Die Gleichung "ideologischer Input = politischer Output" geht aber nur dann auf, wenn die politischen Strukturen von den Trägern der Ideologie vollständig durchdrungen sind. An dieser Stelle soll die Wiedergutmachungspolitik der DDR mit ihren zugrunde liegenden Strukturen und ihrem Inhalt in den Jahren 1952/53 betrachtet werden, als die staatstragende Partei SED mit ihrer II. Parteikonferenz einen beschleunigten "Aufbau des Sozialismus" nach sowjetischem Vorbild proklamiert hatte. [1] Inwieweit bedeuteten Veränderungen in den Machtkonstellationen zwischen den Akteuren in der Wiedergutmachungspolitik von Intention und Folgen her einen Schritt zu einer "typisch" sozialistischen Form der Wiedergutmachung? Waren strukturelle und inhaltliche Wandlungen in der Wiedergutmachungspolitik eher von ideologischen oder pragmatischen Motiven getragen? Zur Beantwortung dieser Leitfragen soll zuerst eine theoretische Konstruktion von Wiedergutmachung rein auf Basis der kommunistisch-sozialistischen Vorstellungswelt versucht werden. Anschließend sollen zwei konkrete Ereignisse von 1952/53 diskutiert werden: die Auflösung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und die sog. antizionistische Welle. Freilich gab es keine programmatisch vor- und ausformulierte kommunistische Ausprägung zur Wiedergutmachung, zumal mit einer inneren Wiedergutmachung (sprich: an die eigenen Landsleute gerichteten Wiedergutmachung) ohnehin Neuland betreten wurde. Man kann dennoch probieren, eine solche annähernd aus dem sozialistischen Welt- und Geschichtsbild abzuleiten. Zur Sichtweise der Vergangenheit: Die Verbrechen des NS-Regimes wurden nicht als Freveleien von individuellen Tätern gegenüber individuellen Opfern betrachtet. Vielmehr abstrahierte die marxistisch-leninistische Betrachtung der Historie als eine von objektiven Naturkräften beherrschte Weltgeschichte von der Schuld des Individuums hin zu einer Abhängigkeit des menschlichen Handelns vom ökonomisch-politischen System. So wurden die nationalsozialistischen Untaten dem System zugeschrieben, indem laut der sog. Dimitroff-Formel der Faschismus als Ausgeburt des Kapitalismus gedeutet wurde.[2] Die Ablösung des Kapitalismus durch den Sozialismus sei demzufolge schon an sich Wiedergutmachung und Absolution. Flankiert wurde diese Haltung in der DDR durch einen von linken Widerstandskämpfern getragenen Antifaschismus, der als "politische Religion der Schuld und Schuldbefreiung"[3] das konkrete Erinnern durch eine entdifferenzierte Bekenntnisideologie ersetzte.[4]
Die Gegenwartskomponente: Wiedergutmachung bestand vorwiegend aus zwei Grundpfeilern: der Entschädigung für erlittene körperliche und mentale Schädigungen und der Rückerstattung (Restitution) enteigneter Güter. Vor diesem Hintergrund sollten Wiedergutmachungskonzepte nicht mit den wirtschaftlich-gesellschaftlichen Grundprinzipien der sozialistischen Doktrin in Widerspruch treten. Beim Ziel sozioökonomischer Umgestaltung würde gewiss eine Restaurierung der alten Vermögensordnung durch Rückerstattung kontraproduktiv sein. Ein weiterer Punkt: Der Kommunismus will mit seiner Betonung der Gemeinschaft eine möglicherweise durch Wiedergutmachung hervorgerufene Opferidentität (v.a. in der jüdischen Frage!) jenseits der Zugehörigkeit zum sozialistischen Kollektiv unbedingt unterbinden.[5] Soweit die Überlegungen, was für eine mit der Ideologie kohärente Wiedergutmachungspolitik aus der Ideologie folgen müsste. Inwieweit diese sich mit der tatsächlichen Praxis in der DDR deckten, soll jetzt für den Zeitraum 1952/53 untersucht werden. Zur Geschichte der Wiedergutmachung in Ostdeutschland von 1945 bis 1952 ist grob zu sagen, dass es in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) bis 1948 auf regionaler Ebene durchaus soziale Privilegierung und Pläne zur Rückerstattung für Verfolgte des Nationalsozialismus gab.