Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Schmid, Matthias

 
 

Feindbild und Geschichtsbild. Zur Darstellung des Sultans Saladin in der lateinischen His-toriographie des Hochmittelalters

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3. Das Feindbild Saladin im hochmittelalterlichen Geschichtsbild

3.1 Fortuna: Abtrennung einer von Gott unbeeinflussten irdischen Sphäre

Das Motiv der Fortuna, der (antiken) Göttin des wechselhaften Schicksals [12], galt auch seit dem frühen Mittelalter in der christlichen Lehre als Bestimmungskraft des individuellen Loses der Menschen die äußeren Güter (Geld, Macht, Gesundheit) betreffend. Mit der Fortuna als Versinnbildlichung der Eitelkeit irdischer Dinge in einem rein zufälligen Werden-und-Vergehens-Zyklus war es allerdings auch möglich, die weltliche Geschichte als eine Sphäre abgetrennt von direkter göttlicher Steuerung zu sehen. Besonders, wenn es darum geht den Machtaufstieg Saladins innerhalb der muslimischen Welt zu deuten, aber auch um eine Erklärung für die großen finanziellen und militärischen Ressourcen des kurdischen Herrschers zu finden, bedient sich sowohl die Chronik des Wilhelm von Tyrus [13] als auch das Itinerarium [14] des fortuna-Motivs. Die Funktion dieser Einordnung des Feindes liegt neben der bloßen Erklärung der gegnerischen Erfolge gegen das christliche Kreuzfahrerheer in der Delegitimierung des Sultans Saladin. Dadurch, dass der aus niedriger Herkunft stammende Saladin seine Karriere in der muslimischen Welt nicht nur dem Zufall, sondern sogar (zumindest laut Wilhelm von Tyrus [15]) Morden an seinem Herren und dessen Nachkommen zu verdanken habe, soll auch eine Brandmarkung des zum Großwesir über Syrien und Ägypten Aufgestiegenen als tyrannus [16] gerechtfertigt erscheinen lassen. Im für das Mittelalter bedeutsamen augustinischen Denken galt der tyrannische Usurpator als jemand, der sich der Ursünde der superbia [17] schuldig mache und somit  aus eigener Überheblichkeit gegen die göttliche Ordnung aufbegehre. Dieser Ausgestaltung des Feindbildes in Verbindung mit einem Geschichtsbild, in welchem die irdischen Fragen von Macht u. Ä. der fortuna überlassen sind, mag die Absicht zugrunde liegen, das christliche Heer als Rächer für Saladins Sünde der Tyrannei und superbia (anstelle des nicht in irdische Angelegenheiten eingreifenden Gottes) zu stilisieren.
 

 

3.2 Providentia: Die Unergründlichkeit von Gottes Willen

Während die fortuna-Konzeption die weltliche Geschichte dem (hierarchisch zwar Gott untergeordneten, aber im Bereich der materiellen Dinge relativ eigenständigen) wechselhaften Schicksal zuordnet, stellt in den folgenden Konzeptionen der personale Gott eine Größe dar, die historische Abläufe lenkt und die in diese interveniert. Den Komplementärbegriff zur launischen fortuna bildet die providentia Dei (Vorsehung Gottes). Die providentia betont stärker, dass Geschehnisse, selbst wenn ihr Sinn dem Menschen verborgen bleibt [18], Ausdruck von Gottes Willen seien und einem Plan folgen, dessen volle Erkenntnis den menschlichen Wesen verschlossen sei. Diese Variante geschichtlich-theologischen Denkens kommt in Wilhelms Chronik zum Vorschein. Nach einem Sieg des Sarazenenführers Saladin gegen Balduin IV. von Jerusalem fällt folgender Ausspruch: „Denn der Herr, der im vergangenen Jahr seine Gläubigen in so unermesslichem Maße beschenkt hatte, ließ sie nun in ebenso große Schande und Verwirrung kommen. Wer kennt den Sinn des Herrn, oder wer war sein Ratgeber?“ [19]
 

 

3.3 Die Abkehr Gottes

Neben der mystischen Zuschreibung der Verantwortlichkeit für historische Verläufe an Gott, ohne jedoch wirklich ein für die Menschen erklärbares System für einen Zusammenhang von Tun und Ergehen zugrunde legen zu können, gibt es durchaus noch andere Möglichkeiten: Gott tritt dann quasi als Steuerungseinheit auf, die auf das Verhalten der Menschen negativ oder positiv reagiert. Die Stärke des Widersachers wird als Folge einer Entfremdung zwischen Gott und den Christen ausgelegt; die Sünden der Christen hätten eine vorübergehende Abkehr Gottes ausgelöst [20][.]
 

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