Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Röhrer-Ertl, Friedrich Ulf

 
 

Zwei Wappenprogramme des Alten Hofes
oder: vom Feminismus des 15. zum Posthistorismus des 20. Jahrhunderts

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  Auf der Außenfassade des Turmes befindet sich in der linken Nische ein geviertelter Wappenschild. Die Felder 1 und 4 zeigen in üblicher Weise das Wappen des Herzogtums Bayern [36], die Felder 2 und 3 das Wappen der Pfalzgrafen bei Rhein. [37] Über den Schild ist in naïver Verkleinerung ein Spangenhelm mit geweckter Helmdecke gelegt. Als Helmzierde fungiert abermals ein geweckter Flug, dazwischen sitzend der Pfälzer Löwe. Alles in allem ist hier also das Wappen abgebildet, wie es die Herzöge von Bayern bis zur Erhebung Maximilian I. zum Kurfürsten führen sollten. [38]
Die rechte Nische zeigt dagegen, wie an einen überstilisierten Stammbaum angehängt, drei Wappen in der Verteilung 1:2. Sie stehen für Mailand, [39] Braunschweig [40] und Görz [41]. Während das linke, bayerische Wappen für sich keinem Herrscher zugeteilt werden kann, kann die Identifikation der Personen, auf die sie sich beziehen soll nur über die drei Wappen rechts erfolgen, bei denen es sich zwangsläufig um Wappen von Ehefrauen Wittelsbacher Herrscher handeln muß. Geht man hier analog zur Erkerbemalung vor, von der die Wappen der rechten Nische bis hin zu den Fehlern im Görzer Wappen offenbar abgemalt worden sind, so handelt es sich bei den dargestellten Personen um
 

 
  
 

  Warum der unbekannte Maler die Wappenbilder der Erkerfelder 11-13 auf die Fassade des Turmes übertrug, kann nur spekuliert werden. Mit der Baugeschichte des Turmes ist jedenfalls keine der genannten Personen in Zusammenhang zu bringen und auch andere Mitglieder des Hauses Wittelsbach, die mit Frauen der Häuser Visconti, Braunschweig oder Görz verheiratet waren stehen nicht unbedingt in besonderer Beziehung zum Alten Hof. Am Wahrscheinlichsten scheint, gerade auch weil auffälligerweise Wappenbilder von drei nebeneinander liegenden Erkerfeldern genommen wurden, die Hypothese, daß man sich ohne größere Überlegung drei dekorative Wappen wählte, die zum einen garantiert zur wittelsbachischen Geschichte gehören, zum anderen die weitgespannten Beziehungen des Geschlechts anzeigen sollten. Ein direkter Bezug zum Bauwerk ist damit folglich nicht gegeben.  

  Auf der Hofseite befindet sich in der linken Nische das Königswappen Kaiser Ludwig IV., des Bayern. [42] Die rechte Nische zeigt abermals vor dem Hintergrund eines stilisierten (Stamm)baumes drei Wappenschilde im Verhältnis 1:2, nämlich die Wappen von Holland, [43] Brabant [44] und Böhmen. [45]
Möchte man bei diesen drei Wappen zuerst denken, daß es sich um die Wappen der Frauen Kaiser Ludwig IV. handele, so bringt einen schon weniges Nachdenken in eine Zwickmühle. Z.B. könnte man sich fragen, warum da drei Wappen sind, wo der Wittelsbacher bekanntlich nur zweimal verheiratet war. Oder sollte es sich bei allen drei Schilden um ein unglücklich auseinandergesägtes Allianzwappen (d.i. ein aus mehreren Wappenbildern zusammengesetztes Wappen) einer dieser beiden Damen handeln? Die erste Frau Ludwigs, Beatrix von Schlesien-Glogau fällt dabei sofort weg, ist das schlesische Wappen weder ein zusammengesetztes, noch ein Löwenwappen (es war, ohne hier auf Diskussionen eingehen zu wollen, ein Adlerwappen). Besser sieht es da mit der zweiten Frau Margarete von Holland aus. Deren Wappen ist tatsächlich aus den Wappenbildern Hollands und Brabants zusammengesetzt. [46] Kann man diese Wappen also mit den zwei ersten Wappen in der Blendnische verbinden (freilich sind sie dort in der falschen Reihenfolge, das zweite Wappen müßte in diesem Fall ordentlicherweise an erster Stelle kommen), so bliebe immer noch das dritte Wappen übrig. Bekanntlich hat es nur ein Wittelsbacher geschafft, König von Böhmen zu werden. [47] Seit der Zeit Ludwig IV. gab es freilich höchstens eine ferne Sehnsucht nach dem böhmischen Thron, der fest in der Hand der Luxemburger war; konkrete Pläne, Böhmen gegen die Pfalz einzutauschen, erstickten schon im Keim [48]. Hochzeiten zwischen seiner Familie und Mitgliedern des Hauses Wittelsbach fanden in dieser Zeit weitgehender Feindschaft nur in der Doppelhochzeit von Prag 1366 statt, eine damit rein theoretisch erworbene Anwartschaft auf Böhmen erfüllte sich indes nicht, war wohl auch nicht primär die Intention dieser Verbindungen. Das Wappenbild ergibt also im Zusammenhang keinen Sinn.
Eine Lösung findet sich nur, indem man dem Entwerfer der Wappenbilder oder dem ausführenden Maler einmal mehr grobe Unachtsamkeit vorwirft. Denn vertauscht man gedanklich die Farben und macht aus dem silbernen Löwen auf rotem Grund einen roten Löwen auf silbernen Grund, so erkennt man endlich doch einen Sinn. [49] Das Wappen eines gekrönten roten Löwens mit Doppelschweif auf Silber entspricht nämlich dem Wappen des historischen Herzogtums Limburg, womit man zumindest schon einmal in der Nähe des wittelsbachischen Erbes in den Niederlanden wäre. Bei der Nähe bleibt es allerdings, denn Limburg war nicht Teil des Erbes Margaretes von Holland und geriet überdies ab 1355 in die Hände der Luxemburger. Der rote Löwe war dementsprechend auch nie Teil ihres Wappens. [50]
Anders als bei den Wappen der Straßenseite sind diese Wappen in ihrer Ausführung nicht dem Programm des Erkers entnommen. So bleibt hier nur zu konstatieren, daß auf der Hofseite des Turmes zwar wissentlich versucht wurde, die Wappen Ludwig IV. und seiner zweiten Gemahlin Margarete von Holland darzustellen, doch daß man dabei dem Mann seinen Kaiser nahm [51] und der Frau dafür ein Herzogtum dazuaddierte. [52] Liberalitas bavariae.
 

