Hobbes’ Auffassung wurde zu seiner Zeit bekanntermaßen
nicht von der Kirche geteilt, die durch den Anspruch, Vertretung Gottes auf
Erden zu sein, etliche Macht für sich einforderte. Sein Anliegen ist es
deshalb, die Ansprüche der Kirche als falsch zurückzuweisen. Grundlage dafür
ist wiederum die Bibel.
Sein schlagkräftigstes Argument kommt auch hier von der Dreiweltenlehre,
die jeglichen Autoritätsanspruch der Ekklesie untergräbt: Da das Reich Gottes
nicht von dieser Welt sei, können dessen Diener, außer sie sind Souveräne,
keinen Gehorsam einfordern. So wie die Souveräne in der Nachfolge Abrahams und
Moses’ stehen, leiten die Priester außerdem ihre Bestimmung und Kompetenzen von
den Aposteln ab (Lev. XLII, 379-380) [24]. Diese aber bestehen erstens in der
Evangelisation, das heißt in der Verkündigung Christi und dem Vorbereiten auf
sein zweites Kommen, und zweitens in der Aufgabe, die Menschen durch Überzeugung
– Hobbes (Lev. XLII, 379) verweist ausdrücklich auf die in der Bibel dafür
verwendeten Metaphern wie Fischfang, Sauerteig, Säen von Samen und Vermehren
eines Senfkornes – zum Glauben und Vertrauen in Christi zu führen. Glauben
nämlich, so läßt er an dieser Stelle (Lev. XLII, 380) überraschend [25]
einfließen, „steht […] weder in Beziehung zu Zwang oder Befehl,
noch hängt er davon ab, sondern nur von der Gewißheit oder Wahrscheinlichkeit
vernunftgemäßer Argumente, oder von irgend etwas, woran Menschen bereits
glauben“, und kann demnach – wenn denn vom Souverän erlaubt – nur mittels
Erziehung und Ratschlägen an die Menschen herangeführt werden. Auch ein Papst,
den Hobbes (Lev. XLII, 392, 437-439) auf die Rolle eines Kirchenfürsten im
Vatikan begrenzt sehen will und der ansonsten ein „Ausländer“ (Lev. XLII, 413) in fremdem Staatsgebiet sei [26], dürfe
nur auf Autorisierung durch den jeweiligen Souverän außerhalb des Vatikans
seine Lehren verbreiten respektive verbreiten lassen (Lev. XLII, 413).
Da die Mission der Kirche, wie Christus sie vor
seinem Tod initiiert hat, demnach eindeutig nichtgouvernmental sei, könne sie
nur dann Autorität für sich beanspruchen, wenn sie in der Person des Souveräns
vereint sei (Lev. XXXIII, 299; XXXIX, 357 f.). Mit dieser „politischen“ Definition werden – für die gegenwärtige
Welt – einerseits die Antithesen von spirituell und temporal, Kirche und Staat,
Christ und Untertan obsolet, andererseits aber auch die Kirche, wie Hobbes’
Zeit sie kennt, eindeutig dem Souverän untergeordnet: Während dieser allein so iure divino herrsche, seien die Priester
nur aufgrund der Autorität desselben, das heißt iure civili, in ihrem Amt (Lev. XLII, 414; 418). Wenn ein Papst
deshalb die Suprematie (der Kirche) gegen die Souveränität (des Staates)
ausspiele, schaffe er „unsichtbar ein
anderes Königreich im Dunkeln“ (Lev. XXVIII, 250), das unberechtigterweise
neben dem legitimen existiere und letzteres zu unterminieren versuche. Vor
allem im vierten Teil des Leviathan
führt Hobbes einen regelrechten Feldzug gegen diese Machenschaften der (vor
allem katholischen) Kirche, die mittels Mißbrauch der Bibel [27], Erweckung von
Geisterglauben und Vermischung antiker Religion und Philosophie mit Inhalten
der Bibel sowie falschen beziehungsweise ungesicherten Überlieferungen (Lev.
XLIV, 464) die durch ihre natürliche Schwäche Ängsten ausgesetzten Menschen
auch politisch beeinflussen will. Hobbes’ Kritik gilt in diesem letzten Teil
somit weniger den kirchlichen Glaubensgrundsätzen als vielmehr den im
religiösen Mantel versteckten politischen Tätigkeiten [28]. Dem katholischen
Universalismus wird hier ein religiös-politischer Partikularismus
entgegengehalten [29][.]
