Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Kröss, Katja

 
 

Anleitungen zum Frieden
Religion und Politik im Leviathan. Ein Rekonstruktionsversuch

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Kirche und Souverän

Hobbes’ Auffassung wurde zu seiner Zeit bekanntermaßen nicht von der Kirche geteilt, die durch den Anspruch, Vertretung Gottes auf Erden zu sein, etliche Macht für sich einforderte. Sein Anliegen ist es deshalb, die Ansprüche der Kirche als falsch zurückzuweisen. Grundlage dafür ist wiederum die Bibel.

Sein schlagkräftigstes Argument kommt auch hier von der Dreiweltenlehre, die jeglichen Autoritätsanspruch der Ekklesie untergräbt: Da das Reich Gottes nicht von dieser Welt sei, können dessen Diener, außer sie sind Souveräne, keinen Gehorsam einfordern. So wie die Souveräne in der Nachfolge Abrahams und Moses’ stehen, leiten die Priester außerdem ihre Bestimmung und Kompetenzen von den Aposteln ab (Lev. XLII, 379-380) [24]. Diese aber bestehen erstens in der Evangelisation, das heißt in der Verkündigung Christi und dem Vorbereiten auf sein zweites Kommen, und zweitens in der Aufgabe, die Menschen durch Überzeugung – Hobbes (Lev. XLII, 379) verweist ausdrücklich auf die in der Bibel dafür verwendeten Metaphern wie Fischfang, Sauerteig, Säen von Samen und Vermehren eines Senfkornes – zum Glauben und Vertrauen in Christi zu führen. Glauben nämlich, so läßt er an dieser Stelle (Lev. XLII, 380) überraschend [25] einfließen, „steht […] weder in Beziehung zu Zwang oder Befehl, noch hängt er davon ab, sondern nur von der Gewißheit oder Wahrscheinlichkeit vernunftgemäßer Argumente, oder von irgend etwas, woran Menschen bereits glauben“, und kann demnach – wenn denn vom Souverän erlaubt – nur mittels Erziehung und Ratschlägen an die Menschen herangeführt werden. Auch ein Papst, den Hobbes (Lev. XLII, 392, 437-439) auf die Rolle eines Kirchenfürsten im Vatikan begrenzt sehen will und der ansonsten ein „Ausländer“ (Lev. XLII, 413) in fremdem Staatsgebiet sei [26], dürfe nur auf Autorisierung durch den jeweiligen Souverän außerhalb des Vatikans seine Lehren verbreiten respektive verbreiten lassen (Lev.  XLII, 413).
 

  Da die Mission der Kirche, wie Christus sie vor seinem Tod initiiert hat, demnach eindeutig nichtgouvernmental sei, könne sie nur dann Autorität für sich beanspruchen, wenn sie in der Person des Souveräns vereint sei (Lev. XXXIII, 299; XXXIX, 357 f.). Mit dieser „politischen“ Definition werden – für die gegenwärtige Welt – einerseits die Antithesen von spirituell und temporal, Kirche und Staat, Christ und Untertan obsolet, andererseits aber auch die Kirche, wie Hobbes’ Zeit sie kennt, eindeutig dem Souverän untergeordnet: Während dieser allein so iure divino herrsche, seien die Priester nur aufgrund der Autorität desselben, das heißt iure civili, in ihrem Amt (Lev. XLII, 414; 418). Wenn ein Papst deshalb die Suprematie (der Kirche) gegen die Souveränität (des Staates) ausspiele, schaffe er „unsichtbar ein anderes Königreich im Dunkeln“ (Lev. XXVIII, 250), das unberechtigterweise neben dem legitimen existiere und letzteres zu unterminieren versuche. Vor allem im vierten Teil des Leviathan führt Hobbes einen regelrechten Feldzug gegen diese Machenschaften der (vor allem katholischen) Kirche, die mittels Mißbrauch der Bibel [27], Erweckung von Geisterglauben und Vermischung antiker Religion und Philosophie mit Inhalten der Bibel sowie falschen beziehungsweise ungesicherten Überlieferungen (Lev. XLIV, 464) die durch ihre natürliche Schwäche Ängsten ausgesetzten Menschen auch politisch beeinflussen will. Hobbes’ Kritik gilt in diesem letzten Teil somit weniger den kirchlichen Glaubensgrundsätzen als vielmehr den im religiösen Mantel versteckten politischen Tätigkeiten [28]. Dem katholischen Universalismus wird hier ein religiös-politischer Partikularismus entgegengehalten [29][.]  