Fussnote(n):
[36] In Silber (Weiß) vor Blau geweckt (schräggerautet). Dazu Volkert (1980), S. 14.
[37] In Schwarz ein goldener, rot bezungter, bewehrter und gekrönter Löwe. Vgl. Volkert (1980), SS. 14f.
[38] Damals wurde ein roter Herzschild mit einem goldenen Reichsapfel – als Zeichen der widerrechtlich angeeigneten Kurwürde – hinzugefügt. Vgl. Volkert (1980), SS. 18ff.
[39] In Silber (Weiß) eine blaue Schlange, die einen roten Menschen verschlingt.
[40] In rot zwei schreitende goldene, blau bezungte und bewehrte Löwen. Die Hinwendung der Löwen nach hinten (heraldisch links) erfolgt im vorliegenden Fall aus Sympathie; als einzeln gestelltes Wappen würden die Löwen in die andere Richtung laufen.
[41] Schräggeteilt, vorne dreifach – eigentlich: fünffach – silbern (weiß) vor rot schräglinksgeteilt, hinten in Blau ein goldener – eigentlich gekrönter – Löwe. Zum Wappen von Görz siehe auch Gall (1977), S. 130.
[42] Auf goldenen (gelben) Grund ein schwarzer, nach vorne (heraldisch rechts) blickender einköpfiger Adler, auf der Brust ein von silber (weiß) vor blau gewecktes bzw. schräggerauteter Wappenschild. Zur Problematik des einköpfigen Adlers als Königsadler siehe Neubecker (1990), SS. 125f.., sowie Seyler (1890), SS. 281ff. Eine hinreichende Darstellung der Entwicklung der Reichssymbolik, wie sie etwa bei Gall (1977), S. 41 gefordert wird, steht bis heute aus.
[43] Auf Gold (gelb) ein roter, nach vorne (heraldisch rechts) blickender, blau bezungter und bewehrter Löwen. Burmeister (1999), Fußnote 91, deutet es als das Wappen von Habsburg. Zum Wappen von Holland Gall (1977), SS. 156f.
[44] Auf schwarzen Grund ein goldener, nach hinten (heraldisch links) blickender, rot bezungter und bewehrter Löwe; die Wendung des Löwens erfolgt hier aus Sympathie, für sich würde er wie die anderen Wappenbilder des Feldes nach vorne (heraldisch rechts) blicken. Burmeister (1999), Fußnote 91, deutet dieses Wappen als das Wappen der „Grafschaft Pfalz“. Zum Wappen von Brabant Gall (1977), S. 152.
[45] Auf rotem Grund ein silberner (weißer), nach vorne (heraldisch rechts) blickender, rot bezungter und bewehrter, mit einer goldenen (gelben) Krone geschmückter Löwe mit Doppelschweif. Burmeister (1999), Fußnote 91 deutet dieses Wappen ebenfalls als das böhmische, ohne es zu hinterfragen. Zum böhmischen Wappen Gall (1977), SS. 174f.
[46] Es zeigt geviertelt in den Feldern 1 und 4 auf Gold einen schwarzen, rot bezungten und bewehrten Löwen, in den Feldern 2 und 3, ebenfalls auf Gold, einen roten, blau bezungten und bewehrten Löwen. Dasselbe Wappenbild findet sich bis heute als Wappen der belgischen Provinz Hennegau. Vgl. Volkert (1980), S. 15.
[47] Nämlich Kurfürst Friedrich von der Pfalz, der als Winterkönig 1618/1619 bekanntlich eine wenig schmeichelhafte Figur abgeben sollte.
[48] Zu Ludwig IV. und Böhmen siehe Holzfurtner (2005), S. 72.
[49] Wobei sich Verf. durchaus bewußt ist, daß solche Gedankenspiele nur mit besonderer Begründung erlaubt sein sollten. Diese findet sich in diesem Falle bei jenem Feld 08 des Erkers, wo der Restaurator – den man wohl als identisch mit dem Maler der Turmwappen annehmen darf – ebenfalls die Farben Silber und Rot vertauschte und aus der Mark Brandenburg das Königreich Polen machte, s. o.
[50] Lediglich Max Emanuel sollte als Statthalter in den Niederlanden u. a. den Limburger Löwen in seinem Wappenschild führen, s. Volkert (1980), S. 15.
[51] Was sich aber dadurch begründen ließe, daß er doch schon als König in München gerne weilte. Nur dann hätte man auch den Adler ganz weglassen können, denn auch als Herzog hielt er sich in München auf.
[52] Und, weil es doch im Grunde genommen eh' schon egal ist, die Reihenfolge von Holland und Hennegau vertauschte.

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