWEI: Athen, S. 210.

 
Quelle Thukydides: Der Peloponnesische Krieg. Stuttgart 2000.
 

 
Literatur
  • BENGSTON, Hermann: Griechische Geschichte: Von den Anfängen bis in die römische Kaiserzeit. 2.Aufl. München 1960.
  • FUNKE, Peter: Athen in klassischer Zeit. München 1999.
  • OTTMANN, Henning: Philosophie und Politik bei Nietzsche. Berlin 1987.
  • SCHACHERMEYR, Fritz: Griechische Geschichte. Stuttgart 1960.
  • SCHADEWALDT, Wolfgang, Die Anfänge der Geschichtsschreibung bei den Griechen. Frankfurt am Main 1982.
  • WEILER, Ingomar (Hrsg.), Grundzüge der politischen Geschichte des Altertums. 2.Aufl. Wien 1995.
  • WELWEI, Karl-Wilhelm: Das klassische Athen. Darmstadt 1999.
  • WENTKER, Hermann: Sizilien und Athen. Heidelberg 1956.
 

 
Empfohlene Zitierweise:

Wallner, Mike: Die 'Zweite' Sizilische Expedition 415 - 413, in: Aventinus. Die Historische Internetzeitschrift von Studenten für Studenten [Ausgabe 02 - Sommersemester 06],
www.aventinus.geschichte.uni-muenchen.de/index.php?ausg=2&id=35&subid=28
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Wallner, Michael

18.12.1984
studiert Mag. NNG, SWG, PW seit SoSe 05

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