Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 01 - Wintersemester 05/06)
 

Spree, Reinhard

 
 

Vom Armenhaus zur Gesundheitsfabrik. Der Krankenhauspatient in Vergangenheit und Gegenwart [*]

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  Aber es waren ja nicht nur diese Teilgruppen der "labouring poor" im Krankheitsfall gar nicht oder zunehmend schlechter versorgt. Das galt noch stärker für die vom Land abwandernden, arbeitsuchenden Tagelöhner, Gewerbegehilfen, Eisenbahn- und Fabrikarbeiter. Angesichts der Massenhaftigkeit und Mobilität der Armut seit dem frühen 19. Jahrhundert waren die traditionellen Institutionen der Armenfürsorge völlig überfordert. Das gilt besonders für die mildtätigen Stiftungen in den Städten, mit Hilfe derer Hospitäler, Waisenhäuser etc. unterhalten worden waren, sowie für die Wohlfahrtseinrichtungen der Kirchen. Auch kommunale Armenanstalten und Arbeitshäuser erwiesen sich als hoffnungslos überlastet bzw. wirkungslos.  

  Obwohl man in zahlreichen deutschen Staaten schon seit den 1830er Jahren Varianten des Prinzips des Unterstützungswohnsitzes eingeführt hatte, z.B. in Baden (1838), in Sachsen (1834) und in Württemberg (1834),  wird hier im allgemeinen Preußen mit dem gesetzgeberischen Doppelschlag von 1842 als Vorreiter angesehen: Das "Gesetz über die Aufnahme neu anziehender Personen" begründete die Freizügigkeit, mit dem gleichzeitig erlassenen "Gesetz über die Verpflichtung zur Armenpflege" wurde der Unterstützungswohnsitz als Berechtigung zur Armenunterstützung definiert. Diese Gesetzgebung hatte zur Konsequenz, daß sich die Armenlasten, speziell der städtischen, gewerbereichen Gemeinden, stark erhöhten.  

  Dennoch wurden während des 19. Jahrhunderts Krankenhäuser zunehmend als besonders geeignete Einrichtungen aufgefaßt, um die Versorgungsprobleme zugewanderter, erkrankter Unterschichtenangehöriger zu lösen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts änderte sich die Aufgabenbestimmung der Krankenhäuser wenig. Zwar stieg ihre Zahl rasch an und wuchs ihre Bettenkapazität überproportional, zwar nahm insofern die Masse der versorgten Kranken rasant zu - doch blieben es bei weitem überwiegend Angehörige der "labouring poor".  

 

2. Demographische und soziale Merkmale der Patientenpopulation

 
  Wie setzte sich die Patientenpopulation der Krankenhäuser im 19. Jahrhundert zusammen? Es handelte sich fast ausschließlich um junge Menschen, meist zwischen 15 und 30 Jahren alt, ein beachtlicher Prozentsatz auch noch zwischen 30 und 40 Jahren. Ältere oder gar alte Menschen gab es in den Krankenhäusern bis ins frühe 20. Jahrhundert nur in ganz geringem Umfang, ebenso wenig Kinder und Jugendliche bis 14 Jahren, deren Aufnahme in den meisten Krankenhäusern durch die Statuten ausgeschlossen war. Schwerpunktmäßig handelte es sich bei den Patienten also um junge Erwachsene. Diese waren überwiegend (60% - 70%) männlichen Geschlechts, nur 30% bis 40% waren Frauen. Obwohl sich an einigen Orten die Geschlechteranteile einander annäherten, kann man doch behaupten, daß bis ins späte 19. Jahrhundert die Männer im Krankenhaus überrepräsentiert waren.  

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