 

Lösung 2: „Minimal-Christentum“ [30]

Hobbes begnügt sich in seinem Leviathan jedoch nicht damit, die zu seiner Zeit bestehende hierarchische Ordnung, die die Unterordnung des weltlichen Souveräns unter die kirchliche Suprematie vorsieht, auf den Kopf zu stellen und den Souverän als alleinige Interpretationsinstanz in allen religiösen Angelegenheiten zu benennen, sondern greift auch den seiner Meinung nach unnötig aufgebauschten und staatsgefährdenden christlichen Inhalt an. Diesen reduziert er auf den einen wesentlichen Glaubensartikel, das unum necessarium „Jesus ist der Christus“(Lev. XLIII, 450) [31]. Wer daran glaubt, müsse, wenn auch nicht immer bewusst, notwendigerweise auch an alle anderen Sätze glauben. Die Festlegung auf dieses Minimal-Christentum erlaubt es Hobbes nun beispielsweise, das den Frieden gefährdende (da zu politischem Widerstand ermunternde) Märtyrertum (Lev. XLII, 382f.) als sinnlos darzustellen – religiöser Eifer wird hier als Gefahr für das soziale Leben erkannt [32] – und, noch wichtiger, die die Souveränität des Staates untergrabende Exkommunikation (Lev. XLII, 387-392, 411, 430) in Anwendung und Bedeutung zu beschneiden: Märtyrer ist danach nur noch, wer für den einen Glaubenssatz stirbt und nicht etwa für jeden, „der dem Ehrgeiz oder dem Nutzen des Klerus dient“ (Lev. XLII, 383), Exkommunikation hingegen kann niemanden ereilen, der an Jesus als dem Christ glaubt, nur weil er falsche Schlüsse daraus abgeleitet hat – wer hingegen nicht glaubt, auf den zeigt sie ohnehin keine Wirkung [33]. Durch die Reduzierung auf diesen einen nicht misszuverstehenden Glaubenssatz werden auch Interpretationsstreitigkeiten überflüssig, denn sie erlaubt Hobbes, „dunklere[…] Stellen“ (Lev. XLIV, 471) der Bibel, vor allem des Neuen Testaments, aufgrund der Unzulänglichkeit des menschlichen Verstandes auf sich beruhen zu lassen und zu nicht essentiellen Bestandteilen zu erklären [34]. Der Vereinfachung zum Opfer fallen in Folge auch alltäglich anmutende kirchliche Riten, vom Fegefeuer über Weihe, Abendmahl und Taufe hin zu Bilderverehrung, Kanonisation von Heiligen oder auch das Händeauflegen, die die Menschen durch Furcht und Aberglaube an die Kirche binden sollen (Lev. XLII – XLV).

Diese weitgehende Neutralisierung beziehungsweise „Entsubstantialisierung von Wahrheit“ [35] kann parallel zu dem gesehen werden, was Hobbes (Lev. XXX, 264f.) von der Gesetzgebung sagt: Nur die nötigsten Gesetze sollen erlassen werden und diese aus einem eindeutigen Wortlaut bestehen. Hineingeboren in eine von religiösen Streitigkeiten beherrschte Welt erkennt er nämlich nicht nur die – zumindest in der Theorie – konflikthemmenden und somit stabilisierenden Tendenzen des Christentums, sondern auch die konflikterzeugenden und somit destabilisierenden. Und um solche potentiellen Reibungspunkte zu vermeiden, und nicht nur, um dem Souverän größtmögliche Freiheit in (Bibel-)Auslegungen und Entscheidungen zu gewähren [36], reduziert Hobbes die Komplexität des Christentums. Unterstrichen wird das auch von der oben [37] hervorgehobenen und von ihm betonten Unmöglichkeit eines Wissens über Gott, das über dessen bloße Existenz hinausgeht: Auch hier wird potentiellen Streitthemen die Basis entzogen.

Das Faktum, dass Hobbes der christlichen Komponente auch eine weltliche hinzufügt, die dahingehend lautet, dass den Gesetzen, das heißt dem Souverän, der über die alleinige Autorität zu ihrer Erlassung verfügt, absoluter Gehorsam zukommt, soll über jeden Zweifel hinaus die Stabilität des Staates sichern. Dieses zweite christliche Gebot des Gehorsams gegenüber dem Souverän, in dem nach Hobbes (Lev. XLIII, 447) – nicht unbedingt nachvollziehbar – die wichtigsten christlichen Tugenden wie Nächstenliebe, Liebe, Rechtschaffenheit und Reue enthalten sind, leitet er einmal mehr aus der Bibel ab: Die Gesetze des Alten Testaments seien nicht mehr gültig und Christus habe keine neuen gegeben, sondern nur den Rat – aufgrund der Behauptung, dass sein Reich nicht von dieser Welt sei, ist anderes gar nicht möglich –, „jene zu beachten, denen wir unterworfen sind, das heißt den Gesetzen der Natur und den Gesetzen unserer verschiedenen Souveräne“ (Lev. XLIII, 448). Das wichtigste Gesetz der Natur aber wiederum besteht im Gehorsam gegenüber dem Souverän (ebd.) – da Voraussetzung für den Selbsterhalt. Dieser reicht soweit, dass Ketzerei respektive Häresie nicht mehr an Abweichungen von festgelegten Inhalten, sondern von der öffentlichen Meinung, das heißt der Meinung des Souveräns, festgemacht wird (Lev. XLII, 442). Tatsächlich sagt Hobbes explizit, dass einem Christen zur Errettung Gehorsam gegenüber seinem Souverän, egal welche Lehre dieser in seinem Reich als Staatsreligion anordne, genüge [38]. Und wiederum wird deutlich: Der Primat des Souveräns ist unleugbar.
 

