Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 02 - Sommersemester 06)
 

Charalambakis, Ioannis

 
 

Die "Erste" Sizilische Expedition 427 - 424

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II. Beweggründe und Ziele der Unternehmung in den Werken der antiken Autoren

 
  Besonders unter Berücksichtigung der harten Bestrafung die den athenischen Strategen nach ihrer Rückkehr zuteil wurde drängt sich die Frage auf welche Motive zur Durchführung der Expedition geführt haben und welche Ziele damit verbunden waren. Dazu sollen zunächst die Quellen untersucht und danach die Interpretationen in den Darstellungen herangezogen werden.
 Der offizielle Grund für die Intervention der Athener war der Hilferuf aus Leontinoi, der 427 vom berühmten Redner Gorgias in der Volksversammlung vorgetragen wurde. Thukydides berichtet: "The Leontines and their allies sent an embassy to Athens and urged them, both on the ground of an earlier alliance and because they were Ionians, to send them ships;".[9] Während diese Schilderung recht nüchtern erscheint, berichtet auch Diodor von dieser Gesandtschaft und legt dabei ein größeres Gewicht auf den Einfluß des bereits erwähnten Redners Gorgias.[10] Die eben dargelegten Gründe sind durchaus plausiblel, da Athen zum einen, wie schon oben ausgeführt, mit der Stadt Leontinoi spätestens seit 433/2 verbündet war, und zum anderen, weil es dem eigenen Interesse entsprach sich für andere Ionier einzusetzen. Allerdings könnte es noch andere Motive für die Expedition gegeben haben, denn es ist fraglich, ob die Athener in ihrer Situation nur aufgrund eines Bündnisses oder Blutsverwandtschaft ein Risiko eingegangen wären. Schließlich hatte die Stadt die verheerenden Folgen der Pest zu verkraften. Es wäre für die Athener vermutlich möglich gewesen, die Hilfe mit Hinweis auf die eigenen Probleme abzulehnen, doch damit hätte das Ansehen sicherlich einen großen Schaden genommen, wenn der Hegemon nicht mehr in der Lage wäre die Verbündeten zu unterstützen.
 Die antiken Autoren geben auf diese Problematik selbst eine Antwort, denn bei Thukydides heißt es: "And the Athenians sent the ships, professedly on the ground of their relationship, but really because they wished to prevent the importation of grain from Sicily into the Peloponnesus, and also to make a preliminary test whether the affairs of Sicily could be brought under their control."[11] Diodor sieht den Hilferuf ebenfalls als vorgeschobenen Grund an und geht davon aus daß "in fact they were eager to get possession of the island"[12], vor allem nachdem Athen auf die fruchtbaren sizilischen Böden aufmerksam geworden war. Das erste von Thukydides erwähnte Ziel, die Unterbrechung der Getreideversorgungslinien auf die Peloponnes und insbesondere nach Sparta, stimmt mit Sicherheit mit der athenischen Haltung im Peloponnesischen Krieg überein, da es sich dabei um eine Maßnahme im Rahmen der perikleischen Kriegstaktik handelte. Fortgeführt wurde diese Politik von Nikias, der wie Plutarch berichtet, zu Perikles' engen Gefolgsleuten gehört hatte und nach dessen Tod die Zügel der Stadt in die Hand nahm.[13] Es ist daher auch unverständlich weshalb Diodor dieses wichtige Motiv in seiner Schilderung einfach fallengelassen hat. Beide Autoren erwähnen als zweites und vermutlich auch wichtigeres Ziel, den Wunsch der Athener die Insel Sizilien zu erobern. Thukydides spricht etwas differenzierter davon, daß Laches den Auftrag erhalten habe, zu erkunden ob eine Eroberung möglich sei,[14] während Diodor von einem Verlangen nach Inbesitznahme berichtet[15]. Ob dies allerdings eine realistische Einschätzung der Lage widerspiegelt erscheint zumindest fragwürdig. Zunächst muß man sich deutlich vor Augen führen, daß eine Eroberung der Insel durch die von Laches befehligte Streitmacht völlig unmöglich war. Die 20 Trieren reichten vermutlich nicht einmal aus, um die Blockade gegen Sparta lückenlos aufrechtzuerhalten, außerdem benötigt man für die Besetzung einer Insel außer Schiffen auch Hopliten, welche wenigstens die wichtigen strategischen Punkte in ihre Gewalt bringen müssen. Sämtliche Spekulationen in diese Richtung sind daher von vornherein zum Scheitern verurteilt. Thukydides, der sich dieser Problematik wahrscheinlich bewußt war, schreibt deshalb von einer Lageerkundung für eine später mögliche Invasion. Im Einklang mit der perikleischen Strategie und der Politik des Nikias wäre ein solcher Gedanke dennoch nicht. Die Athener sollten den Spartanern durch kleine Operationen, wie mit Nadelstichen, immer wieder Wunden zufügen und somit mürbe machen. Die Erweiterung des eigenen Gebietes stand dabei aber außer Frage. Wenn dies alles gegen einen solchen Auftrag spricht, muß man sich fragen weshalb Thukydides, der immer Wert auf eine korrekte Darstellung legt, davon berichtet. Zum einen ist es möglich, daß er den ungezügelten Herrschaftswillen des athenischen Volkes vor Augen führen wollte, denn er verfaßte sein Werk im Exil, nachdem er 424, aufgrund einer militärischen Niederlage, die er als Stratege erlitten hatte,[16] fliehen mußte und war den athenischen Demagogen nach Perikles sehr kritisch gegenüber eingestellt. Zum anderen könnte er mit seiner Darstellung auch durchaus die Wahrheit treffen, denn die Entscheidung zu einer solchen Expedition wurde nicht von einem Politiker, sondern von der Volksversammlung als Ganzes gefällt. Obwohl zu dieser Zeit Nikias als Führer der Gemäßigten den größten Einfluß hatte, ist es durchaus möglich, daß sich Kleon[17], sein Kontrahent und Anführer der radikalen Kriegspartei, mit diesem Punkt einbrachte und die Bürger zu überzeugen vermochte. Auch die Bestrafung der Generäle würde insofern wieder Sinn machen, wenn man davon ausgeht, daß den Bürgern mehr als nur Hilfe für die Verbündeten vorschwebte und sie den erfolglosen Abzug der Flotte als Fehler der Befehlshaber werteten. Es gibt demnach gute Gründe den Argumenten Thukydides' Glauben zu schenken und die athenischen Motive als begründet anzusehen.
 

Fussnote(n):
[9] Thuk. 3,86,3.
[10] vgl. Diod. 12,53.
[11] Thuk. 3,86,4.
[12] Diod. 12,54,1.
[13] vgl. Plut. Nik. 2,2.
[14] vgl. Thuk. 3,86,4.
[15] vgl. Diod. 12,54,1.
[16] Thukydides war 424 an der Verteidung von Amphipolis beteiligt, konnte aber den Angriff des Spartaners Brasidas nicht abwehren.
[17] Kleon erreichte den Höhepunkt seines Einflusses erst 425, nachdem er sich die Gefangennahme der Spartiaten auf der Insel Sphakteria bei Pylos auf die Fahnen scheiben konnte.

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