Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 02 - Sommersemester 06)
 

Charalambakis, Ioannis

 
 

Die "Erste" Sizilische Expedition 427 - 424

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III. Die Unternehmung im Spiegel der modernen Interpretationen

 
  Die meisten modernen Autoren nehmen direkten Bezug auf die Schilderung des Thukydides und erkennen dessen Argumente an. Außerdem liefern sie teilweise einige neue Gründe, welche die Athener möglicherweise zu dieser Expedition veranlaßt haben. So argumentiert Bleicken, daß Athens wichtigstes außenpolitisches Ziel die Ausübung von Herrschaft und damit der Erhalt von Macht gewesen sei.[24] Er belegt dies auch mit einer ganzen Reihe von Quellennachweisen über die Verhaltensweise der Polis gegenüber anderen.[25] Da sich seine Ausführungen allerdings auf die Sizilische Expedition von 415 beziehen, sollen sie zu einem späteren Zeitpunkt genauer dargelegt werden. Festzuhalten bleibt allerdings, daß der Auftrag eine Eroberung der Insel ins Auge zu fassen mit einer derartigen Einstellung korrelieren würde. Eine ähnliche Einschätzung wird auch von Finley vorgebracht, der davon ausgeht, daß die athenische Politik im Grunde imperialistischer Natur war und somit zwangsläufig zu Auseinandersetzungen mit anderen Gemeinwesen führen mußte.[26] Welwei geht ebenfalls davon aus, daß es sich um eine gezielte Aktion gehandelt habe, die den Einfluß Athens auf Sizilien dauerhaft sichern sollte. Er erinnert an die Bemühungen, die im Westen schon in den 50er Jahren in Form von Bündnissen unternommen wurden. Die Ziele der Unternehmung seien demnach dreierlei gewesen. Erstens, wie schon erwähnt, die Sicherung des eigenen Einflusses, zweitens die Kontrolle der Handelsrouten insbesondere der Kornlieferungen auf die Peloponnes und drittens die Schaffung einer besseren politisch-strategischen Ausgangsposition gegenüber Sparta.[27] Sicherlich ist die Wahrung des Einflusses eines der Motive für die Expedition gewesen und darin lag auch der Grund weshalb Athen das Hilfegesuch aus Leontinoi nicht ablehnen konnte, da man sonst die bereits aufgebauten Verbindungen zerstört hätte. An anderer Stelle wurde bereits besprochen warum die Kontrolle der Handelsrouten der athenischen Strategie entsprach, ein Ziel, welches von Thukydides explizit erwähnt wird. Die Schaffung einer besseren Ausgangslage gegenüber Sparta wäre allerdings nur durch eine Eroberung der Insel oder zumindest durch eine Zerstörung von Syrakus möglich gewesen, und es muß nach wie vor bezweifelt werden ob dies überhaupt in den Rahmen der Unternehmung passen konnte. Das Problem resultierte im wesentlichen aus der Stärke der syrakusanischen Flotte, die zum einen gegen die Verbündeten im Ionischen Meer eingesetzt werden konnte und zum anderen bei einer Vereinigung mit Sparta auch eine Gefahr für Athen selbst darstellen würde. Die Stadt hätte durch die Landstreitkräfte Spartas und die Schiffe Syrakus" regelrecht eingeschnürt werden können.
 In diese Richtung argumentiert auch Westlake, der einerseits wie Welwei davon ausgeht, daß eine Ablehnung des Hilfegesuchs aufgrund der Lage in Griechenland nicht möglich gewesen war.[28] Andererseits sieht er den Hauptgrund für die Intervention in der Angst Athens vor einer Unterstützung Syrakus' für Sparta, die aus den eben genannten Gründen verheerende Folgen haben könnte. Bisher wurden die Streitkräfte von den Verbündeten auf der Insel beschäftigt, doch falls sie diese Auseinandersetzung verloren hätten, wären zumindest die Flottenverbände zur freien Verfügung gestanden. In diesen Zusammenhang gehört auch die Überlegung, daß die Generäle trotz Überlegenheit zur See bewußt keinen direkten Angriff gegen Syrakus lancierten, da sie ihre Aufgabe lediglich in der Unterstützung der antidorischen Gruppierung um Leontinoi sahen.[29] Diese Vermutung ist nicht von der Hand zu weisen, besonders wenn man bedenkt, daß die Athener zunächst nur 20 Schiffe zur Verfügung stellten und die Verstärkung vor ihrer Ankunft noch andere Aufgaben zu erledigen hatte. So betrachtet hat es den Anschein als ob Athen tatsächlich nur an einer Eindämmung der syrakusanischen Expansionsversuche interessiert gewesen wäre. Kagan beurteilt die Situation genau wie Welwei, er nennt sogar die drei gleichen Beweggründe für die Expedition. Erstens das Hilfegesuch Leontinois, zweitens die Gefahr durch ein starkes Syrakus und drittens die Aufgabe der Verbündeten die Streitkräfte auf der Insel zu halten.[30] Außerdem geht er noch auf die Vorgänge in Athen selbst ein und behauptet, daß die Expedition sowohl von Kleon, dem Anführer der Kriegspartei, als auch von Nikias, dem Anführer der Gemäßigten unterstützt wurde. Allerdings unterschieden sich die beiden in ihrer Zielsetzung, denn während Kleon eine Eroberung und dadurch die Beschaffung von finanziellen Mitteln erhoffte, dachte Nikias, der im Sinne Perikles zu handeln pflegte, sicherlich nicht an eine Invasion.[31] Meiggs unterstreicht diese Aussage indem er die Schilderung des Thukydides heranzieht und behauptet, daß die beiden unterschiedlichen Ziele, Verhinderung von Kornlieferungen einerseits und Eroberung der Insel andererseits, die wechselhafte Politik Athens widerspiegelten, die aus den Gegensätzen zwischen Kleon und Nikias resultierte. Vermutlich setzte sich bei der Bestrafung der Generäle Kleon durch, der nach dem Sieg bei Pylos großen Einfluß gewonnen hatte und seine persönlichen Kriegsziele durch die drei Strategen verraten sah.[32] Diese Erklärung erscheint durchaus plausibel doch leider verfügen wir über keinerlei antike Quellen über die Vorgänge in der entscheidenden Volksversammlung, so daß man sich letzten Endes mit Spekulationen begnügen muß.
 Bei einer Gesamtbetrachtung der vorliegenden Darstellungen moderner Autoren läßt sich eine grobe Unterscheidung in zwei Gruppen vornehmen. Zum einen diejenigen, welche davon ausgehen, daß Athen von Anfang an eine aggressive, auf Eroberung ausgelegte, Politik betrieben habe, zum anderen die Vertreter der gemäßigten Linie, die das Hauptmotiv in der Eindämmung der Macht Syrakus' sehen. Beide Seiten können sich auf die Ausführungen antiker Historiker berufen, wenngleich die Äußerung Thukydides', man solle lediglich erkunden ob eine Eroberung möglich sei, auf einen Mittelkurs Athens hinweist, der in erster Linie defensiv ausgerichtet war und nur die Möglichkeit offensiver Maßnahmen in Erwägung zog. Besonders wichtig ist die Arbeit der modernen Autoren, weil sie als einen der Beweggründe die Angst Athens vor Syrakus herausgearbeitet haben, eine Tatsache die von Thukydides und Diodor verschwiegen wird. Eine endgültige Beurteilung der Expeditionsziele soll erst im letzten Kapitel dieser Arbeit erfolgen.
 