Hobbes begnügt sich in seinem Leviathan jedoch nicht
damit, die zu seiner Zeit bestehende hierarchische Ordnung, die die
Unterordnung des weltlichen Souveräns unter die kirchliche Suprematie vorsieht,
auf den Kopf zu stellen und den Souverän als alleinige Interpretationsinstanz
in allen religiösen Angelegenheiten zu benennen, sondern greift auch den seiner
Meinung nach unnötig aufgebauschten und staatsgefährdenden christlichen Inhalt
an. Diesen reduziert er auf den einen wesentlichen Glaubensartikel, das unum
necessarium „Jesus ist der Christus“(Lev. XLIII, 450) [31]. Wer
daran glaubt, müsse, wenn auch nicht immer bewusst, notwendigerweise auch an
alle anderen Sätze glauben. Die Festlegung auf dieses Minimal-Christentum
erlaubt es Hobbes nun beispielsweise, das den Frieden gefährdende (da zu
politischem Widerstand ermunternde) Märtyrertum (Lev. XLII, 382f.) als sinnlos
darzustellen – religiöser Eifer wird hier als Gefahr für das soziale Leben
erkannt [32] – und, noch wichtiger, die die Souveränität des Staates untergrabende
Exkommunikation (Lev. XLII, 387-392, 411, 430) in Anwendung und Bedeutung zu
beschneiden: Märtyrer ist danach nur noch, wer für den einen Glaubenssatz
stirbt und nicht etwa für jeden, „der dem Ehrgeiz oder dem Nutzen des Klerus
dient“ (Lev. XLII, 383), Exkommunikation hingegen kann niemanden ereilen,
der an Jesus als dem Christ glaubt, nur weil er falsche Schlüsse daraus
abgeleitet hat – wer hingegen nicht glaubt, auf den zeigt sie ohnehin keine
Wirkung [33]. Durch die Reduzierung auf diesen einen nicht misszuverstehenden
Glaubenssatz werden auch Interpretationsstreitigkeiten überflüssig, denn sie
erlaubt Hobbes, „dunklere[…] Stellen“ (Lev. XLIV, 471) der Bibel, vor
allem des Neuen Testaments, aufgrund der Unzulänglichkeit des menschlichen Verstandes
auf sich beruhen zu lassen und zu nicht essentiellen Bestandteilen zu erklären
[34]. Der Vereinfachung zum Opfer fallen in Folge auch alltäglich anmutende
kirchliche Riten, vom Fegefeuer über Weihe, Abendmahl und Taufe hin zu
Bilderverehrung, Kanonisation von Heiligen oder auch das Händeauflegen, die die
Menschen durch Furcht und Aberglaube an die Kirche binden sollen (Lev. XLII –
XLV).
Diese weitgehende Neutralisierung beziehungsweise „Entsubstantialisierung
von Wahrheit“ [35] kann parallel zu dem gesehen werden, was Hobbes (Lev.
XXX, 264f.) von der Gesetzgebung sagt: Nur die nötigsten Gesetze sollen
erlassen werden und diese aus einem eindeutigen Wortlaut bestehen.
Hineingeboren in eine von religiösen Streitigkeiten beherrschte Welt erkennt er
nämlich nicht nur die – zumindest in der Theorie – konflikthemmenden und somit
stabilisierenden Tendenzen des Christentums, sondern auch die
konflikterzeugenden und somit destabilisierenden. Und um solche potentiellen
Reibungspunkte zu vermeiden, und nicht nur, um dem Souverän größtmögliche
Freiheit in (Bibel-)Auslegungen und Entscheidungen zu gewähren [36], reduziert
Hobbes die Komplexität des Christentums. Unterstrichen wird das auch von der
oben [37] hervorgehobenen und von ihm betonten Unmöglichkeit eines Wissens über
Gott, das über dessen bloße Existenz hinausgeht: Auch hier wird potentiellen
Streitthemen die Basis entzogen.
Das Faktum, dass Hobbes der christlichen Komponente auch eine weltliche
hinzufügt, die dahingehend lautet, dass den Gesetzen, das heißt dem Souverän,
der über die alleinige Autorität zu ihrer Erlassung verfügt, absoluter Gehorsam
zukommt, soll über jeden Zweifel hinaus die Stabilität des Staates sichern.
Dieses zweite christliche Gebot des Gehorsams gegenüber dem Souverän, in dem
nach Hobbes (Lev. XLIII, 447) – nicht unbedingt nachvollziehbar – die
wichtigsten christlichen Tugenden wie Nächstenliebe, Liebe, Rechtschaffenheit
und Reue enthalten sind, leitet er einmal mehr aus der Bibel ab: Die Gesetze
des Alten Testaments seien nicht mehr gültig und Christus habe keine neuen
gegeben, sondern nur den Rat – aufgrund der Behauptung, dass sein Reich nicht
von dieser Welt sei, ist anderes gar nicht möglich –, „jene zu beachten, denen wir unterworfen sind, das heißt den Gesetzen
der Natur und den Gesetzen unserer verschiedenen Souveräne“ (Lev. XLIII,
448). Das wichtigste Gesetz der Natur aber wiederum besteht im Gehorsam
gegenüber dem Souverän (ebd.) – da Voraussetzung für den Selbsterhalt. Dieser
reicht soweit, dass Ketzerei respektive Häresie nicht mehr an Abweichungen von
festgelegten Inhalten, sondern von der öffentlichen Meinung, das heißt der
Meinung des Souveräns, festgemacht wird (Lev. XLII, 442). Tatsächlich sagt
Hobbes explizit, dass einem Christen zur Errettung Gehorsam gegenüber seinem Souverän,
egal welche Lehre dieser in seinem Reich als Staatsreligion anordne, genüge
[38]. Und wiederum wird deutlich: Der Primat des Souveräns ist unleugbar.