Fussnote(n):
[24] Hobbes geht hier auf die Thesen von Bellarmins De summo pontifice von 1586 ein, der in diesem Werk die kirchliche Gewalt erörtert.
[25] Überraschend erscheint dies hier deshalb, da es zumindest auf den ersten Blick im Widerspruch zu seiner These, dass der Souverän alle Lehren in seinem Reich bestimmen müsse, steht: Wie aber ist dies möglich, wenn Glaube nicht erzwingbar ist? Es sei hiermit auf den Abschnitt Innerer Glaube verwiesen, wo dieses Thema weiter ausgeführt wird.
[26] Vgl. hierzu Grossheim, Religion 1996, 301: „Hobbes nutzt diese Diskussion, um die Rolle des Papstes auf die eines Fürsten des Kirchenstaates zu reduzieren und zugleich dem römisch-katholischen Universalismus einen religiösen und weltlich-politischen Partikularismus entgegenzusetzen, der sich am besten mit der Formel ‚cuius regio, eius religio’ beschreiben läßt“.
[27] Es sei darauf zurückverwiesen, dass nur dem Souverän die Auslegung der Worte Gottes gebührt (s. den Abschnitt Gott und Souverän). Zudem ist für Hobbes die Bibel die einzige Grundlage der Botschaft Gottes: Ihr etwas hinzuzufügen (wie zum Beispiel die Unfehlbarkeit der Kirche), stellt für ihn ebenfalls Missbrauch und Verdunkelung dar.
[28] Vgl. auch Schröder, H. (1957): Hobbes und der sterbliche Gott, in: King, P. (Hrsg.): Thomas Hobbes. Critical Assessments. Volume IV: Religion, London/ New York 1993, 18-39, hier 34 f.
[29] Vgl. Grossheim, Religion 1996, 301.
[30] Grossheim, Religion 1996, 294
[31] Seine diesbezüglichen Argumente führt er im selben Kapitel auf den Seiten 450 – 454 an.
[32] Vgl. State, Religious 1989, 18.
[33] Hobbes widmet den Argumenten gegen die Exkommunikation einige Seiten. Hier soll nur das wichtigste aufgelistet werden, ein Argument, zu dem er im Leviathan bei den unterschiedlichsten Themen immer wieder zurückkehrt und dessen Zentralität für die Hobbesche Argumentation wiederum (s. auch den Abschnitt Gott und Souverän) hervorgehoben werden soll: „Kurz, der Exkommunikationsgewalt sind durch das Ziel Schranken gesetzt, für das die Apostel und Priester der Kirche ihren Auftrag von unserem Heiland empfangen haben, welcher lautet, nicht durch Befehl und Gewalt zu herrschen, sondern dadurch, daß sie die Menschen lehren und auf ihrem Weg zur Seligkeit in der kommenden Welt führen“ (Lev. XLII, 391).
[34] “Es ist auch keine Schande zu gestehen, daß die Tiefe der Schrift zu groß ist, als daß sie von der Beschränktheit des menschlichen Verstandes ausgelotet werden könnte” (Lev. XLIV, 481).
[35] Grossheim, Religion 1996, 295
[36] So Grossheim, Religion 1996, 295 f.
[37] S. den Abschnitt Der Gott der Christen.
[38] Lev. XLIII, 447: „Alles, was zur Errettung notwendig ist, ist in zwei Tugenden enthalten, im Glauben an Christus und im Gehorsam gegen die Gesetze. Könnten wir diese Gehorsamspflicht völlig erfüllen, so genügte dies. […] Daß sonst nichts zur Errettung notwendig ist, ergibt sich klar aus dem Umstand, daß das himmlische Reich niemandem als den Sündern verschlossen ist, das heißt den Ungehorsamen oder Gesetzesübertretern, und auch ihnen nicht, falls sie bereuen und an alle Glaubensartikel der christlichen Religion glauben, die zur Errettung notwendig sind“.

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