Verdauungsqualitäten
waren auch hinsichtlich der Information aus Amerika gefordert: Die Sekretäre
des Indienrats hatten „lo importante y substancial“ aus den eingehenden
Schriften in Berichten zusammenzufassen, um daraus wiederum ein noch knapperes
Registerbuch zu erstellen. Für die Geschäfte (negocios) brauche man, so
das Argument, Kürze (brevedad). [17]
Um aber vernünftige Entscheidungen treffen zu können, muß man zunächst über
vollständige Kenntnis (entera noticia)
verfügen – ein Topos, der bereits unter Karl V. auftauchte und unter Philipp
II., insbesondere durch die Reformen Juan de Ovandos, in ein systematisches
Programm des Informiertseins überführt wurde. [18] Dieser Gedanke gipfelte in
der Versendung von Fragebögen an amerikanische Amtsträger, um einen im
Indienrat angesiedelten obersten Chronisten und Kosmographen systematisch mit
Informationen zu versehen. Er setzt sich im 17. Jahrhundert in dem Projekt eines
niederen Beamten des Indienrats fort: Juan Díez de la Calle nahm sich
unaufgefordert vor, das gesamte Herrschaftswissen über die amerikanischen
Territorien in einem einzigen Buch zusammenzufassen und dieses dem König zu
widmen. Er orientierte sich dabei an dem später auch Leibniz faszinierenden und
bei Sueton und Tacitus genannten Breviarium
totius imperii, in dem Kaiser Augustus alle herrschaftsrelevanten Daten
seines Reiches verzeichnet haben soll, sowie an der Notitia dignitatum, einer spätantiken Ämterliste, die man als eine
Art Blaupause des römischen Staatswesens mißverstand und seit der Mitte des 16.
Jahrhunderts kommentarreich edierte. [19] Hintergrund solcher Projekte war das
Ideal eines vollständigen Überblickes, einer Art Herrschaft durch die
synoptische Verfügbarmachung von Empirie. Entsprechende Praktiken finden sich
interessanterweise sowohl im Bereich der Lehre, der eigentlichen Wissenschaften
wie auch dem der politisch-administrativen Prozesse. Im Unterrichtsgebrauch
läßt sich das Aufhängen von Tafeln an den Wänden der Lehrräume schon im 15.
Jahrhundert nachweisen, für die Wissenschaft kann man auf Bemerkungen von
Erasmus v. Rotterdam, Francis Bacon, Gottfried Wilhelm Leibniz oder auch in
d’Alemberts Discours préliminaire verweisen, der die enzyklopädische
Verdichtung des Wissens mit der Schaffung eines erhöhten
Betrachtungsstandpunkts legitimierte: „à placer, pour ainsi dire, le philosophe
au-dessus de ce vaste labyrinthe dans un point de vue fort élevé d’où il puisse
apercevoir à la fois les sciences et les arts principaux; voir d’un coup d’œil
les objets de ses spéculations, […].“ [20] Für die Administration lassen sich
wiederum z.B. Vorschriften aufzeigen, die 1567 die Anbringung von
Übersichtstafeln über laufende Gerichtsverfahren in den Amtsräumen vorsahen,
aber auch etwa auf den Erfahrungsbericht eines Indienratsbeamten, der 1679 nach
über 30 Jahren Dienst ein handschriftliches Register der consultas anfertigte
und dazu bemerkte, man brauche zur Orientierung in der Unmenge der Papiere eine
große Registertafel, auf der alles wie auf einer knappen Landkarte vor Augen
steht – „como en un breve Mapa delante de
los ojos“. [21] Ein ähnliches Wandregister, alle Amtsträger des Indienrates
auflistend, hatte sein vor allem durch eine Gesetzeskodifikation bekannt
gewordener Kollege Antonio de León Pinelo bereits drucken lassen. Es bestand
aus vier Bögen mit unbedruckten Rückseiten und war explizit zum Aufhängen an
der Wand der Amtsräume vorgesehen. [22] Entscheidender als die Metaphorik der
Staatsmaschinerie, in der die königlichen Räte als ‚Sehnerven’ (nervios
ópticos) beschrieben werden, durch die der König wahrnimmt, erscheinen denn
auch diese medialen Formate, auf deren Basis synoptische Wahrnehmungen
überhaupt erst ermöglicht wurden. [23]