Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 01 - Wintersemester 05/06)
 

Kröss, Katja

 
 

Vitellius, unfähiger Politiker und Tyrann? Eine quellenkritische Untersuchung.

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  Darauf folgende Auseinandersetzungen innerhalb der Stadt zwischen Vitellius-Anhängern und der flavianschen Partei, die sich unter Flavius Sabinus und dem Konsul Atticus auf das Kapitol als den sichersten Ort in Rom zurückgezogen hatte, führten zum Brand des Kapitols, unklar ist jedoch, welche der beiden Gruppierungen das Feuer gelegt hatte. Den Tod Sabinus' konnte Vitellius, vor den die beiden Anführer gezerrt wurden, wie Tacitus berichtet, nicht verhindern- die durch die Schändung ihres bedeutendsten Heiligtums aufgebrachte Plebs habe ihn regelrecht zerrissen -, jedoch den Konsul vor demselben Schicksal bewahren. Selbst angesichts seines unausweichlichen Endes bewies Vitellius also eine Milde, die seiner Attribuierung als grausamen Herrscher Lügen straft. Doch der Kampf ging weiter. Obwohl am 20. Dezember die in der Stadt verbliebenen Prätorianertruppen gegen die Vorhut des Primus vor den Toren Roms einen Sieg erringen konnten, mussten sich die Vitellianer spätestens am 21. Dezember den Flavianern ergeben; Verhandlungen mit den gegnerischen Feldherrn schlugen aufgrund deren Wut über die Geschehnisse auf dem Kapitol fehl. Noch am selben Tag wurde Vitellius ermordet, nach Tacitus und Sueton auf seiner Rückkehr in den Palast durch den Pöbel, nach Cassius Dio auf der Flucht durch die Soldaten. Auch wenn ihm damit ein ruhmreiches Ende verwehrt wurde, findet sich bei letzterem zumindest der Versuch einer Ehrenrettung dieses unglücklichen Kaisers. Schmutzig und mit Blut besiedelt, die Kleider vom Körper gerissen, verhöhnt und misshandelt von den Soldaten, sei er an einem Strick die Via Sacra entlang gezerrt und schließlich erschlagen worden, als er sich seiner Würde besinnte und ausrief "'Und ich war doch einmal euer Kaiser!'"  

  Die Tyrannentopik ist in der Schilderung des Vitellius omnipräsent: Gefräßigkeit, verbunden mit körperlicher und geistiger Untätigkeit, schlechter Umgang, Unentschlossenheit, Grausamkeit, kein Geschick für Politik, zusätzlich eine bei Sueton überlieferte, an Nero erinnernde Freude am Brand des Kapitols, kurzum die Inkarnation des malus princeps. Wie ist das zu erklären? Wie ist zu erklären, dass Tacitus, ein Senator, die Bemühungen des Vitellius um den Senat nicht schätzt, Otho hingegen, der gegen den Willen des Großteils eben dieser Körperschaft und nur mit Hilfe der Prätorianer Princeps wurde, im Vergleich besser abschneiden lässt? Nun, die Geschichtsschreibung ist immer eine Geschichtsschreibung der Sieger. Es liegt im Interesse eines senatorischen Geschichtsschreiber wie Tacitus, die Beteiligung des Senats an der Kaiserwerdung des Vitellius und dessen anscheinend hohen Akzeptanz in diesen Kreisen möglichst klein zu halten, wenn denn ein Totschweigen schon nicht möglich ist: Die Senatoren hatten sich schlicht und einfach für den falschen, den Verliererkaiser entschieden. Gleichzeitig wird die Usurpation Vespasians durch diese negative Charakterisierung des Vitellius zumindest moralisch legitimiert und der hässliche Beigeschmack, der einer solchen in der Regel anhaftet, abgeschwächt. Dennoch, von Vitellius als einem bonus princeps zu sprechen, wäre ebenso Schwarzweißmalerei. Auch wenn seine strategischen Fähigkeiten sicherlich bemerkenswert gewesen sind, die Zeitspanne, die ihn an der Macht sah, war, wie bereits erwähnt, zu kurz und bereits zu sehr von der Erhebung des Vespasian überschattet, um seine Politik angemessen beurteilen zu können. Zum Regieren kam Vitellius gar nicht: Kaum war der eine Krieg - dank taktischem Geschick - glücklich beendet, beendete ein für ihn unglücklicherer Krieg bereits die Möglichkeit, sich als fähiger Kaiser und Politiker zu profilieren. Die Wahrheit ist deshalb wohl irgendwo dazwischen zu suchen.  

 
Die Quellen
  • Tacitus (v.a. Historien I-III)
  • Sueton (v.a. Vitellius)
  • Plutarch (Otho, Galba)
  • Cassius Dio (v.a. Römische Geschichte 64)
  • Flavius Iosephus (Bellum Iudaicum 9)
 

 
Ausgewählte Literatur
  • Engel, Rudolf: Das Charakterbild des Kaisers A. Vitellius bei Tacitus und sein historischer Kern, in: Athenaeum 55/1977, 345-368
  • Flaig, E.: Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im Römischen Reich, Frankfurt a. M./ New York 1992
  • Greenhalgh, P.A.L.: The Year of the Four Emperors, New York 1975
  • Grenzheuser, B.: Kaiser und Senat in der Zeit von Nero bis Nerva, Paderborn 1964
  • Murison, C.L.: Galba, Otho and Vitellius. Careers and Controversies, Hildesheim u.a. 1993
  • Richter, B.: Vitellius. Ein Zerrbild der Geschichtsschreibung. Untersuchungen zum Prinzipat des A. Vitellius, Frankfurt a. M. 1992
  • Timpe, D.: Untersuchungen zur Kontinuität des frühen Prinzipats, Wiesbaden 1962
  • Wellesley, K.: The Year of the Four Emperors, London u.a. 2000
 

 
Empfohlene Zitierweise:

Kröss, Katja: Vitellius, unfähiger Politiker und Tyrann? Eine quellenkritische Untersuchung., in: Aventinus. Die Historische Internetzeitschrift von Studenten für Studenten [Ausgabe 01 - Wintersemester 05/06],
www.aventinus.geschichte.uni-muenchen.de/index.php?ausg=1&id=15&subid=2
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Kröss, Katja

Geb. 02.02.1979, seit WiSe(05/06) abgeschlossenes Magister Studium Politische Wissenschaft, Alte Geschichte u. Philosophie. Seit SoSe(06) Promotionsstudiengang Alte Geschichte / Philosophie

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