Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 01 - Wintersemester 05/06)
 

Spree, Reinhard

 
 

Vom Armenhaus zur Gesundheitsfabrik. Der Krankenhauspatient in Vergangenheit und Gegenwart [*]

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3. Patientenerfahrungen und -erwartungen

 
  Damit komme ich zum letzten Teilthema meines Vortrags. Es stellt sich die Frage, welche Erwartungen die Patienten (zu den verschiedenen Zeitpunkten) an das Krankenhaus hatten und welche Erfahrungen sie machten? Welche Probleme und Unzufriedenheiten wurden artikuliert? Und hat sich da im Laufe der letzten beiden Jahrhunderte etwas geändert? Große Fragen, auf die ich natürlich nur andeutungsweise antworten kann. Gezielte Untersuchungen dazu sind ja selbst heute noch sehr selten. Für die ältere Zeit gibt es sie praktisch überhaupt nicht. Allerdings kann man einiges aus den bereits dargestellten Umständen und Bedingungen von Krankenhausaufenthalten zu verschiedenen Zeitpunkten folgern. Daß Menschen seit dem frühen 19. Jahrhundert im Krankenhaus vor allem Heilung suchten, darf als sicher gelten. Doch ist gerade dies Motiv während des 19. Jahrhunderts nicht immer dominant gewesen. So haben die detaillierten Untersuchungen zu den Patienten des Würzburger Juliusspitals im frühen 19. Jahrhundert (1819-1829) ergeben, daß ein erstaunlich großer Prozentsatz der ja - wie erwähnt - durchschnittlich sehr jungen Patienten wegen relativ unbedeutender Anlässe (z. B. Hautkrankheiten, Prellungen, Nesselsucht, Schwindelanfälle, Regel-Schmerzen, Nervenschwäche), und dann oft auch nur kurz, das Krankenhaus aufsuchte. Natürlich setzte dies Verhalten die Existenz einer Institution, hier einer Krankenhausversicherung, voraus, die einen leichten Zugang zum Krankenhaus und die Finanzierung der Behandlung garantierte. Johanna Bleker kommt im Hinblick auf die sich gerade bei Dienstbotinnen häufenden Bagatellkrankheiten zu dem Schluß, "daß die jungen Frauen in besonders hohem Maße körperlicher Überforderung und sozialem Stress ausgesetzt waren. Vieles spricht dafür, daß mit der Aussicht auf Ruhe, Beköstigung und Pflege im Hospital den Patientinnen ein Weg eröffnet wurde, diese Überlastung in Krankheit umzudeuten." (Bleker, Kranke u. Krankheiten, S. 170) Auch der bei den Handwerksgesellen dominierende Grund für einen Krankenhausaufenthalt, die Krätze, ist ja weniger eine Krankheit, die eine stationäre Behandlung notwendig machte, als vielmehr der Anlaß, den extrem unhygienischen Lebens- und Wohnbedingungen für kurze Zeit zu entfliehen und bei dieser Gelegenheit die Krätzmilbe loszuwerden. Darüber hinaus spricht die starke Erhöhung der Krankenhausfrequenz in den Wintermonaten dafür, daß das Krankenhaus oft auch als Ort gesucht wurde, um bei saisonbedingter Arbeitslosigkeit der Kälte und dem Hunger zu entfliehen.  

  Zweifellos finden sich derartige Wünsche und Erwartungen an einen Krankenhausaufenthalt heute kaum noch. Doch gebe ich zu bedenken, daß sich gerade bei den im Krankenhaus der Gegenwart so zahlreichen alten Menschen ähnliche Probleme stellen, wenn diese eigentlich entlassen werden können, zu Hause jedoch keine Angehörigen und keine adäquate Versorgung auf sie warten. Nicht umsonst hat deshalb die so genannte Fehlbelegung von Betten in Akutkrankenhäusern mit pflegebedürftigen älteren Menschen den "Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen" in seinen Gutachten 1987 und 1988 sehr beschäftigt. Erst in den 1990er Jahren scheint sich dies Problem etwas entschärft zu haben, wird aber immer noch heftig diskutiert.  

 

Über die Problemerfahrungen von Krankenhauspatienten aus dem 19. Jahrhundert sind wir durch vereinzelte Aufzeichnungen in Briefen oder Autobiographien sporadisch informiert. Die häufigsten Beschwerden betreffen demnach:

  • die grobe und oft unsachgemäße Behandlung durch pflichtvergessene, trunksüchtige und bestechliche Wärter
  • die mangelnden Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Pflegepersonal, weil dies oft ungenügend ausgebildet und vor allem meist überlastet ist
  • die mangelnde Information über die Diagnosen und die Therapie durch die unnahbar wirkenden Ärzte
  • die strenge Organisation des Alltags, dem der Patient hilflos ausgeliefert ist
  • die Einsamkeitsgefühle aufgrund der Isolierung von der gewohnten sozialen Umgebung.
 

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