Fussnote(n):
[24] vgl. Bleicken, Jochen. Die athenische Demokratie. Paderborn u.a. 1995, 382 f.
[25] vgl. Bleicken: 638.
[26] vgl. Finley, Moses I.: Demokratie, Konsens und nationales Interesse. In: Ders.: Antike und moderne Demokratie. Stuttgart 1980, 48.
[27] vgl. Welwei, Karl-Wilhelm: Das Problem des "Präventivkrieges" im politischen Denken des Perikles und des Alkibiades. In: Gymnasium 79 (1972), 297.
[28] vgl. Westlake, 388.
[29] vgl. Westlake, 396 ff.
[30] vgl. Kagan, Donald: The Archidamian War. London u.a. 1974, 183.
[31] vgl. Kagan: The Archidamian War, 183 ff.
[32] vgl. Meiggs, Russell: The Athenian Empire. Oxford 1972, 321.

 
Empfohlene Zitierweise:

Charalambakis, Ioannis: Die "Erste" Sizilische Expedition 427 - 424, in: Aventinus. Die Historische Internetzeitschrift von Studenten für Studenten [Ausgabe 02 - Sommersemester 06],
www.aventinus.geschichte.uni-muenchen.de/index.php?ausg=2&id=31&subid=28
[Letzter Aufruf am xx.xx.xxxx]

 

Charalambakis, Ioannis

geboren am 8. Juni 1979 in Ebersberg
1998 Abitur an der Deutschen Schule Athen
seit WS 1999 Magisterstudiengang Politische Wissenschaft, Alte Geschichte und Recht für Sozialwissenschaftler an der LMU München
Thema der Abschlußarbeit: Der Einfluß von Verfassungs- gerichtsbarkeit auf die Gesetzgebung in Deutschland und in Frankreich.

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